Es war am Spätnachmittage und fast dunkel, als Ferdinand erwachte. Er fühlte sich in Schweiß gebadet; ein fürchterlicher Traum hatte ihn auf dem Lager hin und her geworfen und die Angsttropfen aus allen seinen Poren gepreßt. Er konnte sich der Einzelheiten desselben nicht mehr erinnern; er wußte nur, daß er von einem Ungeheuer bedroht worden war, welches in dem Augenblicke, als er sich auf dasselbe stürzen wollte, die Gestalt und Gesichtszüge seines Vaters angenommen hatte.
Er war aus Sehnsucht nach der Heimath die ganze Nacht gegangen und hatte gleich nach dem Frühstücke, welches ihm von Hans aufgetragen worden war, für kurze Zeit lang ruhen wollen, war aber dabei einem Schlafe in die Arme gesunken, der ihn erst jetzt wieder frei gab. Der böse Traum war jedenfalls eine ganz natürliche Folge von dem ebenso sonderbaren wie auffälligen Empfange, den der heimgekehrte Sohn bei dem Vater gefunden hatte, aber der Volksmund sagt, daß die Seele zuweilen im Traume Zeit und Raum zu überwinden vermöge, und Ferdinand stand diesem Glauben nicht so fern, daß er den Eindruck der wirren und wüsten Vorstellungen im Momente des Erwachens sofort hätte von sich werfen können.
Er trat an das Fenster und sah in die tiefe Dämmerung hinaus. Das Grummet lag noch in denselben Schwaden vor dem Hause, in denen er es am Vormittage hatte liegen sehen. Warum war es nicht gewendet worden? Unter der Einfahrt stand der mit Getreide beladene Wagen, den er gleich bei der Ankunft bemerkt hatte. Warum war keiner der Säcke angerührt worden; warum ging die Mühle nicht? Er öffnete das Fenster und horchte einige Minuten lang hinab; dann schritt er zur Thür, um nach der Ursache der tiefen Stille, welche im Hause herrschte, zu forschen. Sie war von außen verschlossen, und ein Druck gegen sie bewies, daß man sogar die Vorsicht gebraucht hatte, das Oeffnen durch angestemmte Stützen zu erschweren.
Er fuhr bestürzt zurück. Welchen Grund hatte diese unerwartete und seltsame Gefangenhaltung? Stand sie vielleicht in Verbindung mit der heutigen Anwesenheit des Niedermüllers, bei dessen Kommen es so ängstlich geklungen hatte: Geh fort, sonst ists zu spät!? Er kannte besser als Andere den Vater und hatte sich wohl gedacht, daß dieser irgend etwas im Werke habe, bei dessen Ausführung er von dem Sohne verhindert zu werden befürchte. Konnte dies etwas Gutes sein? Es ist ein großes, vielleicht das größte Unglück für ein Kind, andere Rechtsbegriffe als sein Erzeuger zu besitzen. Ferdinand fühlte dies mehr, als er es aus eigener Erfahrung erkannt hatte; der Obermüller war stets ein schweigsamer und zurückhaltender Vater gewesen, hatte es aber auch nie verstanden oder gewollt, sich das kindliche Vertrauen, welches sich so gern und willig in die Anschauungen der Eltern einlebt, zu erwerben. Er hatte sich trotz seines hilfsbedürftigen Zustandes die Rückkehr des Sohnes bisher streng verbeten -
verbeten und war heut über dieselbe sichtlich erschrocken. Dieses unerklärliche Verhalten mußte eine geheimgehaltene Ursache haben. Der junge Mann gab sich nicht die Mühe, über sie nachzudenken; der Befehl, sofort und wenigstens für einige Tage die Heimath wieder zu verlassen, ließ ihn ahnen, daß es für ihn leicht sei, sie zu errathen oder zu erfahren, sobald er diesem Verlangen nicht Folge leiste und zugleich sich jetzt der verwunderlichen Freiheitsberaubung entziehe. Er überlegte daher, auf welche Art und Weise er aus der Stube gelangen könne. Er wollte es eben so heimlich thun, wie man ihn eingeschlossen hatte.
