Von Jochen Bölsche
In Deutschland leben Hunderttausende Seitensprung-Kinder, die falschen Vätern untergeschoben worden sind. Zwei Ministerinnen wollen jetzt die diskreten DNS-Tests verbieten, mit denen die gehörnten Zahlväter betrügerische Mütter überführen können. Deutschlands Männer-Lobby läuft Sturm, Politiker und Juristen sind uneins.
Für Klarheit sorgt ein Set samt Wattestäbchen und Versandröhrchen, rezeptfrei erhältlich in jeder Apotheke, beworben mit Slogans wie Mein oder nicht mein? Der Test kostet 300 oder 400 Euro, mithin weniger als manch ein Kinderwagen. Zwei schlichte Speichelproben von Mann und Kind genügen, und binnen 72 Stunden klärt ein Gen-Labor, ob der Ernährer auch wirklich der Erzeuger war - oder ob er vielleicht schon Zigtausend Euro für ein Kuckuckskind berappt hat, das in Wahrheit einem Seitensprung entstammt und dem Gehörnten bloß untergeschoben worden ist.
Wenn, wie so häufig nach einer Scheidung, die Mutter dem Alimentezahler den Umgang mit dem Kind verwehrt, reicht statt eines Abstrichs von der Mundschleimhaut notfalls auch irgendein anderer Gegenstand, dem Körperzellen des Kindes anhaften: ein heimlich stibitzter Schnuller oder ein alter Kaugummi, eine schmutzige Windel oder ein gebrauchtes Heftpflaster.
Das soll bald anders werden, wenn es nach dem Willen zweier SPD-Frauen aus Gerhard Schröders rot-grünem Kabinett geht: Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und Justizministerin Brigitte Zypries haben ein Gentest-Gesetz verabredet, dessen Paragraf 21 heimliche Vaterschaftstests von 2006 an verbieten soll.
Seit die Absicht durchgesickert ist, machen Männerrechtler gegen das Vorhaben mobil - mit Petitionen und Unterschriftensammlungen, alarmistischen Flugblättern und empörten Leserbriefen. Der Streit um den Kuckuckskinder-Test scheint fast so viele Emotionen zu wecken wie einst der hitzige Konflikt um die Reform des Abtreibungsrechts.
Dabei geht es den beiden Ministerinnen, wie sie sagen, nur um den Schutz der Datenhoheit von Müttern und Kindern. Wer heimlich Gene bestimmen lässt, argumentiert Zypries, greift in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Beteiligten ein - ein Recht, das vom Bundesverfassungsgericht 1983 nach jahrelangen Auseinandersetzungen um die Zulässigkeit von Volkszählungen statuiert worden ist.
Wenn Schwiegermutter Haare sammelt
Befürworterinnen und Befürworter eines Verbots heimlicher Tests malen beispielsweise das Gespenst der bösen Schwiegermutter an die Wand, die ein paar Haare von Vater und Kind an ein Gen-Labor schickt, um der verhassten Schwiegertochter einen Seitensprung anzulasten und die Ehe zu spalten.
Per Gentest könne von Dritten, argumentiert auch Zypries, rechtswidrig in sozial funktionierende Familien eingegriffen werden. Daher müssten Vaterschaftsnachweise ohne Zustimmung aller Beteiligten, also auch der Mutter, nach Ansicht der SPD-Politikerin strikt untersagt sein und auch geahndet werden können.
Völlig absurd, wettern Organisationen wie der Verein Väteraufbruch für Kinder, sei diese Regelung: Sie räume der Mutter, also ausgerechnet jener Person, der eine Falschaussage zu Vaterschaft und 'Fremdgehen' unterstellt wird, eine Art Vetorecht gegen den Test ein, der eben diese Falschaussage aufdecken könnte - und der womöglich eine Straftat ans Licht bringen kann.
Vater Staat - Verräter der Väter?
Denn wer ein Kind unterschiebt, wird laut Strafgesetzbuch-Paragraf 169 mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; schon der Versuch ist strafbar. Nun protestieren die Väterverbände, verfolgt werden sollten künftig offenbar weniger die Betrügerinnen als die Betrogenen, die den Betrug aufzudecken versuchten.
Die Berliner Ministerinnen, argwöhnen diese Kritiker, wollten nicht nur - mit Blick auf weibliche Wählerstimmen - untreue Geschlechtsgenossinnen schützen, sondern mit dem Verbot heimlicher Vaterschaftstests zugleich auch den Sozialetat entlasten.
Aus dieser Sicht begeht Vater Staat Verrat an den Vätern. Der Mann soll für das Kind sorgen und bezahlen, vermutet Väteraufbruch-Aktivist Wenger als Motiv hinter der Neuregelung: Das tut der Mann aber nur, wenn er glaubt, dass er der Vater ist.
