Liebes Forum,
ich lese hier schon seit langer Zeit mit und nun starte ich aus aktuellem Anlass mein eigenes Thema.
Vorgestern hat mich mein Mann nach acht Jahren Beziehung und drei Jahren Ehe verlassen. Ich habe gebeten, versucht zu Überzeugen und versprochen, dass ich alles ändern werde. Es war umsonst.
Ich möchte gerne meine lange Geschichte mit euch teilen.
Als ich meinen Mann kennen lernte, hatte ich gerade die schlimmsten fünf Jahre meines Lebens hinter mir. Ich kam aus einer Gewaltbeziehung, aus der ich mich aus der selben Angst, wie ich sie jetzt habe, nicht befreien konnte.
Dazu waren gerade meine Eltern weit fort gezogen, unser Haus war verkauft worden und ich war fertig mit der Schule. Ich hatte eine Privatschule besucht und mich dort immer sehr geborgen und zu Hause gefühlt. Es fühlte sich an, als bräche meine komplette Basis zusammen. Ich hatte Angst vor der Zukunft, konnte mich kaum im Spiegel ansehen, wegen all der Demütigung, die ich in Kauf genommen habe und nicht verlassen zu werden. Mein Herz war so voll Schmerz, dass ich meinte, ihn körperlich spüren zu können.
Anfangs war ich mir nicht sicher, ob ich diese Beziehung eingehen will. Ich spürte, dass meine Seele eigentlich viel zu krank war, um eine gesunde Beziehung zu führen. Aber J. gab mir soviel Sicherheit, Geborgenheit und menschliche Wärme- dazu war ich auch furchtbar verliebt- dass ich nach und nach begann, mich darauf einzulassen. Das war nicht einfach. Ich wußte ja aus der Vergangenheit, dass ich zu einer gewissen Symbiotik neige und es war für mich eine Gratwanderung, zwischen Nähe und Distanz. Aber wir hatten eine wundervolle Zeit. Ich hatte solche Schmetterlinge im Bauch. Wir fühlten uns so zusammengehörig. Wir haben unzählige wunderschöne Momente erlebt. Ich fühlte mich angekommen, beschützt und geliebt.
Ich war damals noch in der Ausbildung und J. begann, im selben Unternehmen als Zivi zu arbeiten. Es war eine intensive und schöne Zeit, in der es nichts gab, ausser uns beiden.
Irgendwann begann J., mich zu belügen. Ich kann mir bis heute nicht erklären, warum er es tat und damit unser Glück, was mir so vollkommen erschien, gefährdete. Irgendein Bedürfnis werden seine Lügen schon erfüllt haben, aber in meinen Augen waren sie überflüssig und dumm. Ich war schlichtweg fassungslos und überwältigt. Von Anfang an hatten Gespräche über Vertraunen und Ehrlichkeit unser Miteinander bestimmt. Nur, weil ich der absoluten Überzeugung war, dass ich es mit einem grundehrlichen Menschen zu tun hatte, der mich niemals willentlich verletzen würde, hatte ich mich auf ihn eingelassen. Wir haben von Anfang an in aller Klarheit über meine vorherige Beziehung kommuniziert und dass ich soetwas nie wieder ertragen will. Unsere Nähe entstand zu einem sehr großen Teil durch diese KLarheit. Auch, wenn ich es heute für naiv halte: Ich habe ihn gebeten, mit mir achtsam zu sein, weil meine Seele keinen weiteren Schmerz ertragen kann.
Was soll ich sagen, J. war verliebt und dachte wohl wirklich, er könne mir dass geben, was ich brauche und zu dem Menschen werden, der mir gut tut. Gleichwohl es dazu nicht viel Anlass gab, denn in seinen vorherigen Beziehungen war ihm seine Sehnsucht nach Anerkennung und Bestätigung mehrfach zum Verhängnis geworden. Er hatte seine Exfreundin, die ihn vergötterte (was ihn bald zu langweilen begann), vielfach betrogen. Da er darüber mit mir so offen sprach, hatte ich dennoch das Gefühl, ihm Vertrauen zu können. Er hatte auch wirklich alles dafür getan und trug mich auf Händen.
Ich dachte, dass meine Angst nun, da meine ehemalige Beziehung überstanden war, kleiner werden würde. Aber es war, als bräche sie nun erst richtig hervor. Ich fühlte mich nach den ersten Lügen auch schnell nicht mehr auf gesunde Art nah, sondern wieder abhängig.
Ich hatte keine Ahnung, was mit mir los ist. Psychische Erkrankungen waren in meinem Weltbild einfach nicht existent. Ich rannte von Arzt zu Arzt, um eine Diagnose für mein gefühltes körperliches Leiden zu bekommen. Aber keiner sah, wie krank meine Seele war. Und so wurde es immer schlimmer. Ich bekam aus heiterem Himmel Todesangst, fühlte mich ständig vollkommen erschöpft und sterbenskrank. Ich konnte kaum aus dem Bett aufstehen. Ich war hoffnungslos und sicher, dass ich sterben würde. Meine Ausbildung wurde zum kaum bewältigbaren Kraftakt. Doch J. fing mich auf, sprach mir immer wieder Mut zu, nahm mir alle erdenkbare Belastung und Arbeit ab. Ohne ihn hätte ich meine Ausbildung niemals abschliessen können.
Irgendwann hatte die Angst mich so vereinnahmt, dass ich fast nicht mehr vor die Tür gehen konnte. Ich zog ich mich immer weiter zurück. Es war grausam.
