Kaja1964 macht das richtig gut. Sie wirkt sehr ruhig und entschlossen. Ihr Problem ist nicht finanzieller Art, da wird sie gut über die Runden kommen, das weiß sie auch. Es geht um die psychologische Seite. Für sie fängt jetzt ein neues Leben an, von dem sie niemals gedacht hätte, dass es jemals kommen würde.
Ich denke nicht, dass sie ihm Haus wird bleiben können. Ihr Mann scheint ein absoluter Alpha-Mann zu sein, der genau weiß was er will und das auch durchzieht. Er sagt, dass er nicht rausgeht, sondern (wenn sie nicht das Haus verlässt) er es in einem Jahr verkaufen wird (was rechtlich wohl legitim ist). Er ist am Wochenende vormittags bei seiner neuen Freundin und kommt dann nach Hause und Kaja164 weiß wo er war. Kein Versteckspiel, keine Heimlichtuerei. Das zeigt deutlich, dass er der Chef im Haus ist und sich durch nichts von seinem Weg abbringen lässt.
Was mich nachdenklich gemacht hat, war eine Aussage ziemlich am Anfang dieses Threads:
Zitat von Kaja1964:Jetzt müssen wir erstmal mit unserem Sohn sprechen und dann das Trennungsjahr offiziell beginnen.
Ich denke, es wird mir guttun, wenn ich nicht mehr alles verheimlichen muss und mit meinen Freundinnen darüber reden kann.
(Kursive Hervorhebung durch mich.)
Sie konnte bis jetzt nicht mit ihren Freundinnen darüber reden? Mit welcher Begründung? Aus Angst oder Respekt ihrem Mann gegenüber?
Die Rollen sind denke ich klar verteilt. Ihr Mann gibt es Ton an und sie ist ihm gefolgt über einen sehr langen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten. Prinzipiell ist so eine Konstallation sinnvoll, denn viele Männer fühlen sich als Führungskraft in der Familie und viele Frauen als Geführte wohl. Jetzt einfach auszubrechen und ihm paroli zu bieten, wie es hier zum Teil vorgeschlagen wurde (Wirf seine Klamotten vor die Tür!), dürfte deshalb außerhalb des Möglichen liegen. Zu sehr sind die Rollen zementiert. Umso beeindruckender finde ich es von ihr, dass sie tatsächlich bis März zusammen mit ihm im Haus bleiben will. Wenn sie das wirklich schaffen sollte, wäre das eine ganz starke Leistung.
Ich kann mir (nicht) vorstellen, wie schlimm es sein muss, nach 35 Jahren so den Boden unter den Füßen weggezogen zu bekommen. Man fühlt sich hilflos, gedemüdigt, ausgestoßen, benutzt, weggeworfen. Selbstzweifel nehmen überhand, dazu Gedanken wie das eigene Leben weitergehen soll, was die Nachbarn, die Familie, die Freunde dazu sagen, wie man wohl auf der Straße angeschaut wird, wie das eigene Kind damit umgehen wird. Trotzdem ist aus einigem Abstand betrachtet alles machbar. Sie ist 55, hat somit voraussichtlich noch 25 gute Jahre vor sich, ist gesund, wird keine finanziellen Probleme bekommen, hat einen gesunden Sohn der in zwei Jahren Abitur macht, lebt in Deutschland und nicht in Somalia.
Was ihren Mann angeht, so würde ich ihm keine Schuld geben. Warum? Weil auch er nur das tut, was wir alle tun, nämlich das für ihn unter dem Strich Beste. Über dem Strich stehen sämtliche Faktoren die sein (Beziehungs-)Leben beeinflussen, wie zum Bespiel
- die gemeinsamen Jahre mit Kaja1964 und seine Verantwortung ihr gegenüber
- die Verpflichtung sich selbst und seinen Gefühlen gegenüber
- der gemeinsame Sohn und wie er eine mögliche Trennung verkraften wird
- seine eigenes Leben und seine eigene (absehbar zeitlich beschränkte) Zukunft
- wie das Umfeld auf eine mögliche Trennung reagieren wird.
Wenn diese Punkte (und noch viele mehr) miteinander verrechnet werden, kommt raus, wie er handelt. Ohne dass er das irgendwie verhindern könnte. Sein Gehirn ermittelt für ihn, was für ihn unter Berücksichtigung aller Vor- und Nachteile das Beste ist, und das ist dann was er tut. Was er tun muss.
Generell ist es eben so, dass viele Menschen, gerade wenn sie so lange Zeit mit ein und demselben Partner zusammen sind, das Gefühl bekommen, etwas verpassen zu können. Und dass sie es, wenn sie noch älter sind und es keine Möglichkeit mehr dazu gibt, zutiefst bereuen könnten. Den eigenen Partner kennt man in- und auswendig, er ist nicht mehr interessant, hat nichts mehr Neues zu bieten. Dann kommt das Unbekannte, das Verbotene, und das hat magische Anziehungskraft. Manchen Menschen ist das Alte, das Vertraute, wichtiger und sie würden das niemals verlassen. Andere sind anders, ihnen erscheint das Sprung ins kalte Wasser attraktiver. So sind die Menschen, sie sind verschieden, der eine ist so, der andere so. Aber man kann es sich nicht aussuchen und ein Gut und Böse gibt es nicht.