Aus diesem Grunde sah er von dem Hinausstoßen der Thür ab, welches ihm trotz der Stützen wohl gelungen wäre, da sie alt und morsch genug war, um von einem kräftigen Fußtritte zertrümmert zu werden. Das Fenster war so klein, daß ein Mann von der Statur Ferdinands unmöglich durch dasselbe steigen konnte. Die Decke ja, sie bot am besten und sichersten den Weg, welchen er suchte. Sie war nur geschalt und bildete zugleich den Fußboden des über dem Stübchen befindlichen Theiles des Dachraumes. Er stieg auf den Tisch, stemmte sich gegen die einfach auf die Balken genagelten Breter; sie gaben nach, ein kurzes Knirschen und Prasseln, und die Oeffnung, welche er brauchte, war vorhanden. Er schwang sich durch dieselbe hinauf und brachte die losgesprengten Theile leicht wieder in ihre vorige Lage. Wer jetzt in die Stube trat, mußte sich wohl verwundert fragen, wie der Gefangene verschwunden sei. Dieser stieg durch den geöffneten Schieber auf das niedrige Schindeldach, dessen untere Kante, da das Haus mit seiner hinteren Seite in den Teichdamm hinein gebaut war, sich nur wenige Fuß hoch über den Letzteren hinzog. Ein leichter Sprung, und er stand zwischen den Sträuchern, welche den Damm bedeckten. Ueberrascht blieb er auf der Stelle halten; es hatte geklungen, als springe er auf die Decke eines hohlen Raumes, und ein kräftiges Stampfen mit dem Fuße überzeugte ihn, daß er sich nicht geirrt habe.
Es war grad noch hell genug, um den Boden untersuchen zu können. Er bestand aus kurzgeschorenem Rasen und zeigte dem tief gesenkten, aufmerksamen Auge ein sonst kaum bemerkbares, wie mit dem Messer eingeschnittenes Viereck, aus dessen Mitte einige verdorrte Wurzeln hervorstanden. Ferdinand erfaßte diese Letzteren und zog an ihnen erstaunt ein hölzernes Quadrat empor, welches mit grastragender Erde bedeckt war. An der Stelle, auf welcher es so sorgfältig in den Boden eingefügt gewesen war, zeigte sich eine Oeffnung, groß genug, einen Mann hindurch zu lassen, und bei näherer Untersuchung fühlte er die oberen Sprossen einer Leiter, welche senkrecht in die Tiefe führte.
Was hatte diese geheimnißvolle Einrichtung, deren Dasein ihm gänzlich unbekannt war, zu bedeuten? Er beschloß, unverzüglich nachzuforschen.
Er stieg zunächst so weit hinab, daß er über sich den Deckel bequem wieder in seine vorige Lage zu bringen vermochte, und
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folgte dann der Leiter, bis er festen Boden unter sich fühlte. Er befand sich in einer engen, niedrigen Zelle und tastete an einen Tisch, auf welchem Lampe und Zunderflasche standen. Als die Erstere brannte, bemerkte er, daß der Raum vier Seiten hatte, von denen drei nur leicht verschalt waren, während die vierte aus einer Breterwand gebildet wurde, in welcher ganz unten am Boden eine niedrige, aber breite Thür angebracht war, deren Angeln einfach aus aufgenagelten Lederstücken bestanden. Sie konnte nur in kriechender Stellung passirt werden.
Nachdem er sich durch längeres Horchen überzeugt hatte, daß jenseits derselben sich Niemand befinde, zog er sie auf. Vor ihm stand das Himmelbett, in welchem sein Vater zu schlafen pflegte, ehe er von der Krankheit auch für die Nacht in den Stuhl gebannt wurde. Er schob sie wieder zurück und athmete tief und seufzend auf. Dieser verborgene Raum war früher nicht dagewesen, das wußte er ganz bestimmt. Niemand anders konnte ihn angebracht haben, als der Vater; aber zu welchem Zwecke? Und wie war es dem gelähmten Manne möglich geworden, diese beschwerliche Arbeit, bei welcher er sicherlich jeden Zeugen vermieden und jede Spur zu verwischen gehabt hatte, auszuführen? Es wurde ihm plötzlich bang zu Muthe, so bang, als ob ihn das Ungeheuer wieder bedrohe, welches er im Traume gesehen hatte.
Er trat zum Tische; der Kasten desselben war verschlossen. Sich niederbeugend, versuchte er, die Finger zwischen dem Rande desselben und der Tischplatte hindurch zu bringen. Es gelang; er fühlte eine Anzahl aufeinander liegender Hefte und mehrere kleine Päckchen, welche sorgfältig in Papier eingeschlagen und dann versiegelt waren. Mit einiger Mühe gelang es ihm, Alles aus der engen Spalte hervorzuziehen. Der Siegellack war nicht mit dem Petschafte, sondern nur mit dem Finger angedrückt worden; es war also bei der nöthigen Vorsicht möglich, eins der Packete zu öffnen und wieder zu verschließen, ohne eine auffällige Spur davon zurück zu lassen. Ferdinand that es; eine beträchtliche Anzahl von Cassenscheinen blickte ihm entgegen. Hatten die anderen Packete den gleichen Inhalt, so müßte der Gewinn, den der Vater gemacht hatte, ein nicht unbedeutender sein.
