Hallo Sundea,
die Beschreibung deines Freundes hat mich sehr an meinen besten Freund erinnert. Er legt nahezu identische Verhaltensweisen an den Tag. Auch er ist für gewöhnlich ein rationaler, strukturierter Mensch, wenn er aber in irgendeiner Hinsicht die Kontrolle verliert oder auch nur meint, er könnte scheitern und es läuft nicht so und kann es nicht ändern, dann dreht er frei - so nenne ich das immer.
Anfangs hat mich das auch regelmäßig vor den Kopf geschlagen und ich habe aufgehört zu zählen, wie oft er sich dann auch aus unserer Freundschaft verabschiedet hat. Mit der Zeit hab ich aber allmählich mitgekriegt und beobachtet, wann und warum er das tut. Er ist dann - ähnlich wie dein Freund - in Ermangelung eines Autos exzessiv Fahrrad (Rennrad) gefahren (mitunter 80 km am Tag!) oder ist Feiern gegangen und das in den größten Krisen, was mir sehr paradox vorkam.
Irgendwann war er dann wieder normal, fast so, als sei nichts gewesen. Ich weiß nicht, ob es bei deinem Freund auch so ist, aber er bekommt massive Panik, wenn er merkt, dass er in einer Situation ist, die er schlecht regeln kann. Er wird dann auch depressiv, also wertet sich selbst ab, ist launisch, abweisend, zieht sich zurück, spricht dann mit niemandem mehr und denkt, er ist ein Versager.
Anfangs habe ich auch mit Schock, Wut und Zur-Rede-Stellung reagiert, was dann genau den gegenteiligen Effekt hatte: Er zog sich noch mehr zurück.
Ich habe gemerkt, dass es ihm hilft und die Situation wieder entspannt, wenn ich auf seine Freidreh-Momente nicht emotional reagiere. Ist schwer, aber es geht irgendwann. Ich habe seine Freundschaftsabsagen auch nicht mehr persönlich oder gar ernst genommen, sondern habe es ignoriert und weiter gemacht, wie bisher. Ich habe akzeptiert, wenn er seine Ruhe und mich nicht sehen oder hören wollte, hab ihm zuvor jedoch gesagt, dass es okay ist und er sich melden kann/soll, wenn ihm danach ist. Hat er dann auch immer wieder getan. Manchmal habe ich ihm auch unemotional aber klar und hart Grenzen aufgezeigt, indem ich ihn damit konfrontierte, dass er das Problem, das er hat, selbst nicht lösen können wird und ich auch nicht, sondern da professionelle Hilfe notwendig ist und ich neben diesem Problem auch noch Bedürfnisse an unserer Freundschaft habe, die er nicht mal eben so on und off Switchen kann, wie es ihm beliebt. Hört sich bestimmt ziemlich deppert an, ich weiß. Aber ich habe ihn sozusagen wiederkehrend an seine freundschaftliche Verantwortung erinnert und dabei sein Leid ignoriert - das hat ihn manchmal rausgerissen aus seinem Kreisen um sein Versagen.
Vielleicht ist eine räumliche Trennung tatsächlich erstmal ein richtiger Schritt. Lass ihn diesbezüglich vielleicht wirklich laufen - auch, wenn das verdammt wehtut. Aber bleib dran und lass den Kontakt weiterlaufen. Seine Gefühle für dich scheinen ja nicht weg zu sein, sondern womöglich dreht auch er einfach nur gerade frei und boxt sich grad frei von allem, obwohl er noch nicht mal weiß, was das eigentliche Problem ist.
Bei meinem besten Freund hat mir der Gedanke geholfen, dass diese Phasen ja die gleichen sind, die jeder Mensch mal hat, wenn er seine Ruhe braucht und Dinge zuviel werden - nur bei ihm ist es halt sehr übersteigert. Wenn ich normal drauf reagiert habe, so, als sei er ein Mensch, der halt grad seine Ruhe braucht, dann wurde ihm auch wieder klar, dass er nichts überdramatisieren muss, sondern die Phase auch wieder vorbeigeht. Das Problem ist halt, dass man(n) in einer Beziehung auf Grund der Gefühle immer meint, dass es jetzt das Ende des Honeymoons und damit gleich das Ende der Beziehung ansteht.
Vielleicht denkt dein Freund wie meiner ja auch, dass er alles mögliche im Leben immer richtig, klar und eindeutig machen muss, ansonsten geht alles den Bach runter und ER ist Schuld. Alles oder nichts. Klar muss er für sich selbst erkennen, dass das niemand von ihm verlangt. Aber vielleicht kannst du ihm auch zeigen, dass du nicht bereit bist, dir von ihm Entscheidungen und Einschätzungen abnehmen zu lassen, die auch dich und DEINE Vorstellungen von Beziehung betreffen. Denn genau das tut er: Er trifft für dich Entscheidungen weil er meint, DIR damit einen Gefallen zu tun. Und da kannst du ihm sagen: So nicht! Ich entscheide immer noch selbst, worunter ich leide und worunter nicht! Wenn du für dich Dinge entscheidest, okay, aber maße dir nicht an, zu wissen, wie ich fühle, worunter ich leide und ob ich Schutz vor dir durch eine Trennung brauche oder nicht!
14.12.2014 08:23 •
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