Lieber I.,
ich möchte mich jetzt von dir verabschieden. Wie schön und wie schwer und wie reich die Zeit mit dir war! Obwohl wir arm wie die Kirchenmäuse waren. Welche Energien sie freigesetzt und aufgesogen hat! Welche Unternehmungen, Reisen, welche Literatur, welche Musik sie begleiteten!
Erinnerst du dich an das Kajak, zuhause bei uns und in Südfrankreich? Das Haus von K., zuhause und in Südfrankreich? Die Freunde hier und da und dort? Den Strand von Barcelona und die Nacht im Park, als wir keine Bleibe fanden?
Erinnerst du dich an die Hauszeitung, die wir mit K.s Tochter machten? Die Verkleidungspartys, das immer kläffende Hündchen R.? An die Abende mit S., jene Party im Hof, als der Beton unter der Feuerstelle explodierte und dann der Platzregen kam? Oh, und dann, auch im Hof, wo du nur für uns zwei mit Leinwand und Beamer ein kleines Kino gebaut hast!
Erinnerst du dich an das Haus am Fluss, die Sommer mit den Freunden mit den vielen Kindern? Mit dem Feuer draußen, auf dem wir immer kochten, dem vom Vorbesitzer zurückgelassenen Kühlschrank, den wir unmoralischerweise im Garten versenkten und der im nächsten Jahr wieder aufgestiegen war?
Erinnerst du dich an die alte Stadt, die auf dem Weg zu deiner Familie liegt, an die große Kathedrale? Die alten Herrenhäuser, die wir im Umland besuchten, viele nur noch Ruinen? An den Abend, als wir uns in den Sümpfen verirrten, du und ich, im Nebel?
Und die lustigen Abende mit den verrückten Freunden in deiner Stadt. Die Konzerte, zu denen wir uns trafen, A. damals schon schwanger. S. ist ja jetzt schon 16 und schön wie seine Eltern. Und dann all die hübschen kleinen bezopften Mädchen, die hinterher kamen!
Ja, lieber I., wie schön und reich die Zeit doch war! Wie angefüllt mit Lust und Liebe und Abenteuer! Auch guten Ideen fürs Überleben. Auch viel Arbeit. Wenig Geld. Auch Ängsten. Befremden, immer wieder. Aber keine Wurzellosigkeit, bei aller Bewegung.
Ich habe mich stark gefühlt und ich war stark. Stark für zwei. Dann für drei.
Unser Glück!
Obwohl damals die ersten Brüche kamen, unmerklich zunächst, dann immer deutlicher. Mein Tunnelblick. Dein erstes Über-uns-hinaus-Sehen, Flüchten in lange Radtouren, Reisen in deine alte Stadt. Was dort alles geschehen sein mag, es ist heute gleichgültig.
Ich liebe dich, I., immer noch. Und werde dich immer lieben. Und bin stolz auf dich. Stolz auf unsere Zeit. Auf unser Kind, die wunderbare Mademoiselle Giselle! Die auch stolz sein soll auf ihre Eltern und die es sein kann. Wir sind beide für sie da. Wir sind beide für sie jederzeit erreichbar.
Unser beider Liebstes.
Ja, es hat dann diesen schlimmen Vorfall gegeben, der mich bis heute traurig macht. Manchmal unendlich traurig. Mein Bruch mit dir. Und ja, das seh ich jetzt, ich hatte mich schon lange vor dir getrennt von dir, innerlich. Und dieser Bruch bleibt.
Wir sind getrennt.
Lieber I., werde glücklich, lebe weiter in der Liebe. Ich wünsche dir Glück und neuen Reichtum, in jeder Hinsicht!
Ich selber bin reich – durch unsere Vergangenheit, unsere Mademoiselle. Danke dafür.
In diesem Sinne…
immer die deine
Tshe
29.11.2013 10:26 •
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