Die Hefte waren Kalender, welche nach der Folge der Jahreszahl aufeinander gelegen hatten. Er durchblätterte den ältesten derselben. Auf den unbedruckten Rändern waren verschiedene ökonomische Bemerkungen angebracht, zwischen denen sich zuweilen eine auf einen anderen Gegenstand bezog, der von Zeit zu Zeit wiederkehrte und die Aufmerksamkeit des jungen Mannes außerordentlich zu fesseln begann. Die kurzen Worte, welche von der ungeübten Hand des Obermüllers neben die roth angestrichenen Tage gesetzt waren, betrafen meist die Niedermühle und bildeten, der Zeit nach aneinander gereiht, den Abriß einer Geschichte von ihr, für welchen Ferdinand allerdings das klare Verständniß entgehen mußte. Er durchschlug einen der Kalender nach dem andern. Was hatten die vielen Zahlen und der sonderbare Name Marder zu bedeuten, welcher stets bei ihnen stand?
Er mußte unwillkürlich an die Zeit denken, in welcher Horn in die Gegend gekommen war, um die Niedermühle zu bauen. Damals hatte Klaus, als er den Proceß verloren sah, öfters ingrimmig geäußert: Den Menschen, den mach ich todt um jeden Preis, und sollt ich selber mit zu Grunde gehn! Er brachte die Sachen sorgfältig wieder an ihren vorigen Platz und stand schon im Begriffe, wieder empor zu steigen, als er einige Kleidungsstücke bemerkte, welche hinter der Leiter an der Wand hingen. Er besah sie. Sie gehörten dem Vater; sie waren schon sehr alt, aber der Schmutz, welcher an ihnen hing und mit welchem besonders die Stiefel bedeckt waren, schien noch nicht vollständig vertrocknet zu sein. Sie waren erst vor Kurzem, vielleicht am vorigen Abende, in Gebrauch gewesen.
Er blies die Lampe aus und verließ unter unbeschreiblichen Gefühlen den räthselhaften Ort. Auf dem Damme angekommen, stieg er von demselben hernieder und schritt zur Hausthür. Sie war von außen verschlossen, und Niemand schien daheim zu sein. Konnte der Vater das Haus verlassen? In tiefen Gedanken wendete er sich dem Dorfwege zu. Bei der Niedermühle angekommen, sah er die Gebäude derselben dunkel und lichtleer vor sich liegen. Der Graben war zugestellt; das reiche Wasser rauschte
arbeitslos über das Wehr hinab; kein Rad ging, kein Stampfkolben ließ sich hören, und auch die Säge im Schneidehause ruhte. Warum wurde heut, an einem Werktage, gefeiert?
Ein einziges, im Parterre gelegenes Fenster war erleuchtet. Er begab sich in den Flur und klopfte; auf den von innen erschallenden Ruf öffnete er und trat in das Zimmer.
Das junge Mädchen, welches arbeitend am Tische saß, sprang bei seinem Anblicke vom Stuhle empor und eilte mit freudeglänzendem Gesichte auf ihn zu.
Vater, Mutter, der Ferdinand ists! Kennt Ihr ihn denn nicht?
Halt! ertönte es da; der Vater eilte aus dem Dunkel der Ecke herbei und stellte sich zwischen die beiden jungen Leute. Du brauchst mir nicht zu sagen, wer es ist; ich seh es schon von ganz allein. Es ist der neue Niedermüller, der von der Wanderschaft zurückkehrt, um uns hinweg zu jagen. Scheer Dich hinaus, Gichtmüllerssohn! Die Mühl ist Euer, aber diese Stub gehört noch mir, und so lang ich noch darin zu wohnen hab, darf mir das Klausvolk mit keinem Schritt herein!
Ich bitt Euch, Niedermüller, meinte Ferdinand erschrocken, was hab ich Euch denn zu Leid gethan, daß Ihr solche Red gegen mich führt? Was ists mit der Mühl und mit dem neuen Müller? Ich versteh Euch nicht!
So hat Dein Vater, der alte Judas Ischarioth, es Dir noch nicht gesagt und Dir auch nichts davon geschrieben? Da muß ich Dirs schon mittheilen, damit Du die Schadenfreud ein wenig eher hast! Er hat heut die Niedermühl erstanden und von seinem Lotteriegeld baar bezahlt. Du bist nun ein großer Mann und brauchst jetzt den Horn und seine Leut gar nimmer anzuschaun!
Die Niedermühl erstanden und baar bezahlt der Vater? fragte der Jüngling fast erschreckt. Das ist ja gar nicht möglich! Wie ist es denn gekommen, daß Ihr sie versteigert habt?
Weil ich von dem Geldmarder ruinirt worden bin. Doch geh hinaus! Dein Alter hat mich heut aus seiner Stub gejagt, so brauch ich nun auch Dich nicht hier zu dulden!
Nein, ich geh nicht eher von dannen, als bis ich Alles weiß. Ihr habt ja früher immer viel auf mich gehalten; ich begreif von Allem nichts und bitt Euch sehr, mir wenigstens nicht eher bös zu sein, als bis Ihr seht, daß ich Euch übel will!
Das klingt gar schön und vernünftig, und es ist auch wahr, daß ich Dir und Deinem gichtbrüchigen Verräther immer wohl gewogen war, aber desto schlechter ist ja das von ihm, was er an mir gethan hat, viel schlechter und schlimmer, als wenn er mich gleich lieber ganz erschlagen hätt!
Dann seid so gut und sagt mirs doch. Vielleicht vermag ichs wieder gut zu machen!
Nein, diese Schart ist nimmer auszuwetzen! Du hast mich gekannt und weißt, was ich früher für ein starker und rüstiger Mann gewesen bin; ich war so gesund und kraftvoll, daß ich hätt mit Kirchthürmen hausiren können. Nun schau mich jetzt einmal an! Das Haar ist mir schneeweiß geworden; das Gesicht hat Falt an Falt und auch die Knochensicht bekommen; ich kann nicht grad mehr stehn, und was ich angreif, das möcht ich vor Schwäch und Unvermögen gleich wieder aus der Hand fortthun. Das hab ich dem Marder zu verdanken, der mich langsam abgekerkert hat, bis die Subhaste über mich hereingebrochen ist.
Dem Marder? Wer ist das? fragte Ferdinand, das Wort jetzt zum zweiten Male hörend. Er dachte an die Kalender und an die Zahlen, bei denen es gestanden hatte.
Auch das weißt Du nicht? Es ist ein Spitzbub, der nun seit Jahren hier und in der Gegend einbricht, ohne daß man weiß, wie er herein gekommen ist. Er war auch einige Mal in der Obermühl, am meisten und öftersten aber hier bei mir. Er nimmt nur Geld, nichts Anderes als Geld; er weiß ganz genau, wann man es bekommt und wo es liegt, selbst wenn man es im tiefsten Grund verbirgt. Wenn ich welches bekommen hab, so bin ich damit voll Angst im Haus herumgelaufen und hab es jeden Tag wo anders hingesteckt; aber gefunden und geholt hat ers. So ist mirs viele, viele Mal gegangen; ich bin ärmer, immer ärmer geworden, und die Sorg und Unruh hat mich
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abgezehrt, wie der Schwamm dem Baum ins Leben frißt. Und als hernach endlich die Niedermühl aufgeschrieben wurde mit Allem, was darin stand und hing, hat mir Dein Vater Hilf versprochen und mich abgehalten, sie bei einem Anderen zu suchen. Ich hab ihm auch vertraut und gewartet bis zum letzten Augenblick. Aber als ich dann heut gekommen bin, um mir das Geld zu holen, ist er voll Freud und Lachen gewesen, daß ich zu Schanden bin, hat mich den Dümmsten von den Dummen geheißen und drauf am Nachmittag das höchste Gebot gethan, so daß ihm meine liebe, schöne Mühl mußt zugeschlagen werden. Geh nach dem Dorf ins Wirthshaus, wenn Du ihn finden willst. Er ist mit dem Hans dorthin gefahren und giebt den Freilanz und das Einstandsbier. Da werden sie nun jubeln und springen, und ich mag sehen, wo mir ein Aufenthalt bleibt!
Es war Ferdinand unmöglich, ein Wort zu dem Gehörten zu sagen. Er lehnte mit erbleichtem Angesichte an der Thür und starrte den Müller an, als habe er von ihm ein Ungeheuerliches, eine Schreckensbotschaft vernommen, unter der er die Antwort im Munde ersterben fühle. Horn war auf einen Sitz gesunken und hatte das Gesicht in die Hände verborgen. Nach kurzem Schweigen aber sprang er wieder empor und trat auf den jungen Mann zu.
