Habe ich mich so in ihm getäuscht?

Liebe hat dazu gelernt, Du bist so klug (+geisttreich) und tüchtig und warmherzig. Diese Männer sind doch alle grässlich, inclusive dem Letzten (wobei ich nicht sagen will, dass ich ein glückliches Händchen bei der Auswahl habe) und haben Deine Energie sinnlos verbrannt. Fahren lassen.
Die wird schon zurück kommen und es wird wieder gut. Um die Schwester kümmern ist sicher richtig und wärmt (vorausgesetzt Du schaffst es vom Energielevel her). Rückt die Welt auch wieder gerade, das Sinnvolle zu tun.

Danke für deine lieben Worte @Snape

Mein Jahresurlaub hat begonnen und ich könnte ihn schon mal damit würdig beginnen und feiern, indem ich die Wohnung putze und den miesen fiesen kleinen Fruchtfliegen den Kampf ansage.
Ansonsten steht das Programm schon- im Haus herumräumen und streichen, Schwester besuchen und ihr helfen und endlich mal ein paar Projekte hier in der Wohnung in Angriff nehmen.

Und statt loszulegen hab ich seit Tagen eine Art Brüt-und vor mich Hinstarr-Lähmung, durchsetzt mit der ein oder anderen Tasse Kaffee, bisschen telefonieren oder Schläfchen halten und sehr viel Grübeln. Nicht unbedingt immer traurig, aber definitv Grübeln.
Natürlich ist die Krankheit meiner Schwester jetzt nicht direkt ein Stimmungsaufheller, wer hätte das gedacht. Ich bewundere sie für ihren Pragmatismus und Kampfgeist und wenn ich ihr irgendwie helfen kann, dann bin ich schon glücklich. Ich komme ein- oder zweimal pro Woche, nehme die Wäsche mit, fahre mit ihr einkaufen, dann kochen wir zusammen und ich entmuffe nach und nach Ecken in ihrer Wohnung. Eigentlich schön. Wir waren uns lange nicht mehr so nahe und ich hab auf eine komische Art und Weise das Gefühl, sie hilft mir manchmal mehr als umgekehrt. Der hinternlange Zopf ist Geschichte, ich weiß nicht ob ich das schon geschrieben habe, das ging ganz schnell nach der zweiten Chemo. Sie hatte ein paar Mal beim Duschen eine Handvoll Haare in der Hand, schnappte sich Schere und Haarschneider und ab war die Pracht. Ich meinte, sie sähe gar nicht sooo schlecht aus. Bisschen wie Dobbie der Hauself. Ich bekam ein Kissen an den Kopf. Dir zu Ehren werde ich stets ein sauberes Geschirrtuch tragen, meinte sie.
Man darf Eierstockkrebs Figo 3 nicht googeln, habe ich festgestellt. Drei Jahre oder fünf Jahre. