Man denke an Situationen, in denen Menschen wissen, dass sie nur noch wenige Minuten zu leben haben, was real ist und so makaber es zu sein scheint, regelmäßig irgendwo vorkommt. Ist es nicht erstaunlich, dass die letzten Worte, dieser Pechvögel an einen für sie wertvollen Menschen - sofern sie noch die Gelegenheit bekommen, sie zu äussern - immer die drei magischen sind? Verkneift man sie sich doch die meiste Zeit seines Lebens (ich schließe mich ein), muss die Tatsache, dass es das ist, was man jemandem als letztes sagen möchte - wenn man es kann - bedeuten, dass das was man damit ausdrücken will, das wichtigste überhaupt ist. Ich denke, es hat einen guten Grund, warum man es sich ansonsten verkneift, verliert Liebe doch immer ein Stück an Wert, wenn sie so direkt geäussert wird, wie nur möglich. Sagt man es oft genug, ist sie irgendwann einfach weg und ich rede offensichtlich nicht von familiärer oder freundschaftlicher Zuneigung.
Als ich das erste mal verliebt war, ging ich noch in die Grundschule. Hat man das nicht erlebt, würde man sich in Versuchung geführt sehen, davon auszugehen, Kinder wüssten noch nichts von solchen Gefühlen oder würden sie noch in harmlosen Formen erleben. Wenn ich mich aber daran erinnere, dass es sich genau so angefühlt hat, wie im Erwachsenenalter - obwohl sicher etwas weniger intensiv - kann ich solcher Arroganz gegenüber Kindern nur energisch widersprechen. Diese Art von Gefühl scheint auch vor Kindern nicht halt zu machen, aber schon damals haben mich die üblichen Floskeln darüber noch höher auf die Palme getrieben, als ein verlorenes Brettspiel: Liebe ist eine blühende Blume, sie wächst, gedeiht und muss gepflegt werden, sagte man mir mit einem sanften Lächeln, aber schon mit meinen zehn Jahren dachte ich mir was für ein Schwachsinn.... Ich war damals nicht verheiratet, hatte keine Ahnung davon, wie eine Scheidung funktioniert und viel mehr als ein Kuss konnte in diesem Alter sowieso nicht laufen. Das alleine müsste schon ein Indikator dafür sein, dass Liebe keine Gegenleistung für einen s.uellen Gefallen sein muss, aber ich wusste schon, dass sich das ganze nicht wie eine Blume anfühlte, sondern mehr wie eine heftige Tracht Prügel.
Es sind immer die gleichen Dinge, die man versucht, um die Natur von Liebe zu erklären. Wenn man darüber redet assoziiert man sie mit zusätzlichen Konzepten wie Ehrlichkeit, Treue, Dauerhaftigkeit und dabei erscheint es eher, wie ein absurder Versuch, sie zu zähmen und mess- oder kontrollierbar zu machen. Ich habe den Eindruck, dass Liebe wenig, oder wenn dann nur sehr bedingt etwas mit diesen Konzepten zu tun hat. Ein Fremder, den man trifft ist einem noch längst nicht treu, man kann ebenso wenig auf Dauerhaftigkeit zählen, und Liebe wächst nicht, sie explodiert einem direkt ins Gesicht. Obwohl man selbst zuerst der Einzige ist der das merken kann, ist es zu diesem Zeitpunkt schon viel zu spät, für verzweifelte Versuche, es zu verhindern. Das Kribbeln im Bauch ist, wenn sie einem den Kopf mit Illusionen vollstopft, tief in die Eingeweide greift, einem jegliche Selbstachtung in aussaugt, den Stolz entblößt, und ihn zerschmettert - nicht gerade typisch für Pflanzen im allgemeinen. Es kann es wert sein, wenn sie im Gegenzug lange hält, aber oft tut sie es eben nicht und verblasst stattdessen, um einen mit der Frage zurückzulassen, was zum Teufel da eigentlich passiert ist.