Jetzt weißt Du, was Du wissen wolltest. Ich hätt gar nicht so viel zu Dir gesprochen, aber Du warst früher gut und brav und wirst auch jetzt noch ein Gefühl im Herzen haben, obgleich der Apfel nicht gar weit vom Stamme zu fallen pflegt. Dein Vater sagte heut, ich würd als Bettler aus dem Haus getrieben und könnt am Armuthsbach die neue Elendsmühl errichten. Er mag sich nur nicht verrechnen. Ich hab von dem Zahlgelde doch noch so viel herausbekommen, daß ich nicht von Thür zu Thür zu wandern brauch, und er ist doch auch nicht vor dem End glücklich zu preisen. Wer seinen besten Freund verräth und betrügt und gar noch den Glauben abschwören will, der soll mit dem Hohn nicht billig sein. Der liebe Gott hat auch seine Mühlen, und die mahlen zwar oft langsam, aber trefflich klein!
Den Glauben abschwören, sagt Ihr! Wie meint Ihr das? klang die Frage zwischen den zuckenden Lippen hervor.
Er will katholisch werden und nach Mariahilf wallfahrten, um dort Heilung zu finden und sich als Mirakel anstaunen zu lassen. Das ist die Krone, die dem heiligen Klaus noch fehlt. Geh fort, geh fort! Er ist ein Judas, und Du bist sein Sohn; wir sind geschiedne Leut. Spiel den reichen Niedermüller, so
lang Du willst und so lang es geht; ich kann auf meine Elendsmühl stolzer sein, als Ihr auf Euer Lotterieheimwesen! Er öffnete die Thür und deutete hinaus. Verlaß die Stub und kehr mir nimmer wieder!
Vater, klang die bittende Stimme des Mädchens, thu ihm das nicht zu Leid; er ist ja unschuldig an dem, was uns betroffen hat!
Ferdinand erfaßte ihre beiden Hände mit den zitternden seinen.
Bertha, ich dank Dir schön für die Lieb und Güt, mit welcher Du gesprochen hast; aber der Vater hat Recht, wenn Alles wahr ist, was er sagt. Ob wir uns wiedersehn, das weiß ich nicht; aber wenn ich die Fremd wieder aufsuchen muß, so vergiß den Ferdinand nicht, der an Dich gedacht hat, so lang er fort gewesen ist, und der ein Leid mitnimmt, für das es keine Heilung giebt!
Seine Augen glänzten wässrig, und seine Stimme bebte. Er sah aus wie Einer, der die tödtende Kugel erwartet, und als er sich jetzt an den Niedermüller wendete, wollten ihm die Worte nur langsam und wie heiser von den Lippen gehen.
Lebt wohl; ich will Euch gehorchen und Eure Stub verlassen! Kehr ich wieder, so bleibt Ihr Niedermüller und sollt erkennen, daß ich besser bin, als Ihr wohl meint. Kehr ich aber nicht zurück, dann vergebt mir das Weh, das Euch ohne mein Wissen und ohne meine Schuld bereitet worden ist. Ich bin ärmer noch, als Ihr, und der Armuthsbach, an dem ich steh, ist tiefer noch und schlimmer, als derjenige, an dem Ihr Eure Elendsmühl errichten sollt. Gott geb, daß ich nicht darin versink!
Er ging. Es war mittlerweile dunkler Abend geworden. Am Wege, der zum Dorfe führte, rauschten hüben und drüben die Tannen; das Strauchwerk flüsterte so lind und heimlich, und der Bach murmelte auch jetzt sein altes Lied. Ferdinand vernahm von diesen Stimmen und Tönen, denen er heute Morgen so glücklich gelauscht hatte, nichts; er schritt unsicher und wankend auf dem so wohlbekannten Wege dahin; es war in ihm ebenso finster, wie in der Natur um ihn her, und dieses innere Dunkel wurde durch die Lichter, welche das bald erscheinende Dorf ihm entgegenwarf, nicht aufgehellt. Wie ganz anders sah es doch jetzt in ihm aus, als vor den wenigen Stunden, da er gemeint hatte: Daheim ists doch am schönsten; ich komme nie wieder fort!
(Fortsetzung folgt.)
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Der Gichtmüller.
Originalerzählung aus dem Erzgebirge von Karl May.
(Fortsetzung.)
III.
