von Gioconda Belli
Mich zu lieben, muss ein Mann
von meiner Haut den Vorhang ziehen,
bis auf den Grund meiner Augen sehen
und erkennen, dass in mir nistet
die durchsichtige Schwalbe Zärtlichkeit
Mich zu lieben, darf ein Mann
mich nicht wie eine Ware besitzen wollen,
mich nicht vorführen wie eine Jagdtrophäe;
er wird an meiner Seite stehen
mit der gleichen Liebe,
wie ich an der seinen.
Mich zu lieben, muss die Liebe
eines Mannes stark sein wie Ceibobäume,
so schützend und sicher
und so klar wie ein Dezembermorgen.
Mich zu lieben, darf ein Mann
meinem Lächeln nicht misstrauen,
mein volles Haar nicht fürchten,
er soll Trauer und Schweigen achten
und auf meinem Leib Liebkosungen spielen
wie auf einer Gitarre, Melodien
und Freude aus der Tiefe meines Körpers locken.
Mich zu lieben, kann ein Mann
in mir das Bett für die Last seiner Sorgen sehen,
eine Freundin, mit der er seine Geheimnisse teilen kann,
einen See, in dem er treibt ohne Angst,
dass ein Anker von Verpflichtungen ihn am Fliegen hindert,
wenn er Lust hat, ein Vogel zu sein.
Mich zu lieben, wird ein Mann
Poesie aus seinem Leben machen,
jeden Tag neu gestalten
mit dem Blick in die Zukunft.
Die Liebe meines Mannes
will mich nicht festlegen, nicht einordnen,
sie gibt mir Luft, Nahrung, Raum
zu wachsen und reicher zu werden,
so wie jeder neue Tag
eine Revolution entfaltet.
22.05.2016 15:13 •
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