Hallo liebe Petra
Natürlich schreibe ich dir weiterhin, denn auch ich brauche dringend noch diesen Austausch, auch wenn ich schon etwas weiter bin als du. Ich glaube aber auch, das ich schon süchtig nach diesem Forum geworden bin, so oft, wie ich hier reinschaue. Heute schon das zweite mal.
Eigentlich hätte ich ja heute und morgen arbeiten müssen, aber wir haben zwei Tage zwangsurlaub. Haben keine Aufträge.
Ich bin auch in psychologischer Behandlung. Erst haben auch wir nur alle paar Wochen eine Sitzung gehabt, aber dann haben wir einen Therapieantrag bei meiner Krankenkasse gestellt, die jetzt die Kosten für weitere 25 Stunden übernimmt. Diese Termine werden dann Gott sei dank alle 14 Tage stattfinden. Die Zeit dazwischen war mir nähmlich auch immer zu lang.
Auch ich hatte in den ersten Wochen Magenprobleme. Hatte innerhalb von drei Monaten 10 Kilo abgenommen. Habe jahrelang versucht abzunehmen, aber nicht geschafft. Dann passiert so etwas und dann geht das automatisch.
Depressionen hatte ich auch. Hätte mich am liebsten den ganzen Tag im Bett verkrochen. Bin ja sowieso eigentlich ein Stubenhocker, schon als Kind. Nur in dieser Situation ist das tötlich. Aber da hat meine Umwelt schon drauf geachtet, das ich mich nicht zu Hause verstecke. Aber um diesen schrecklichen Schmerz nicht mehr spüren zu müssen, hab ich mich mit Baldriantropfen betäubt. Dabei habe ich es wohl übertrieben. Ich habe zeitweise zwei!!! Flaschen am Abend genommen. Daher hat sich die Wirkung umgedreht. Es beruhigte mich nicht mehr, sondern ich wurde aufgedreht und aggressiv. Ich hatte sogar einen Blackout. Jetzt nehme ich keine mehr.
Ich versuche jetzt diesen Schmerz bewußt auszuhalten.
Ja, ich habe mir schon gedacht, das es für dich schwieriger ist etwas zu unternehmen. Deine ältere Tochter könntest du sicher schon mal für zwei oder drei Stunden allein lassen, hab ich auch gemacht, aber bei der kleinen sieht das schon etwas anders aus. Bei meinen hab ich da ja keine Probleme mit 15 und 11. und das du dir keine Betreuung leisten kannst, verstehe ich auch. Was sagt denn dein Anwalt zum Thema Unterhalt? Das war gleich das erste, was bei mir geklärt wurde. Aber manchmal gibt es ja auch so verwickelte Situationen.
Du solltest aber trotzdem kein schlechtes Gewissen haben, wenn du einmal in der Woche zur Chorprobe gehst und sie dann allein lassen mußt, denn Babys sind sie ja nun wirklich nicht mehr. Und wenn die Kinder jemanden haben, den sie im Notfall telefonisch erreichen können, wäre das sicherlich auch eine Beruhigung für dich, aber auch für die Kinder.
Auch ich habe mir Bücher zu diesem Thema in der Bücherei ausgeliehen. Drei davon, die mir am besten gefielen, hab ich mir dann auch gekauft. Ich nenne dir mal die Titel: Wenn der Partner geht von Doris Wolf, Und plötzlich wieder Single von Gina Kästele, Verliebt - verlassen - wie verwandelt von Susan Anderson. Es gab noch einige, aber auch ich habe nicht immer das Geld dafür. Vielleicht leihe ich mir die noch mal aus.
Ich weiß nicht, hast du es schon mal mit Tagebuch schreiben versucht? Alle haben mir dazu geraten, aber ich habe erst im Juni die Kraft dazu aufbringen können, damit anzufangen. Ich schreibe nicht jeden Tag, sondern so, wie ich es brauche. Aber es tut gut.
Ich habe mich wieder für zwei Kurse in der VHS angemeldet. Das Eine ist orientalischer Tanz (Bauchtanz). Das habe ich jahrelang gemacht und habe leider! vor fünf Jahren damit aufgehört. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen da wieder mit anzufangen.
Der andere Kurs ist autogenes Training. Habe ich auch vor einigen Jahren im Kurs gelernt und mache es auch für mich zu Hause, aber ich brauche erst mal wieder eine richtige Anleitung.
Dann habe ich mich im Januar (da war ich mit meinem Mann ja noch zusammen und wußte noch nichts von dem Unglück, was über mich hereinbrechen würde) einer Frauengruppe angeschlossen, die in der Tageszeitung annonciert hatte. Wir treffen uns alle 14 Tage in angemieteten Räumen und machen alles, was uns Spaß macht. Wir gehen auch mal gemeinsam zum Essen oder Tanzen.
Wenn du über deine Gefühle sprichst, erkenne ich mich wieder. Auch ich konnte ihn zu Anfang nicht hassen. In mir war nur unverständnis (wie konnte er mich nach 23 Jahren einfach verlassen? Wie können Gefühle einfach so verschwinden? ) und Verzweiflung (warum kommt er nicht wieder zu mir zurück? Ich liebe ihn so sehr, ich vermisse ihn usw.).
Aber irgendwann kam dann auch der Haß. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so gehaßt. - Doch einmal und zwar meinen Großonkel, der mich jahrelang in meiner Kinderzeit s.uell mißbrauchte. Aber irgendwann habe ich ihm verzeihen können, weil ich meine Großtante liebte. Dann ging es mir auch seelisch wieder besser.