Der Gichtmüller hat die Niedermühl ersubhastirt, und die Nachbarn sollen nach dem Gasthof kommen. Er giebt dort den Freitanz und das Einstandsbier!
So lautete die Kunde, welche der Dorfwächter von Haus zu Haus getragen hatte, und Jeder, der nicht durch eine Nothwendigkeit zurückgehalten wurde, war ihr gern und willig gefolgt. Es gab so vielerlei Gründe, sich über das Ereigniß des Tages auszusprechen, und als man gar sah, daß der Obermüller auf seinem Räderstuhle durch das Dorf gerollt und nach dem Gasthause geschoben wurde, wollte es Niemand versäumen, den Mann zu sehen, dessen Wohlhabenheit erst jetzt zu imponiren begann und dessen Person durch die Unnahbarkeit, in welche er in den letzten Jahren gehüllt gewesen war, ein gewisses romantisches Interesse erhalten hatte. Die Achtung, welche man seinem Sohne zollte, der es bis zum Geschäftsführer einer weit entfernten amerikanischen Dampf- und Wassermühle gebracht hatte, floß unwillkürlich auch auf ihn mit über, und Viele, die es mit ihren Rechtsansichten nicht so genau nahmen, erkannten gern die Schlauheit an, mit welcher von ihm der Lotteriegewinn zu demselben Zwecke aufgehoben worden war, zu welchem er Ferdinand in die Fremde ge schickt hatte, um etwas Tüchtiges zu lernen.
Man hatte seinen Stuhl hinauf in den Saal getragen, damit er sich überzeugen könne, welch einen fleißigen Gebrauch man von seiner reichlichen Spendung mache. Hier hielt er schon mehrere Stunden lang inmitten der Tanzenden und von einem Kreise lustiger Trinker stets umschlossen. Die Beine staken auch jetzt in einem dicken Wattüberzuge, und der Kopf mit dem leidenden und eingefallenen Gesichte lag weit hintenüber in dem verbrauchten Polster der Lehne. Obgleich so matt und angegriffen, daß er es nur bei einem ganz besonderen Ausbruche der Laune zu einem kurzen, schmerzhaft verzogenen Lächeln brachte, mußte er doch hier und da Rede und Antwort stehen; es ging nicht
anders, und als er sich nach vielem Zureden sogar herbeiließ, aus einem dargebotenen Glase zu nippen, schien er Alles gethan zu haben, was in seinen arg geschädigten Kräften stand. Es gab Keinen, der ihm eine besonders große Freundschaft gezollt hatte, aber sein außerordentliches Leiden hatte einen versöhnenden Charakter für Vieles, was sonst ganz sicher zur Geltung gekommen wäre.
Keiner der Anwesenden bemerkte, daß in dem unerleuchteten Nebenzimmer, welches durch ein Buffetfenster mit dem Saale in Verbindung stand, Einer weilte, der mit bleichem Angesichte das bunte Treiben beobachtete und den forschenden Blick ganz besonders auf den Müller geheftet hielt. Dieser Letztere konnte endlich den ihn umwogenden Lärm unmöglich mehr ertragen; er hatte seiner Pflicht als Geschenkwirth genug gethan und gab dem bereitstehenden Hans einen Wink, ihn fortzubringen. Er wurde unter Dankesbezeigungen in seinem Sessel hinunter auf die Straße getragen und von dem treuen Knechte dann trotz des beschwerlichen Weges glücklich nach Hause gebracht.
Geh hinauf, Hans, gebot er dort, und schau nach dem Ferdinand! Er darf nun herunterkommen!
Der Abgesandte kehrte nach kurzer Zeit zurück und meldete, daß der junge Herr noch wie zuvor im tiefen Schlafe liege. Der gute Alte konnte die Einsperrung gar nicht begreifen, hatte sie aber doch pflichtschuldigst ausgeführt, weil er gewohnt war, jeden Befehl des Müllers ohne Widerrede zu vollziehen.
Das ist gut; so hat er also gar nicht gemerkt, daß wir fortgewesen sind und ihn festgehalten haben. Erzähl ihm nichts davon und geh jetzt schlafen!
Hans rollte den Stuhl hinaus in die Kammer, schob seinem Meister behutsam ein Kissen unter den Kopf, sah nach, ob Alles sich in der gehörigen Ordnung befinde, und begab sich dann zur Ruhe.
Kaum hatte sich die Thür hinter ihm geschlossen, so erhob sich der Müller vom Stuhle, streifte die Watte von den Beinen
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und reckte und dehnte die Glieder, als fühle er sich um einen beträchtlichen Theil seiner Größe zusammengeschrumpft.