Die wohl giftigste Eigenschaft von Liebe ist, dass sie es absolut nicht nötig hat, erwiedert zu werden, um vorhanden zu sein. Das ist die Situation in der sie die Aspekte, die einen am meisten fertig machen, am besten entfalten kann. Der Grund dafür dürfte in der Erklärung dafür liegen, was man will, wenn man jemanden liebt. Typisch menschliche aber trotzdem illusorische Vorstellungen sind:
- Dem Geliebten nahe zu sein
- Für den Menschen da zu sein
- Wünsche zu erfüllen
- Vertrauen zu schaffen
- Dafür zu sorgen, dass es dem Geliebten gut geht
- (S. Tagungen)
Man stelle sich vor man bekommt all das und zwar sogar noch von der richtigen Person, wird es einen trotzdem nicht glücklich machen, solange das Gefühl selbst nicht erwiedert wird. Auch die auf den ersten Blick selbstlosen Wünsche, es möge doch lediglich dem anderen gut gehen, sind ebenso egoistisch, wie der Wunsch nach hysterischem Geschlechtsverkehr, liegt der Zweck aller Wünsche für den Geliebten doch nur darin, sich selbst zufrieden zu stellen. Wer ist auf der Straße schon mal einem Fremden über den weg gelaufen und hat als Allererstes gehofft, es möge ihm gut gehen? So gesehen ist Liebe lediglich ein starkes Verlangen danach, selbst zum Geliebten zu werden und alles andere kann streng genommen - zumindest für den Augenblick - ausgeblendet werden. Aber auch wenn sie einen nicht alleine erwischt, ist sie immer für Überraschungen gut, die selbst den härtesten Überraschungsliebhaber aus den Latschen hauen, taucht sie doch immer auf, wenn man am wenigsten mit ihr rechnet, betrifft Menschen, von denen man es nicht erwartet hätte und schlägt in den unmöglichsten Situationen zu. Man denke dabei an den *beep*, der sich während dem Krieg in ein jüdisches Mädchen verliebt, den weissen Rassisten, der sich plötzlich zu einer schwarzen Frau hingezogen fühlt und den Teenagerburschen, der plötzlich merkt, dass er sich in einen anderen Teenagerburschen verknallt hat.
Dann gibt es noch die sogenannte romantische Liebe, die hauptsächlich aus den Träumereien besteht, den Prinzen oder die Prinzessin zu treffen, mit der alles besser wird. Diese Art richtet sich nicht auf einen Menschen, es ist viel eher der Wunsch danach, verliebt zu sein, also ein Verliebtsein in die Liebe selbst. Wie der Zucker, den man in die Leber eines Diabetikers schüttet, bereitet man durch die Planung des Verliebtseins nicht viel mehr vor, als einen Schock. Zwar wird einen diese Form selbst nicht verletzen können, solange sie sich nicht weiterentwickelt, aber das liegt einzig und allein an ihrer Leere und Zwecklosigkeit, die einen nirgendwohin führt. Wer schon einmal die Unannehmlichkeiten erlebt hat, die das Verliebtsein mit sich bringt, wird erkennen, dass romantische Liebe nicht nur naiv ist, sondern einfach auch nicht der echte *beep*.
Mit anderen Worten ist Liebe weder beruhigend, noch tröstlich oder wohlig, sondern eher barbarisch, brutal und unerträglich. Wenn man also die ganzen Halbwahrheiten entfernt, die man ansonsten damit in Verbindung bringt, kann man sie als hart, gnadenlos und lückenhaft entlarven - es ist ein guter Grund sich die Frage zu stellen, ob Liebe wirklich etwas nettes ist oder einfach eine Leidenschaft, der man so hilflos ausgeliefert ist, dass man nur hoffen kann, sie möge nicht vergehen, wenn sie mal wieder auftaucht und nicht mehr zurückkommen, wenn sie mal wieder verschwindet.
30.11.2012 13:49 •
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