Silvester 2006 erfuhr ich, dass ich schwanger bin. Ich fühlte mich nicht reif genug, nicht in der Lage, Mama zu sein. Ich wußte ja, dass irgendwas mit mir nicht stimmt- auch wenn alle Ärzte zu dem Ergebnis kamen, dass ich gesund sei. Ich war mir ferner als jemals zuvor. Ich tat einfach... nichts. Ich war wie erstarrt. Alle, die mir Mut machen wollten, indem sie mir sagten, dass ich sicherlich eine tolle Mama sein würde, machten mich nur noch unglücklicher und einsamer, weil ich das Gefühl hatte, keiner könne begreifen, was wirklich in mir vorging.
J. freute sich auf das Kind. Ach, wir waren beide so jung und auch naiv. Natürlich war ihm nicht wirklich bewusst, was da auf uns zukommt. Aber wenigstens in dieser Sache hatte ich unerschütterliche Zuversicht: dass J. ein guter Papa für mein Kind sein würde. Denn obwohl hier und da schon ein paar Lügen existierten, so war er doch ein liebevoller, warmherziger Mensch, der voller Optimismus ins Leben schaute. In meiner Vorstellung war er gar mein Held. Ich nahm an, dass ich in meinem Zustand nichts zu geben hätte und er hingegen alles, was ein Kind für ein glückliches heranwachsen braucht. Ich liebte seine Unbeschwertheit, sein lachen, sein riesen Ja zum leben und den Gedanken, dass wir uns gegenseitig ausfüllen und ergänzen.
Wir fanden eine Wohnung, die allerdings sehr umfassend renoviert werden musste. Nun endete dieses Leben, indem wir nur für uns selbst Verantwortung zu tragen hatten. Der Geburtsttermin rückte näher, aber J. schien in vollkommene Lethargie zu verfallen. Für mich war dies irgendwie der zweite Schock. Er schob alles, was zu tun war vor sich her und was er tat, dass tat er beiläufig und oft mit mangelndem Ergebnis. Wenn er es nicht sowieso immer und immer wieder vergass. Ich fühlte mich hilflos und überfordert. Ich bin mit zwei sehr pflichtbewussten und fleißigen Eltern aufgewachsen, die mich dazu erzogen, anzupacken und alles zu erledigen, was es zu erldeigen gibt. Ich wußte überhaupt nicht, wie ich mit einem Partner umgehen sollte, der sich regelrecht verweigerte. Es wäre zu ausufernd, die Situation genauer darzustellen. Aber den Schrank im Kinderzimmer baute ich im neunten Monat schwanger schliesslich alleine auf, nachdem ich meinen Freund mehr als sechs Wochen lang darum gebeten hatte. Ich erinnere mich daran, dass er sich einmal daran setzte, festzustellen meinte, dass zwei Schrauben fehlten (was nicht stimmte) und ihn liegen ließ. Ich erinnere mich auch an eine teure Einbauküche, die uns meine Eltern zum Einzug schenkten, die schliesslich nur improvisiert zusammen gebaut werden konnte, weil J. sich über einen halben Meter verrechnete, als er den Raum ausmaß. (obwohl ich mich zweimal rückversichert hatte und ihn bat, noch einmal nachzumessen)
Meine Hilflosigkeit schlug langsam in Verzweiflung um. Ich begriff überhaupt nicht, warum ich es auf einmal mit einem scheinbar anderen Menschen zu tun hatte. Ich wollte, dass zu der Ankunft unseres Kindes alles fertig war. Ich bat und bettelte und fluchte und schrie. Nichts half.
Doch was sich immer mehr veränderte, war J. Verhalten. Er hatte wohl das Gefühl, er könne mir zunehmend nicht genügen und es war, als würde nun sein ganzes bisheriges bemühen, für mich ein ehrlicher, verantwortungsbewusster Mensch zu sein einbrechen. Er versuchte gar nicht mehr, guten Willen vorzutäuschen, oder aufrichtig zu mir zu sein. Und es war wie eine schlimme Spirale: Je mehr er sich so benahm, desto weniger konnte ich ihm die Bestätigung geben, nach der er sich als Mann so sehr sehnte. Es war bezeichnend für J. dass er nicht fähig war, sich selbst zu motivieren, oder zu bestätigen. Er war immer bestrebt, diese Leere durch Anerkennung von Außen zu füllen. Das war für mich ungeheuer anstrengend. J. hatte keinerlei eigene Wertvorstellungen, oder Meinungen. Vielleicht dass, was man gemeinhin als Rückrat betrachtet. Alles, was er tat, tat er eben aus Liebe zu mir- aber nicht ohne zu betonen, dass es ihm selbst gleich wäre, ob die Nachbarn sich über Lärm beschweren würden, oder die Wohnung verdreckte. Und dann wieder machte es ihn wütend, was er alles für mich tat. Er hatte selbst kein Gefühl dafür, was zu einem geregelten Leben gehört. Und obwohl er mich immer wieder aufforderte, ihm dies in allen Einzelheiten mitzuteilen, war er gleichsam ungeheuer wütend, weil er das Gefühl hatte, dass ich tausend Anforderungen an ihn stelle. Dabei konnte ich es nicht ändern. Es reichte eben nicht ihm zu sagen: Halt dich bitte an Absprachen, dass ist mir wichtig. Oder beseitig hier bitte deine groben Spuren selbst im Haushalt. Damit konnte er einfach nichts anfangen. Und so sollte ich ihm Zettel schreiben, auf denen stand: Die Badamaturen und Silikonfugen abwischen, nach dem Duschen. Haare aus dem Sieb.