Ein Datenträger namens Pampers
Die Verfechter der Neuregelung weisen solche Darstellungen als bizarres Verschwörungsdenken zurück. Der Regierung gehe es vielmehr um die Bewahrung wertvollster Rechtsgüter. In diesem Bemühen weiß die Justizministerin auch den Datenschutz voll auf ihrer Seite. Bei den Speichel- und sonstigen Gewebeproben, etwa dem aus der Windel 'entwendeten' Kot eines Babys, handele es sich um datenschutzrechtlich relevante Datenträger, urteilt das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz in Kiel. Und mit der heimlichen Analyse solcher Proben würden die schutzwürdigen Interessen der Referenzpersonen verletzt, also der Kinder.
Schon die Entnahme solchen Gewebematerials, ob es einem Schnuller oder einem Kaugummi anhafte, erfolge durchweg gegen den Willen der in der Regel sorgeberechtigten Mutter, schreiben die Datenschützer: Den Versicherungen des Auftraggebers, dass eine Einwilligung zum Test vorliege, ist regelmäßig kein Glauben zu schenken.
Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung
Auch die forensischen Blutproben-Gutachter, die lange Zeit unangefochten das Monopol auf gerichtlich angeordnete Vaterschaftsnachweise innehatten, urteilen ähnlich.
Zwar habe, so die Bundesarbeitsgemeinschaft dieser Sachverständigen, jeder Mensch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Durch heimliche Untersuchungen aber werde die Zivilprozessordnung unterlaufen, die einen Vaterschaftsnachweis ohne oder gegen den Willen aller Betroffenen ausschließlich auf der Basis eines richterlichen Beschlusses gestatte. Folglich sei der Test aus dem Apothekenregal als unethisch abzulehnen.
Die Gerichtssachverständigen sind den neu entstandenen Gen-Labors freilich auch aus einem anderen Grund spinnefeind: Vor allem diese Konkurrenz profitiert davon, dass die Schnelltests in den letzten Jahren zum Massenphänomen geworden sind.
Weil meine Ex 'ne *beep* ist
Spätestens seit Boris Beckers Londoner Besenkammer-Affäre ist der genetische Vaterschaftsnachweis jedem Boulevardblatt-Leser geläufig. Mittlerweile werben Testlabors sogar auf Papierhandtüchern in Kneipentoiletten. Und auch TV-Quotenrenner nach dem Muster der RTL-2-Show Er oder er haben dazu beigetragen, die Schnelltests populär zu machen.
Typischer Talkshow-Dialog: Du bist der Vater von Nina? - Nee. - Warum glaubst du das? - Weil meine Ex 'ne *beep* ist. - Du bist aber der Vater - so lautet das Ergebnis des Vaterschaftstests. - Mist.
Mittlerweile produzieren in Deutschland rund drei Dutzend Unternehmen alljährlich eine fünfstellige Zahl von Vaterschaftsnachweisen. In etwa jedem vierten Fall stellt sich heraus, dass der Auftraggeber tatsächlich nicht der leibliche Vater des von ihm alimentierten Kindes ist.
Jedes zehnte Baby ein Kuckuckskind
Das Geschäft läuft gut. Allein die Firma ID der Wiesbadener Firmengründerinnen Kirsten Thelen und Angelika Lösch erwirtschaftet in einem rosa Zweckbau inmitten eines Gewerbegebiets einen Jahresumsatz von einer Million Euro. Der Markt wächst, glauben die Unternehmerinnen - solange der Bundestag nicht das Aus für die heimlichen Vaterschaftstests beschließt.
Noch zehrt auch der Frankfurter Mitbewerber Humatrix von der Testwut. Die Firma versäumt es nicht, das Geschäft mit der Ungewissheit immer wieder mal mit verstörenden PR-Texten über die hohe Zahl betrogener Männer zu beleben.
An einschlägigem Material mangelt es nicht. Auch seriöse Fachblätter wie die Zeitschrift für das gesamte Familien-Recht operieren mit Schätzungen, nach denen etwa 10 Prozent der Kinder in Deutschland so genannte Kuckuckskinder sind - das wären allein im vorigen Jahr mehr als 70.000 der 715.000 Neugeborenen gewesen.
Insgesamt leben in Deutschland demnach weit über eine Million minderjährige Kuckuckskinder. Das Wort hat, neben Neuschöpfungen wie Minijob und Fotohandy, jüngst auch Eingang in den Duden gefunden.
Entschädigung ist selten durchsetzbar
Der Anteil der untergeschobenen Kinder scheint allerdings je nach Region und Herkunft zu variieren. So wurde nach Untersuchungen zum Thema paternity fraud, die der britische S. Robin Baker anstellte, in der Schweiz nur jedes hundertste Kind außerhalb der Ehe gezeugt, im Großraum London aber nahezu jedes dritte.
