Viele Menschen leben heute unversöhnt. Sie können sich nicht damit aussöhnen, daß ihr Leben anders verlaufen ist, als sie es geplant hatten.
Sie hadern mit ihrem Schicksal, mit den Enttäuschungen, die ihnen das Leben bereitet hat.
Sie liegen mit sich selbst im Streit. Sie können sich selbst nicht bejahen, Sie möchten sich gerne anders haben, intelligenter, erfolgreicher und liebenswerter. Sie möchten besser aussehen. Sie haben ein ganz bestimmtes Bild von sich, dem sie gerne entsprechen möchten.
Das Wort Versöhnung kommt vom mittelhochdeutschen und meint: Schlichtung, Friede, Kuß. Und es klingt noch die Bedeutung mit: still machen, beschwichtigen.
Sich mit sich selbst versöhnen heißt also: Frieden stiften mit mir selbst, einverstanden sein mit mir, so, wie ich geworden bin. Den Streit schlichten zwischen den verschiedenen Bedürfnissen und Wünschen, die mich hin und her zerren.
Die Spaltung aufheben, die sich in mir auftut, zwischen meinem Idealbild und meiner Realität. Die aufgebrachte Seele beruhigen, die sich immer wieder auflehnt gegen meine Wirklichkeit. Und es heißt, das küssen, was mir so schwerfällt, meine Fehler und Schwächen küssen, zärtlich umgehen mit mir selbst, gerade mit dem, was meinem Idealbild widerspricht.
Versöhnung mit mir selbst gelingt, wenn ich wirklich JA sagen kann zu meiner Lebensgeschichte, zu meinem Charakter, zu dem, was ich an Last und Belastung mitbekommen habe.
Nur wenn ich mit mir selbst versöhnt bin, kann ich auch daran denken, Menschen in meiner Umgebung, die mit mir und mit anderen im Streit liegen, zu versöhnen. Menschen, die in sich gespalten und unversöhnt sind, werden auch um sich herum Spaltung hervorrufen.
Versöhnung heißt nicht, daß Du alle Konflikte um Dich herum mit einem Mantel zudeckst, daß du alle Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen harmonisieren möchtest.
Das verwechseln viele mit Versöhnung. Aber in Wirklichkeit können sie Konflikte nicht aushalten. Sie bekommen Angst, wenn nicht alles um sie herum harmonisch ist.
Sie werden erinnert an Situationen in der Kindheit, die sie verunsichert haben, etwa Ehestreitigkeiten, die für sie bedrohlich waren, weil sie ihnen das Gefühl von Geborgenheit und Heimat geraubt haben.
Versöhnen heißt schlichten. Und schlichten heißt ebnen, einen Weg ebnen zwischen den verschiedenen Parteien, eine Brücke bauen zwischen den sich widerstreitenden Gruppen.
Aber es heißt nicht, alles einebnen, alles harmonisieren. Die Standpunkte dürfen bleiben. Aber sie bekämpfen sich nicht mehr. Es gibt eine Brücke, auf der die beiden Parteien wieder miteinander kommunizieren , auf der sie wieder aufeinander zugehen können.
Bevor Du andere miteinander versöhnen willst, bevor Du den Streit schlichten kannst zwischen verfeindeten Gruppen in Deiner Nähe, mußt Du zuerst mit Dir selbst versöhnt sein.
Und Du mußt in Versöhnung mit den Menschen in Deiner Nähe leben. Auch das bedeutet nicht, daß Du um den Preis der Einheit alle Deine Gefühle und Bedürfnisse unterdrücken sollst.
Im Gegenteil, wenn Du um des Friedens Willen Deinen Ärger unterdrückst, wirst Du nie wirklich versöhnt sein mit dem, über den Du Dich geärgert hast. Du mußt Deine Gefühle ernst nehmen. Und Du darfst Deine Gefühle nicht bewerten. Sie haben alle ihren Sinn.
Der Ärger ist der Impuls, etwas zu verändern oder etwas anders zu sehen. Wenn ich mich im Gespräch mit Jemandem ärgere und den Ärger dann unterdrücke, so vergiftet das die Atmosphäre.
Wenn ich den Ärger angemessen anspreche, ohne ihn zu bewerten, so kann der Ärger etwas klären. Der Ärger zeigt oft, daß der andere nicht wirklich das sagt, was er denkt und fühlt, sondern um den heißen Brei herumredet.
Wenn ich meinen Ärger äußere, biete ich dem Anderen die Möglichkeit, bei sich selbst noch einmal kritisch hinzuschauen. Ich biete ihm eine Brücke an, auf der wir ehrlicher und besser kommunizieren können. Aber entscheidend ist, daß ich nicht unbedingt Recht haben möchte, sondern den Anderen achte und mit ihm Versöhnung möchte.
Versöhnung heißt: den Anderen ernst nehmen, aber auch mich selbst mit meinen Gefühlen ernst nehmen.
LG
Sonnenstrahl
29.06.2003 19:36 •
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