Ich fühlte mich in eine Rolle gedrängt, die ich nicht haben wollte. Nichts wünschte ich mir mehr, als einen Mann, an den ich mich anlehnen konnte. Statt dessen sah ich keine Alternative, als immer wieder an das bezahlen von Rechnungen etc etc etc pp zu erinnern und in gewisserweise eine Art von Führung zu übernehmen. J. machte das wütend und er fühlte sich damit ebenfalls nicht wohl. Ich sprach unzählige Male an, dass ich mich so sehr mehr Selbstständigkeit und Eigenverantwortung wünsche. Aber entweder beteuerte J., dass er es tun würde- ohne dass sich jemals etwas änderte, oder er gab gleich freiherzig zu, dass er mich überhaupt nicht verstand mit dem, was ich von ihm wolle. Ich nannte unzählige Beispiele (Schau, die Rechnung, die Du zum bezahlen seit drei Tagen mitnehmen wolltest. Ich habe dich jeden Tag daran erinnert und sie dir heute in die Hand gedrückt. Jetzt liegt sie im Auto. Ich habe fünf mal versucht, dich zu erreichen, aber du bist nicht ans Handy gegangen- was soll ich tun?) aber er schien es nicht greifen zu können. Das widerum machte mich wütend, weil ich täglich beobachtete, wie er Entscheidungen traf, die unsere Rollen immer wieder gleich aufteilten. J. forderte Respekt und Bestätigung, Nähe und Zuwendung. Er wollte eine Menge, was er selbst nicht gab.
Irgendwann fühlte ich mich wieder ganz ähnlich, wie in meiner Beziehung zuvor. Ich hatte nicht das Gefühl, einem Leben allein (mit Kind) gewachsen zu sein und gehen zu können.
J. wurde immer gereizter, mir gegenüber. Und es folgten weitere, dumme Lügen. Einmal schrieb ihm zB seine Exfreundin, dass sie ihn treffen wolle. Er hatte keine Lust, aber ich war ohnehin gerade am kochen und ermutigte ihn, gerne hinzugehen, wenn ihm danach wäre. Ich bat ihn nur darum, nicht über unsere Beziehungsprobleme mit seiner ehem. Partnerin zu sprechen und er sagte, dass sei selbstverständlich. Als er zurück kam schlief er auf dem Sofa ein und sein Handy bekam ständig Nachrichten. Ich bekam so ein Gefühl in mir und sah sie mir an. Sie waren natürlich von seiner Exfreundin, die ihn zutiefst bedauerte, dass er in einer so unglücklichen Beziehung stecke.
Ich weckte ihn und fragte ihn, ob er ganz sicher sei, dass es ihm gelungen war, unsere Partnerschaft auszuklammern. Ich versuchte ihm eine Brücke zu bauen und sagte, dass ich selbst wisse, dass es einem schon mal herausrutschen kann, in Anlehnung an alte Vertrautheit. Aber er sah mir direkt in die Augen und sagte im Brustton der Überzeugung, dass er das nicht getan hätte, denn ich hätte ja darum gebeten.
Von solchen Sachen war ich so enttäuscht.
Aber dann begann eine großartige Zeit. Unser Sohn wurde geboren und wir waren so euphorisch und glücklich. Niemals hätte ich gedacht, dass ich zu solchen überwältigenden Gefühlen fähig sein könnte. Wir verbrachten wochenlang allein zu Hause und fühlten uns so voller Liebe zueinander und wie betrunken von unserem Glück. Nichts anderes schien mehr wichtig.
Auch kaum, dass J. seine gerade begonnene Ausbildung wegen seiner Unkonzentriertheit ud Fahrigkeit verlor.Anstatt dem Babyblues, teilten wir gemeinsam die Babyeuphorie. Ich war vollkommen angstfrei und fühlte mich gesund, wie noch nie. Was haben wir diese Zeit genossen. Ich werde sie niemals vergessen.
Aber nach einigen Monaten fiel J. wieder in seinen alten Trott. Es ging ihm nicht gut. Er war enttäuscht und traurig, über seine verpatzte Ausbildung. Er hatte keine Ahnung, wie es nun beruflich weiter gehen sollte. Immerhin lastete ja nun der Druck, eine Familie ernähren zu müssen auf ihm. Er tat mir Leid. Nun lag er viel zu Haus und zockte auf seiner Vbox. Er fühlte sich hoffnungslos und ließ sich mehr und mehr gehen. Ich versuchte, für ihn dazusein und stark zu sein, aber dass ich ihn zunehmend nicht als Mann wahrnehmen und mit ihm Nähe teilen konnte, verletzte ihn wohl am allermeisten.
Seine Annäherungsversuche konnte ich mehr und mehr nicht zulassen. Davon abgesehen, dass er in dieser Zeit auch körperlich nicht besonders gepflegt war (ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheit) hatte ich das Gefühl, ich müsser jeder Zeit mit einer Verletzung durch weitere Lügen rechnen. Ich hätte mich noch verwundbarer gefühlt, wenn ich se.uelle Nähe mit ihm geteilt hätte. Und sich wie eine Mami für einen erwachsenen Mann zu fühlen, dass schlägt auch auf die Mann/Frau Ebene. Zumindest bei mir. J. reagierte darauf verzweifelt. Er sprach es immer wieder an und ich war hilflos, weil ich nicht wusste, wie ich ihm geben konnte, wonach er sich sehnte. Manchmal kamen wir über diese Gespräche in eine gute Verbindung. Aber manchmal drohte mir J. auch, dass er sich eine neue Freundin, oder wenigstens eine Affäre suchen würde. Ich wich dann weiter zurück und bekam Angst, dass er seine Drohungen wahr machen könnte- ohne, dass ich etwas tun konnte.