Endlich ists für heut und nun bald auch für immer überstanden! Ich hab nun die längste Zeit Komödie gespielt, und den Schluß, den wird das wunderthätige Muttergottesbild zu Mariahilf zu Weg bringen. O, über die Dummen, die gar nimmer alle werden! Solche Staatsstreich wie den fremden Lotteriegewinn und die Schwagerschaft mit dem Horn, durch die ich ihn sicher gemacht hab, bringt doch nur der Obermüller fertig. Und die Gicht mit sammt meinem dicken Bauch ist erst recht ein Meisterstück. Wer nicht laufen kann, der kann auch nicht den Leuten ihr Geld wegholen, und wer nun gar am Leib so geschwollen ist, wie ich, der vermag unmöglich durch ein Fenster zu kriechen!
Er knöpfte die Kleidung auf und zog das Futter hervor, welches ihm ein so geschwollenes Aussehen ertheilt hatte.
Jetzt will ich hinaus in meine Räuberhöhl; der Lebrecht wird bald kommen und mir die verheißene Botschaft bringen! Ich hab mich heut im Dorf gezeigt; sie Alle haben gesehen, wie schlimm es mit mir steht, und sind voll Mitleid und Erbarmung gewesen. Wenn morgen früh dem Horn seine Herauszahlung fehlt, so weiß ich ganz gewiß, auf wen der Verdacht unmöglich fallen kann. Er muß als Bettler fort; ich habs damals geschworen, als ich den Proceß verlor, und darum werd ich heut noch einen Gang zu ihm machen. Es ist der letzte, den ich thu, und was so viele Mal gelungen ist, das wird auch dieses letzte Mal von statten gehen!
Er verriegelte die Thür, welche zur Wohnstube führte, trat dann an das Bett und schob es mit Leichtigkeit bei Seite. Als er den Zugang zu dem Nebenraume aufstieß, drang durch denselben ein heller Lichtschein in die Kammer.
Bist Du schon da, Lebrecht? fragte er leise, sich niederbeugend.
Schon eine ziemliche Weil, lautete die Antwort. Ich hab mir die Lamp angebrannt, weil mir die Zeit zu lang geworden ist.
Schon recht! Ist das Loch oben zu?
Ja. Ich werd es doch nicht offen lassen, damit die Frösch und Kröten herunterschauen und dann unsere Sach in die Welt hinein quaken können!
Der Sprecher war ein kleiner, verwachsener und rothhaariger Bursche, der dem jetzt herbeikriechenden Müller die Hand zum Willkommen bot.
Ihr habt heut gute Zeit gehabt, Obermüller; ich aber bin mit Seufzern gespeist und mit Klagen getränkt worden, so daß es mir ganz elend und jämmerlich im Magen ist. Habt Ihr nicht einen guten Trunk bei der Hand, der Einen curiren kann? Bei uns in der Niedermühl ists zu End damit!
Erst kommt das Geschäft und dann der Lohn. Wie stehts mit dem Geld?
Ich hab aufgepaßt wie ein Himmelslauscher, der wissen will, wohin die Sternschnupp fallen wird, und bin endlich auch richtig dahinter gekommen.
Nun?
Ja, wie steht es denn eigentlich mit dem Papier von wegen der Obermühl? Wir haben doch so gehandelt, daß ich Euch den Aufpasser mach und dafür die Obermühl erhalt, sobald die Niedermühl Euer geworden ist. Noch gestern bin ich hier gewesen, und Ihr habt gesagt, daß Ihr es mir geben wollt, sobald wir das Geld haben, welches der Niedermüller vielleicht herausbekommt.
Das ist Alles richtig, und ich werd auch Wort halten, denn Du hast Deine Sach sehr gut gemacht und mir so viel treffliche Nachricht gebracht, daß ich oft geglaubt hab, Du seiest allwissend. Aber jetzt ist das Geld doch noch nicht unser! Ich hab das Papier ganz fertig geschrieben und werd es nachher mitbringen. Sobald der Kasten beim Niedermüller leer ist, geb ich Dirs in die Hand, aber keinen Augenblick eher, das kannst Du nicht von mir verlangen. Und aus Vorsicht sagen wir einstweilen, daß Du die Obermühl bloß gepachtet hast. Also wo ist das Geld zu finden?
In der kleinen Stub, wo der Müller jetzt schläft, da liegt
es in dem kleinen Wandschrank, der nicht weit vom Fenster ist. Aber den Schlüssel dazu hat er in der Tasch, und der Laden ist von innen fest verschlossen.
