Als ich deinen Titel las, dachte ich erst, hmm, spannende Frage, welche Beziehungsphase ist eigentlich am Schönsten? Anbahnung, Kennenlernen, die ersten innigen Jahre oder die tiefe verlässliche Zweisamkeit in den darauffolgenden Jahren... oder vielleicht die Zeit noch weiter danach, nach den hässlichen Krisen oder dem Auseinanderleben, die berühmte Ehe 2.0?
Aber Quatsch, du meintest es natürlich anders, es geht dir um das Beziehungsmodell
Ich hab da ja auch verschiedene Modelle durch und denke inzwischen, dass in erster Linie zwei Komponenten bestimmen, welche Form von Beziehung man bevorzugt:
1. Der eigene Bindungstypus - der ja ganz grundlegend vieles von dem bestimmt, was wir in einer Beziehung brauchen/bieten, im Spannungsfeld zwischen Nähe versus Distanz, Gemeinsamkeit versus Freiraum, Vielfalt versus Exklusivität, Wirtschaftsgemeinschaft versus Autonomie und nicht zuletzt ja auch der eigene Status im sozialen Umfeld, der sich mehr über die Beziehung definiert als manchen von uns lieb ist...
2. Die eigene Entwicklungsstufe. Auch als Erwachsener geht man ja durch verschiedene Lebensphasen, in denen wir mit unterschiedlichen Themen und Lernfeldern konfrontiert werden. Eine typische Reihenfolge könnte sein: Die Jugend fürs Austoben, die jungen Erwachsenenjahre für enge Paarbildung und Familiengründung, die mittleren Jahre für die Aufzucht der Nachkommen und den Ausbau der Wirtschaftsgemeinschaft, dann die späteren Erwachsenenjahre die vielleicht nochmal einiges an Umbruch und zweitem Frühling und große Autonomiebedürfnisse mitbringen, dann das beginnende Alter mit dem Besinnen auf schützende und versorgende Aspekte einer engeren und verbindlicheren Partnerschaft ...
Viele meiner Beziehungsentscheidungen, -wünsche oder -sehnsüchte passen jedenfalls im Rückblick erstaunlich gut sowohl zur Grundstruktur meiner Bindungspersönlichkeit als auch zu der jeweiligen Lebensphase, in der die Beziehungen entstanden, stattfanden oder endeten.
Das Spannende daran ist, dass ich in der Rückschau auch erkenne, wie sehr diese Erfahrungen und meine Reflektion darüber Einfluss auf die Ausprägung meines Bindungstypes genommen haben. Ich halte mich diesbezüglich trotz einiger Erfahrungen, die mich in meinen Grundfesten erschüttert und vieles in mir kaputt gemacht haben, heute für gesünder, was meine grundsätzlichen Bindungsmuster angeht, als ich es zu Beginn meines Erwachsenenlebens war.
Meine langjährige Poly-Phase war diesbezüglich in vielerlei Hinsicht besonders interessant und lehrreich, aber ob sie deswegen meine schönste war? So zu leben/lieben wäre mir heutzutage schlichtweg zu anstrengend. Vielleicht werde ich es eines Tages wieder wollen, wer weiß das schon.
Zur Zeit bin ich in einer als S. exklusiv vereinbarten Wochenend-Beziehung mit viel Freiraum (ich benötige mehr Zeit für mich allein als viele andere Menschen) und liebevoll-fürsorglicher Zugehörigkeit. Ich schätze sehr an meinem Partner, dass er vollkommen eifersuchts- und dramafrei ist. Zur Vereinbarung, die wir getroffen haben, gehört auch dass wir miteinander darüber reden werden, sollte sich in der Zukunft etwas an unseren Wünschen bezüglich der Exklusivität verändern. Dass ich das ansprechen würde, weiß ich (kann eh nix Wichtiges für mich behalten). Ob er das im Zweifelsfall dann auch täte? Kann ich nur hoffen - auch wenn ich S. Exklusivität grundlegend für völlig überbewertet halte, würde ich halt schon gern ein Wörtchen mitreden, wenn es um die Veränderung einer Kernvereinbarung geht.
Also, um nochmal auf deine ursprüngliche Frage zurück zu kommen - ich glaube, es ist immer der Beziehungsstatus bzw. das Modell am schönsten, welches am besten zur eigenen Persönlichkeit UND zu den aktuellen Bedürfnissen der jeweiligen Lebensphase passt. Und wenn das dann für beide gleichzeitig und gleichermaßen stimmig ist, hat man eben auch eine wirklich schöne und erfüllende Beziehung, egal welches Modell man für sich als passend erwählt hat.
04.10.2021 21:02 •
x 4 #76