Dann änderten sich zwei entscheidende Dinge. Erstens ging es mir nach dem abstillen schlecht wie nie: meine Panikattacken kamen zurück und wurden unerträglich und zweitens fand J. eine Selbstständigkeit, die ihn begeisterte.
Doch für unsere Partnerschaft wurde alles noch viel schlimmer. J. erlebte zum ersten Mal Anerkennung und Erfolg im Beruf und reiste viel. Er verkehrte in dekadenten Gesellschaften und nahm nach und nach mehrere Mitarbeiter an. Er war beflügelt von seinem Erfolg und benahm sich immer mehr wie ein A....loch. Er ging wieder feiern und ließ mich allein sitzen. Nichts was mir wichtig war, nahm er ernst. Er begann zu lügen, mehr als jemals zuvor. Er wurde, emotional, regelrecht brutal und kalt, mir gegenüber. Er traf sich mit anderen Frauen, trank eine Menge Alk. auch vor dem autofahren- und ging auf Geschäftsreisen, obwohl ich kaum noch in der Lage war, mich um unser Kind zu kümmern. Um seine Interessen durchzusetzen hatte er zwei Strategien: Lügen und Ignoranz. Einmal hatte ich vierzig Grad Fieber und war kaum in der Lage, mich auf den Beinen zu halten. J. wollte aber auf ein Seminar gehen, auf dass er sich schon gefreut hatte, weil viele junge Kollegen dabei waren. Als ich sagte, dass es nicht geht, weil ich so krank bin, gab er vor, die Reise nicht antreten zu wollen. Dann packte er heimlich seine Sachen und verschwand einfach. Für mich waren diese Reisen mehrfach schrecklich. Erstens, weil ich kaum Kraft hatte, mich alleine um unseren Schatz zu kümmern. Zweitens, weil mir zugetragen worden war, wie die Abende auf solchen Veranstaltungen abliefen. Es floß Alk., Frauen waren auch dabei und laut Aussagen von J. Angestellten, war mein Freund immer mitten drin.
So sehr J. auch in seinem Beruf aufging und seiner Karriere nacheiferte, hier zu Hause stapelten sich Mahnungen und Rechnungen. Aber J. war dem gegenüber so gleichgültig, dass er sie nicht zahlte. Mich machte es wahnsinnig, denn ich bin verantwortungsbewusst und zuverlässig. Aber ich hatte keinen Zugang zum Geld. Meistens weigerte J. sich sogar, mir Einsicht auf das Konto zu gewähren.
Wenn Jan auf Partys, oder auf Reisen war, dann durchlitt ich furchtbare Nächte. Ich hatte so große berechtigte Ängste, dass er etwas tut, was ich nicht verzeihen kann, dass ich meist kaum ein Auge zubekam. Ich denke noch heute, dass es nur eine günstige Gelegenheit gebraucht hätte.
Und dennoch wollte ich ihn in seiner persönlichen Freiheit so wenig wie möglich durch meine Krankheit einschränken. Er musste ja ohnehin schon den Einkauf machen und oft genug da sein, weil es mir immer schwerer viel, unseren Sohn allein zu versorgen. Ich hatte deswegen ein unheimlich schlechtes Gewissen und so bemühte ich mich, ihm, wann immer ich mich in der Lage sah, allein fertig zu werden, gehen zu lassen, damit er feiern und Freunde besuchen konnte.
Aber es passierten immer mehr Dinge, wegen denen ich den Mut kaum noch aufbrachte. Ich war so angewiesen und abhängig und ich liebte J.. Was, wenn er sich verlieben, oder mich betrügen würde? Ich fühlte mich jedes Mal zurück versetzt in meine alte Beziehung. Mein Exfreund hatte desöfteren Frauen mit nach Hause gebracht. Nur eine seiner Quälereien, die ich habe mit mir anstellen lassen. Ich wußte, dass J. soetwas nie tun würde, aber ich hatte immer Angst, er käme nicht mehr heim. Wenn ich sagte: Geh ruhig zwei Stunden, solange bekomme ich es gut alleine hin, dann verschwand er manchmal die ganze Nacht und blieb nicht erreichbar. Irgendwann bot ich ihm diesen Freiraum nicht mehr an. Und J. fühlte sich von mir eingesperrt, auch wenn er selbst zugab, dass er sich auch nicht wirklich über den Weg traute. Heute würde ich mich sicher nicht mehr so aufführen. Damals schien es mir der einzige Weg unsere Familie zu retten.
Gesundheitlich ging es für mich weiter bergab. Ich hatte nun zwar herausgefunden, dass ich an einer Angststörung litt, aber mir fehlten dennoch Möglichkeiten, damit umzugehen. Meine Wohnung war zu einem Schattengefängnis geworden. Ich sehnte mich nach Gesellschaft und den Leben, was draussen an mir vorbeizog, aber ich war nicht fähig, mich mit meiner Angst zu zeigen. Ich war todunglücklich.
Irgendwann beschloss ich, etwas zu verändern und besuchte eine Tagesklinik. Es viel mir unsagbar schwer, den Weg dorthin zu bewältigen, aber ich wollte gesund werden. Hätte ich gewusst, wie wenig Nutzwert diese Behandlung für mich hatte, hätte ich es bleiben lassen.