Sicher ist, dass auch in der Bundesrepublik alljährlich Abermillionen Euro für Scheinvaterschaften gezahlt werden. Selbst wenn ein Test Klarheit schafft - der materielle Schaden des Zahlvaters lässt sich selten wieder gutmachen. Regressansprüche gegen den wahren Vater sind nur befristet und nur dann durchsetzbar, wenn die Mutter dessen Namen preisgibt.
Schock nach 17 Jahren Zahlvaterschaft
Fataler noch als die finanziellen Einbußen sind oft die seelischen Folgen - wie etwa die eines niedersächsischen Schlossers, der mehr als anderthalb Jahrzehnte lang für seinen vermeintlichen Sohn gezahlt hat. Wegen der laufenden Unterhaltsleistungen konnten sich der seit sieben Jahren geschiedene Handwerker und seine neue Partnerin kein gemeinsames Kind leisten - zum Leidwesen beider.
Erst im 17. Jahr seiner Zahlvaterschaft gab der Schlosser, angespornt von seiner jetzigen Lebensgefährtin, für 435 Euro einen Test in Auftrag - und war schockiert, als er das Resultat las: Eine Vaterschaft sei mit 99,9999-prozentiger Gewissheit auszuschließen. Seither liegen bei dem Geprellten die Nerven blank.
Waffengleichheit dank Wattestäbchen
Angesichts solcher Erfahrungen stellen Väterorganisationen - und natürlich auch die Gentec-Firmen - die neuen Schnell- und Billigtests als Segen für die Männerwelt dar.
Die Wattestäbchen sorgten gleichsam für Waffengleichheit: Während Frauen schon immer sicher sein konnten, dass ein Kind ihr eigen Fleisch und Blut ist, hätten erstmals in der Geschichte der Menschheit nun Männer die Chance, diskret und zuverlässig partnerschaftliche Unsicherheiten auszuräumen (Humatrix-Werbung) - sofern das Zypries-Gesetz ihnen diese Möglichkeit nicht wieder nimmt.
Bis vor wenigen Jahren noch konnten sich Männer ihrer Ursorge (ID-Gründerin Thelen) nur entledigen, wenn sie sich auf den ebenso schwierigen wie zermürbenden Weg der gerichtlichen Vaterschaftsanfechtung begaben. Zweifler mussten, das Einverständnis der Frau vorausgesetzt, samt Kind zur aufwendigen blutserologischen Untersuchung im Labor vorstellig werden; der Nachweis kostete vor der Jahrtausendwende noch bis zu 10.000 Mark.
Heimliche Tests sind kinderfreundlicher
Dass ein heimlicher Schnelltest, zumal wenn er die Vaterschaft bestätigt, die Ehe weniger belastet als ein langwieriger Gerichtsprozess - dieser Ansicht folgte voriges Jahr auch das Münchner Landgericht. Nach dessen Urteil besteht ein anerkennenswertes Interesse des möglicherweise biologischen Vaters, die Abstammung durch einen wenig belastenden heimlichen Vaterschaftstest zu klären. Ein solches Vorgehen sei auch dem Wohl des Kindes eher dienlich als eine gerichtlich erzwungene Klärung der Partnerschaft.
Andere Gerichte sehen das allerdings anders. Ein ohne Zustimmung des sorgeberechtigten Elternteils eingeholter Vaterschaftstest begründet wegen Verstoßes gegen das Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung keinen Anfechtungsverdacht für eine Vaterschaftsanfechtungsklage, entschied zum Beispiel das Oberlandesgericht Celle.
Noch ist der Entwurf nicht Gesetz
Die seither bestehende Rechtsunsicherheit dient der Bundesregierung nun als Anlass für die geplante Neuregelung. Mit unserem Gesetzentwurf, sagt Brigitte Zypries, wollen wir die Rechtslage eindeutig klarstellen. Männer sollten im Zweifelsfalle das Einvernehmen der Frau zum Gen-Test einholen und, falls das misslingt, ein Gerichtsverfahren gegen die Gattin anstrengen.
Noch ist der Zypries-Entwurf nicht Gesetz. Im Bundestag wachsen die Zweifel am geplanten Testverbot. Und unter Juristen mehren sich die Stimmen derer, die durch die vorgesehene Regelung zu Gunsten der Frauen nun wiederum die Grundrechte von Männern massiv verletzt sehen. Schließlich sei auch eine untergeschobene Vaterschaft, urteilte der Garchinger Rechtsanwalt Manfred Plautz unlängst in der Zeitschrift für Rechtspolitik, ein tiefer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen.
.spiegel.de
07.12.2004 18:18 •
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