Da ist die Sach nicht leicht für mich! Schläft das Weibsvolk mit in der Stub?
Nein, die sind vorn heraus. Die Müllerin liegt krank auf dem Kanapee, und die Bertha will nicht weg von ihr.
So wird sichs doch vielleicht noch machen lassen. Hör, was ich Dir sag! Du gehst jetzt nach Haus; ich komm in kurzer Zeit nach und bring den Dietrich und die Strickleiter mit, auf welcher ich alle Mal in Deine Giebelkammer gelangt bin. Wir müssen den Müller aus seiner Stub herauslocken. Sobald ich oben bei Dir bin, gehst Du hinunter und sagst, Du hättest Jemanden um das Haus schleichen sehen. Er wird herausgehen, und dann eil ich schnell hinab, um das Geld zu nehmen. Ich bin bestimmt fertig, ehe er wiederkehrt, und dann treffen wir uns wieder in Deiner Kammer, wo Du das Papier erhältst. Er schaut sicher nicht gleich in den Schrank hinein, und wenn er es auch thut, so wird er zuerst im Haus nach mir suchen, und dann kann ich ja ganz ungestört auf der Leiter davon. Hast Du Alles vernommen?
Ja. Es ist der einzige Weg, den es giebt. Aber nehmt Euch nur hübsch in Acht, daß wir zu guter Letzt nicht gar noch ein Unglück erleben! Ihr dürft nicht eher an die Mühl kommen, als bis ich das Licht ganz nah an das Fenster setz. Dann ist die Luft rein, und ich laß die Schnur herab, um die Leiter hinauf zu ziehen. Jetzt will ich gehn; laßt mich nicht lange warten!
Als er fort war, kehrte Klaus in die Schlafstube zurück und nahm das Leinen- und Federzeug aus der Bettstelle. Unter dem Strohsacke befand sich ein Doppelboden, welcher alle nothwendigen Diebeswerkzeuge enthielt.
Heut brauch ich bloß die Strickleiter, die Latern und den Dietrich. Aber halt, den Todtschläger nehm ich noch mit dazu; ich werd ihn wohl auch gebrauchen können, denn der Lebrecht, der Dummkopf, darf nicht denken, daß er die Obermühl bekommt. Er muß den Mund halten und zufrieden sein, wenn Niemand erfährt, daß er mir beigestanden hat. Wenn ich das Geld hab und er verlangt das Papier, geb ich ihm Eins auf den Kopf und mach mich davon!
Er brachte die angegebenen Gegenstände in die Räuberhöhle, wie er den verborgenen Raum genannt hatte, wechselte die Kleidung und stieg nach dem Damme empor. Noch war er damit beschäftigt, den Deckel auf die Oeffnung zu bringen, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte. Im Nu hatte er sich umgedreht und erhob den Schläger; aber ebenso schnell war auch seine Hand gepackt und festgehalten.
Vater, willst Du Deinen Sohn erschlagen?!
Wer wer ists? Du bists? Wie kommst Du hier her und was willst Du da?
Den Marder will ich zurückhalten, damit er nicht noch größeres Unheil anrichtet, als er bisher gestiftet hat!
Den den Marder? Du weißt, daß daß
Er konnte vor Bestürzung nicht weiter reden. Daß der eigene Sohn sein Geheimniß entdeckt hatte, war schlimmer, als wenn ein Anderer ihn ergriffen hätte.
Ich weiß Alles! Ich bin aus meiner Stub fortgewesen und hier hinabgestiegen, wo ich das Geld gesehen und die Kalender gefunden hab. Ich kenne nun die Lotterie, in welcher Du gewonnen hast; es ist eine schreckliche, eine fürchterliche, und ich ich hab Alles, Alles in ihr verloren. Komm mit hinab in Deinen Fuchsbau, ich hab mit Dir zu reden!
Ich hab nicht Zeit dazu. Sags gleich hier!
So willst Du wohl eben wieder einen Gichtweg thun? Ich hab mirs gleich gedacht! Es schlich Jemand so heimlich um die Eck; ich hab gemeint, Du wärsts selber, und bin dann gleich herbeigekommen, um nachzuschaun, ob das Nest leer ist. Also deshalb sollt ich heut gleich wieder fort und weil Du wußtest, daß ich nie zugegeben hätt, daß Du den braven Niedermüller aus dem Seinigen treibst. Steig wieder hinab; ich laß Dich nimmer fort!
23.05.2020 07:48 •
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