Eines Nachmittages fand ich heraus, dass J. und seine Arbeitskollegin sich gestanden hatten, wie scharf sie aufeinander sind. Als ich ihn zur Rede stellte, selbst wie Espenlaub zitternd, wollte er davon laufen, aber ich stellte mich vor die Tür. Er behauptete, dass zwischen ihnen nicht mehr gewesen sei und dass die Initiative von ihr aus gegangen sei. Er hätte sich nur darauf eingelassen, weil sie ihm soviel Bestätigung gab. In meinem Kopf hämmerte ein Wirrwar von Gedanken. Ich wollte alles richtig machen und gefasst reagieren. Natürlich überlegte ich auch, mich zu trennen, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Ich hatte keine Ahnung, ob ich in dieser Situation Forderungen stellen durfte. Doch immerhin war es nicht die erste Heimlichkeit, die es mit anderen Frauen gegeben hatte und die Alternative, weiterhin jeden Tag Angst zu haben, weil sie im Büro zusammen sitzen, erschien mir nicht tragbar.Ich brauchte wirklich Mut, um J. zu bitten, sie als Mitarbeiterin abzugeben. Seine Reaktion darauf war enttäuschend. Er versuchte tatsächlich, zu verhandeln und gab vor, sie als finanziellen Stützpfeiler nicht verlieren zu können (obwohl ich genau wußte, dass es nicht stimmt). Das war für mich eine weitere Enttäuschung, die mich furchtbar traurig machte. Nach langem hin und her und meinerseits das vortäuschen von Bestimmtheit, ließ er sich darauf ein.
Natürlich durfte ich bei diesem Gespräch nicht dabei sein. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie es gelaufen ist (Es tut mir so Leid, aber meine Frau... Ich würde ja gerne...) Fakt ist jedenfalls, dass ich er noch weitere fünf Male den Kontakt zu ihr aufnahm und sie besuchte. Und Fakt ist auch, dass ich ab diesem Moment innerlich den kompromißlosen Rückzug antrat, um mich zu schützen. Ich hatte nicht länger das Gefühl, in irgendeiner Weise vertrauen zu können. Wenn man sich von einer Person schützt, die man liebt, dann wird die Kluft gewaltig groß.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie er mich einige Monate zuvor gefragt hatte, ob ich was dagegen hätte, wenn er sie ausbildet. Ich habe gefragt: Ist sie für dich in irgendeiner Weise interessant? Er sagte natürlich: nein, sie ist absolut nicht mein Typ. Kaum zu glauben, aber damit war die Sache für mich erledigt. Ich habe nicht mal eine Idee gehabt, als er immer öfter mit ihr unterwegs war. Oder sie Abends allein im Büro saßen und zusammen Sekt getrunken haben.
Bei jeder weiteren Lüge, war ich vor Angst und Schmerz fast wahnsinnig. Ich wußte, dass ich das alles nicht hinnehmen durfte. Aber ich wußte auch, dass mein Kind nur noch besuchsweise bei mir wäre, wenn ich hier zu Hause keine Unterstützung mehr bekam.
Und zu guter Letzt hatte ich irgendwo in meinem Herzen auch ein gewisses Verständnis, für sein Verhalten. Er war ja mittlerweile beinahe zu meinem Pfleger geworden. Immerzu lag ich im Bett und weinte, oder war vor Angst wie gelähmt. Ich konnte nicht einkaufen, nicht mit ihm reisen, nicht feiern, dass Leben da draussen nicht teilen. Und dennoch setzte er mich nicht einmal unter Druck, irgendwas tun zu müssen.
J. war mein Halt, meine Stärke, mein Vertrauter. Und ich liebte ihn. Und immer war mir klar, dass ich nie aufhören würde, ihn auf meine Weise zu lieben, für dass, was er mir gegeben hatte.
Es erscheint sicher vielen verrückt, dass ich dennoch an uns glaubte. Ein Leben ohne J. konnte ich mir nicht vorstellen. Uns verband soviel- auch Schmerz und Kummer- keiner hatte mich je genommen, wie ich bin. Nie hat er mich für irgendetwas, was ich bin oder getan habe, verurteilt. Und ich litt darunter, dass ich ihm nicht das selbe Geschenk machen konnte.
Er hatte in dunkelsten Stunden meine Hand gehalten. Mich immer wieder geströstet, mir Mut gemacht. Ich werde dass niemals vergessen und dafür immer dankbar sein.
Danach hatten wir eine schöne Zeit miteinander. J. bemühte sich sehr, mein Vertrauen zurück zu gewinnen und mir Geborgenheit zu geben. Es gab immer mal wieder kleinere Lügereien, aber die großen Krisen blieben aus. Es schien, eine Art Frieden in unserer Beziehung angekommen zu sein. Vielleicht lag es auch daran, dass J. mittlerweile seinen beruflichen Erfolg nicht mehr halten und wieder geerdeter war. Wir beschlossen, eine Ehetherapie zu beginnen. Weit kamen wir nicht. Nach der dritten Sitzung sagten uns die beiden Therapeuten, dass sie empfehlen würden, sich zu trennen. Das war keine große Hilfe, in meiner Situation.
Ich beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ich arbeitete wie verrückt an mir selbst. Ich ging weiterhin zur Therapie und versuchte, mich ins Leben zurück zu kämpfen. Ich las jede erdenkliche Literatur, nahm an interaktiven Selbsthilfegruppen teil und biss die Zähne zusammen, wenn die Angst kam. Ausserdem begann ich, nur auf mich zu schauen. Ich dachte: Gut, das Verhalten von J. kann ich nur bedingt beeinflussen. Aber ich kann selbst bestimmen, wie ich damit umgehe. Und ich bemühte mich eisern, tollerant, liebevoll und gelassen zu sein. Es war eine unheimlich schwere Aufgabe! Denn nebenbei wollte ich ja noch gesund werden und eine gute Mama sein. Es kostete mich enorm viel Kraft. Aber ich war bereit, sie zu investieren, wenn wir nur glücklich werden könnten.