Aber bei meinem Mann ist das ganz was anderes. Ihn liebte ich, ihm vertraute ich und dann läßt er mich einfach sitzen. Ich hätte ihm und seinen Freundinnen am liebsten etwas angetan, aber wie ich schon sagte, der Gedanke an meine Kinder hat mich davon abgehalten.
Auch ich hatte zeitweilig Schuldgefühle und hab mich gefragt, was ich falsch gemacht habe oder ob ich etwas hätte ändern können. Natürlich habe ich meine Fehler und sicherlich auch einiges Falsch gemacht, aber mein Mann hatte auch eine Menge Fehler und vieles falsch gemacht, aber die sieht er natürlich nicht ein. Er wälzt sein eigenes Versagen in unserer Ehe auf mich ab und gibt mir die Schuld an der Trennung. Erst habe ich mir das auch einreden lassen, aber jetzt nicht mehr. Wenn ihm irgendetwas in der Ehe nicht gepasst hat, hätten wir darüber reden müssen, aber er hat nie wirklich etwas gesagt. Er war in den letzten zwei, drei Jahren so verschlossen, das ich ja nicht mehr an ihn herankam. Und hellsehen kann ich noch nicht. Aber ich habe trotzdem immer an ihn und unsere Ehe geglaubt.
Also, lass die Schuldgefühle sein, selbst wenn du nicht immer alles richtig gemacht hast, aber dafür sind wir Menschen und Menschen machen nun mal auch Fehler. Und dein Mann hat doch wohl die größten Fehler gemacht, die er ja wohl auch nicht einsieht, denn sonst würde er sich dir gegenüber ja auch anders verhalten. Und ob man hätte etwas ändern und die Trennung aufhalten können, glaube ich nicht. Auch ich habe mir in meiner Fantasie immer wieder bestimmte Situationen vorgestellt in denen ich anders hätte reagieren können, aber ich habe es nun mal nicht getan. Und es hilft einem auch nicht, wenn man darüber nachdenkt. Die Vergangenheit läßt sich nicht mehr ändern, auch wenn man es noch so sehr möchte.
Und noch eins. Das du dich dafür schämst, das er dich verlassen hat, kann doch wohl nicht wahr sein. Schämen sollte Er sich doch wohl. Das ist das Einzige, was bei mir nicht vorgekommen ist. Wozu auch? Wir Verlassenen leiden doch schon genug. Schämen sollten sich die Anderen.
Ob nun jemand versteht oder nicht, das du diesen Mann noch liebst, spielt gar keine Rolle. Auch in meiner Umgebung gibt es einige, die nicht verstehen können, das ich meinen Mann noch liebe. Brauchen die aber auch nicht. Ich neheme meine Liebesgefühle erst mal einfach weiter so hin. Ich kann sie mir ja wohl nicht einfach aus dem Herzen reißen. Und du auch nicht. Sie sind nun mal da.
Aber was das Verhalten deines Mannes angeht (das er dich demütigt, beleidigt usw.), da kannst du etwas gegen unternehmen.
1. würde ich an deiner Stelle ihn nur dann Treffen, wenn es unbedingt notwendig ist.
2. sollten die Treffen so kurz wie möglich sein
3. wenn er dich beleidigt oder demütigt oder grob wird, würde ich ihm die Tür weisen und ihn bitten zu gehen und ihm klar machen, das er nur wiederkommen kann, wenn er in vernünftigen Ton mit dir spricht
4. wäre es vielleicht besser, wenn du einen Zeugen dabei hast, wenn er kommt
Ich weiß, das ist alles nicht einfach und ich habe diese Probleme nicht, kenne sie aber von Anderen in meinem Bekanntenkreis.
Aber es nützt weder dir noch deinen Kindern, wenn du das weiter so zuläßt. Denn er nimmt ja noch nicht einmal Rücksicht auf die Kinder, warum solltest du also Rücksicht auf ihn nehmen.
Was das alleinsein betrifft, verstehe ich dich voll und ganz. Bei mir war es ja nicht anders, wie du ja gelesen hast. Am schlimmsten waren die ersten Monate, aber jetzt habe ich mich dran gewöhnt, auch wenn es Abends und an den Wochenenden immer noch schlimm ist. Ich habe aber für mich jetzt entschieden erstmal alleine zu leben. Ich will lernen, mir selbst genug zu sein, damit ich mich nie wieder von einem Mann so abhängig mache. Natürlich wäre es schön irgendwann wieder einen Partner zu haben, aber im Moment ist mir sowieso nicht danach. Ich hänge ja noch zu sehr an meinen Mann. Und Zukunftsangst hatte ich ohnehin schon immer. Damit werde ich auch fertig und du auch. Glaub mir. Außerdem hat mir gestern eine von meiner Frauengruppe gesagt, das man mit den Aufgaben und den Situationen wächst. Auch das stimmt.
Laß dich also nicht unterkriegen und von deinem Mann runterziehen. Weis ihn in seine Schranken. Zeig ihm deine Grenzen. Und du wirst sehen, das es dir dann besser geht. Das war bei mir so und auch bei einigen Frauen aus meiner Gruppe.
So meine liebe Petra, jetzt ist es schon wieder so lang geworden. Ich finde aber auch keinen Schluß. Ich hoffe ich langweile dich nicht.
Bis bald und Kopf hoch deine Wolsfrau
22.08.2002 23:03 •
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