J. war weiterhin nahezu unfähig, sich an Absprachen zu halten. Er vergaß sie schlichtweg, oder aber dachte sich seinen eigenen Teil dazu. Er benahm sich verantwortungslos und unzuverlässig und immer betonte er, dass es keine Böse Absicht sei. Die Rückmeldungen kamen überall her, vor allem, von seinen Mitarbeitern und seinem Vorgesetzten. Anfangs hatten alle eine Menge Verständnis für J. Aber nach und nach wurde sie immer kleiner, bis keiner seine Laier von nicht absichtlich mehr hören wollte. Ich sagte ihm, dass seine Schwächen wie Vergesslichkeit nicht schlimm seien, die hätte ich auch. Es sei nur wichtig Wege zu finden, damit umzugehen und sie auszugleichen. Es war seltsam, je mehr Feedback J. zu seinem Verhalten bekam, desto verbissener schien er daran festzuhalten. Gleichwohl es für ihn beruflich und privat Konsequenzen hatte.
Ich versuchte meine steigende Wut über meine Abhängigkeit und all den Schmerz zu unterdrücken. Ich versuchte zu verdrängen, dass ich all sein Chaos und seine Vergesslichkeit bei allem, was mir wichtig war, langsam als Feindseligkeit und Ignoranz zu verstehen begann. Es blieb mir auch nichts anderes übrig, denn es ist unmöglich gemeinsame Wege zu finden, wenn der Partner jede Verantwortung für sein Verhalten ablehnt. Wie kann man so eine glückliche Beziehung führen? Ich wusste es nicht. Wir führten endlose Gespräche in denen ich versuchte, ihn für all dass was er tat nicht zu verurteilen, sondern wahrzunehmen. Doch J. begriff einfach nicht, was ich meinte und von ihm wollte. Er schaltete bald auf Durchzug und war genervt von meinen Versuchen, ihn zu erreichen, um Lösungen zu finden.
Wir waren nicht mehr auf Augenhöhe, das spürten wir beide. Ich fühlte mich wie eine Mutter und J. hielt weiterhin daran fest, dass er es nicht anders könnte und ich es akzeptieren müsse. J. hatte dazu stets nur zu sagen, dass ich ihn nehmen müsse, wie er sei, oder er machte Versprechungen und entschuldigte sich (was zu nichts führte). Ich hatte sehr daran zu knabbern, wie einfach es sich J. machte. Während ich so hart an mir arbeitete und versuchte, meinen Partner so zu nehmen, wie er war (was mir zugegeben nicht immer gelang) beharrte er darauf, dass er nichts ändern könne.
Irgendwann kam dann ein bitterböser Brief von seiner Exfreundin. Ich habe ihn gelesen. Ich nehme an, dass sie ihn absichtlich an unsere gemeinsame Adresse geschickt hat, denn er hat auch eine Büroadresse und eine bei seinen Eltern, die ihr bekannt ist. Darin stand, dass sie sich über die Jahre mehrfach ohne mein Wissen getroffen hätten. Und dass er mich betrogen hätte und ein Schw.in sei, weil er sich damit noch gebrüstet hätte vor ihr. Motivator dieses Briefes war, dass sie mittlerweile herausgefunden hatte, dass er sie in ihrer Beziehung auch mehrfach betrogen hatte.
Irgendwie spürte ich nicht mehr viel. Ich fühlte mich abgestumpft und leer. Natürlich hatte ich wieder einmal Angst. Angst, dass es Anrufe oder weitere Briefe geben würde, die Wahrheiten ans Licht bringen würde, aus denen ich die Konsequenzen nicht ziehen könnte. Ich zuckte wochenlang bei jedem Telefonklingeln zusammen. J. beharrte natürlich darauf, dass er mich nicht betrogen hätte. Ich wollte es glauben. Ich ließ alles irgendwie durch mich hindurch rinnen und versuchte, es zu vergessen.
Langsam bekam ich den Eindruck, dass mit J. ernsthaft etwas nicht in Ordnung war. Ich hatte ihn im letzten Jahr schon einmal gebeten, einen Therapeuten aufzusuchen, weil er selbst mit sich so tiefgehend unzufrieden war. Dreimal suchte J. ihn auf, danach meinte er, sein Therapeut sei viel zu leicht zu manipulieren und könne ihm nicht helfen. J. ist ein Meister darin, andere zu beeinflussen. Er verliert sich selbst in seinen Darstellungen und weiß am Ende nicht, was echt ist. In unserer Beziehung hat es mich am meisten Kraft gekostet, um die Wirklichkeit zu kämpfen. Es ging soviel Energie dabei drauf, mit J. in Übereinstimmung über die Realität zu kommen, dass am Ende nur wenig übrig blieb, um nach Lösungen zu suchen. Ich habe dass als äußerst schmerzhaft erlebt: immer und immer wieder um die Berechtigung meines Erlebens zu kämpfen. Und dann begann alles von vorne, weil er sich wieder in seine Realität hineingesteigert hatte. Seine Gabe, alles zu drehen und zu wenden, bis er hineinpasst, wie er sich gefällt, war und ist erstaunlich.
Er hatte nun immer öfter depressive Phasen, in denen er wie gelähmt und tief verzweifelt war. Er zockte dann am Pc, wenn er angeblich arbeiten war. Er weinte und war vollkommen mut und kraftlos. Dann ging es plötzlich wieder aufwärts und er arbeitete bis zur totalen Erschöpfung, hatte eine Menge vollkommen realitätsferner Ideen und tat alles, um den Schaden, der in solchen Phasen beruflich und privat entstand, wieder zu beheben. Das wiederholte sich nach dem selben Muster, bis er erneut komplett zusammen brach. Ich dachte an eine manische Depression und drängte ihm, noch einmal zum Arzt zu gehen. Es war ein aufreibender, zäher Kraftakt. Ohne mein Zutun geschah nichts. Und immer, wenn es ihm wieder gut ging war er sicher, dass er keine Hilfe bräuchte. Dann wieder verdiente er kein Geld, weil er in seine Lethargie verfiel. Seine Schwiegereltern haben uns dann ein halbes Jahr mit großen Summen unter die Arme gegriffen- sonst wären wir überhaupt nicht zurecht gekommen.
J. lernte einen anderen Vater aus dem Kindergarten unseres Sohnes kennen. C. war etwas älter als J., aber jung geblieben und ein Sympath, wie es im Buche steht. Ich kannte es schon, dass J. um die Anerkennung anderer bemüht war und sich schnell beeinflussen ließ. Leider interessierten ihn selten die Menschen, die für ihn da sein wollten. Er hatte einen echten Hang zu Narzisten.
Schnell wurden die beiden zu besten Freunden. Nein, dass ist untertrieben. Die beiden teilten eine sehr seltsame Symbiose. C. war J. sehr ähnlich. Die beiden spiegelten sich und brachten am anderen nicht das beste zu Tage. Durch den engen Kontakt bauten auch C. und ich eine Freundschaft auf. Er übernahm die Rolle meines Coaches, wie er es scherzhaft nannte. Ich war wirklich auf der Suche nach einem Freund, aber wie sich schnell heraus stellte, war C. gar nicht in der Lage dazu. Er übertrat sämtliche Grenzen und als ich mich traute, auf diese hinzuweisen, schlug er so dermaßen Schmerzhaft in meine Gefühle, in all das Vertrauen, was ich zu ihm aufgebaut hatte, dass ich tagelang weinte. Er sagte so gemeine Dinge, weil er sich zurück gewiesen fühlte. Ich solle in meiner Wohnung ver--cken war noch das Netteste. J. geriet dadurch in den totalen Konflikt. Er wollte seine Freundschaft nicht gefährden und tat sich schwer, zu mir Stellung zu beziehen. Das verletzte mich sehr. Da ich aber sah, wie wichtig C. für J. war, schluckte ich meine Gefühle herunter und hielt mich zurück. Das war nicht leicht, denn C. griff auch in unsere Familienidentität ein. Ich will dass nicht näher ausführen, aber er war eine reale Gefahr für eine Frau, die einen Mann hat, dass oftmals wie ein Fähnchen im Wind ist.
Irgendwann stellte sich heraus, dass die beiden unter anderem Dro. zusammen konsumierten. Bei J. war es inzwischen so schlimm, dass er wesentlich mehr davon Gebrauch machte, als C. Kein Wunder, so verloren wie J. in der Welt und in seinen Depressionen war. Das war zuviel. Denn J. hatte nicht nur sich gefährdet, er war auch unter Einfluss dieser Aufputschmittel mit unserem Kind Auto gefahren Ich stellte ihn vor die Wahl, diese kranke Freundschaft zu beenden, oder unsere Ehe aufzugeben. Zunächst zeigte J. sich ganz einsichtig, ging mit mir zum Arzt, ließ sich Medikamente verschreiben und besuchte die Dro.. Unsere Ehe wäre beinahe endgültig daran zerbrochen, da J. ernsthaft erwog, die Freundschaft zu erhalten. Irgendwann setzte sich C. durch sein krankhaftes, feindseliges Verhalten zum Glück selbst ausser Kraft. Ich bin immer noch erschüttert, dass J. es nicht eher begriffen hat. Er sagte immer: C. ist genauso wie ich, deswegen kann ich ihn einschätzen. Ich weiß schon, wie ihn zu nehmen habe. Aus welchen Gründen er mit mir befreundet ist, ist mir egal. Hauptsache wir haben Spaß zusammen.
Seitdem hatten wir tatsächlich Frieden vor größeren Katastrophen. Ich kam in der Bewältigung meiner Krankheit Schritt für Schritt voran, bis ich wieder rausgehen und einkaufen konnte. Ich lief ein halbes Jahr hinter J. her, führte Telefonate, setzte Schreiben auf, bis er endlich einen Therapieplatz bekam. Dann ging ich für sechs Wochen in die KLinik. Ich hatte immer panische Angst davor gehabt, aber jetzt wollte ich mich dem endlich stellen. Ich bat Jan, unsere Wohnung zu pflegen, konnte mir aber kaum vorstellen, dass er es tun würde. Ich ließ meinen Sohn schweren Herzens bei J. und meinen Schwiegereltern, da ich überzeugt war, dass würde langfristig mehr helfen. Ich machte hier drei Putzdurchgänge mit J., damit er auch alleine dazu imstande war. Dann ging ich.
Es war ein Umbruch, ich war verwirrt. Die Therapeuten sagten mir, dass all dass nicht hinnehmbar wäre, was in meiner Beziehung geschieht. Und dass ich auf mich schauen müsse. Als ich zurück kam wußte ich nicht mehr, in welche Richtung ich gehen soll. In die alte, Richtung Toleranz und Gelassenheit, oder in die Neue, meine eigenen Grenzen zu vertreten. Sollte ich J. nun als hilflosen Kranken, oder als ignoranten Egozentriker einstufen.
J. ging es furchtbar. Er hatte eine depressive Phase gehabt und die Wohnung war vollkommen Verkommen. Dabei hatte J. mir noch gesagt, er begreife all dass als Chance, sich in seiner Selbstständigkeit zu beweisen. Laut ihm ließe ich ihn ja nicht. Ich war irgendwie mächtig enttäuscht, obwohl ich diesen Ausgang befürchtet hatte.
Bald wurde auch bei J. die Diagnose bipolare Störung gestellt. Und ich wußte nicht mehr, was nun Krankheit oder Bequemlichkeit, Verlogenheit oder Hilflosigkeit war. Wir teilten keine Nähe mehr. Ich hatte auf einmal soviel Wut im Bauch. All dass, was ich mir zuvor erarbeitet hatte, damit wir glücklich sein können, konnte ich auf einmal nicht mehr abrufen. J. ging es damit schlecht. Ich war nun unabhängiger und distanziert. J. wünschte sich immer wieder Nähe, aber ich konnte sie nicht geben. Ich wollte es auch so sehr, aber es ging nicht.
Wir trennten uns immer öfter räumlich, weil ich sein ganzes Lebenschaos nicht rund um die Uhr ertrug. Manchmal dachte ich mir: Das erträgst du alles nur als Gast, nicht als selbstverständliches gemeinsames Leben. Ich hoffte durch den Abstand würde wieder meine Sehnsucht und all die anderen Gefühle zum tragen kommen. Aber ich steckte so in meinen Mechanismen fest, dass ich mich meiner Wut langsam selbst ausgeliefert fühlte. Ich sagte mir immer, immer wieder: Willst Du Recht haben, oder glücklich sein? Ich wollte all die Dinge, die mich so störten hinnehmen, ganz bewusst, weil mir Verbundenheit und Harmonie wichtig sind. Und verdammt nochmal, ich hatte die Entscheidung getroffen, dass ich mit ihm zusammen bleiben will und dann hat mein Partner auch das Recht, sich geliebt und akzeptiert zu fühlen. Ich hängte mir Zettel hin, kniff mir in den Arm, um mich an mein Vorhaben zu erinnern und keine dreißig Sekunden später, war ich doch wieder wütend und angespannt. Und hinterher machte ich mir Vorwürfe!
Nun hat am Ende J. mich verlassen. Ich weiß, es ist sein gutes Recht. Und trotzdem bin ich verbittert, nachdem ich immer zu ihm gehalten habe. Ich weiß auch, dass es keinen besseren Grund für eine Trennung geben kann als unsere Geschichte und dass ich seine Bedürfnisse nicht erfülle. Und dennoch hätte ich alles so gerne anders. Ich kann mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen! Ich wäre so gerne mit ihm glücklich geworden. All mein Kampf, alle Bemühungen: Umsonst. Mein Traum von Familie, dahin. Ich habe solche Angst. Er ist doch mein Freund, mein Vertrauter, kennt mich wie kein anderer. Ich habe ihm zugesagt, dass sich etwas ändern wird. Ich habe schon ganz andere Sachen geschafft. Und jetzt, wo seine Behandlung beginnt, es mir viel besser geht, da könnte doch alles gut werden. Es tut so weh zu akzeptieren, dass er nicht mehr will. Er stellt sich in dieser Angelegenheit wieder sehr in den Mittelpunkt. Er könne nicht mehr, er hätte keine Kraft mehr. Als Beweis, dass er alles versucht hätte führt er ernsthaft auf, dass er mich seit einem Jahr nicht belogen hätte (was auch nicht stimmt) Ich weiß, dass mir nur bleibt, es zu akzeptieren. Aber ich bin auch wütend. Ich bin wütend, weil er sich gerade alles zurecht redet, wie es ihm gefällt. Wieder mal strickt er sich seine Wahrheit. Und die lautet seit Jahren, dass ich Schuld an seinem Unglück bin. Ja, eigentlich ist er in seinem Kopf wohl gar nicht wirklich krank, dass bin nur ich, weil ich ihm nicht dass gebe, was er braucht. Und weil er sich deswegen so schlecht fühlt. Sein Entschluss stand vor ein paar Tagen nicht mal und jetzt stellt er es als durchdachte Tatsache hin.
Er sagt mir, dass es nie wieder etwas wird zwischen uns.
Ich weiß nicht, was jetzt aus mir werden soll. J. wird eine Frau finden, die ihn glücklich macht. Er sieht gut aus und hat vieles von mir mitgenommen, was ihm im Leben hilfreich sein wird (Ganz abgesehen von vielen tollen Eigenschaften, die er natürlich in sich trägt). Er wohnt bei seinen Eltern, hat jetzt alle Freiheiten, wird das Leben genießen. Ich gönne es ihm. Es soll auch kein Grund sein, warum ich an der Beziehung festhalte. Aber bei mir wird es anders sein. Ich bin ja nun auch nicht einfach. Rausgehen ist immer noch kraftaufwändig. Ich habe keine Ahnung, was aus mir wird. Auch finanziell. Und überhaupt.
Ich habe furchtbare Angst wie es mir damit geht, wenn er eine neue Freundin hat.
Ich kann viel aushalten, wirklich. Aber wenn mich jemand verlässt, dann ist es, als würde man meine Resettaste drücken. Es spielt keine Rolle mehr, was ich dazu denke: Nur bitte verlass mich nicht.
Wie ist meine Frage? Ich weiß es nicht. Ich wollte gerne mal meine Geschichte schreiben in der Hoffnung, dass es mir hilft. Ich würde mich gerade gerne nicht so schrecklich einsam fühlen. Jemanden haben, der meine Gedanken mit mir teilt. Vielleicht einen Rat, wie man mit dieser schrecklichen Angst in sich umgeht. Es ist eben mein Urtrauma, auch schon in der vorherigen Beziehung, dass mich jemand verlässt. Mein Leben bestand schon immer aus viel, viel Angst. Und gerade bin ich wieder kurz vor der Panik.
Hat es überhaupt jemand bis hierhin geschafft?
27.08.2013 23:23 •
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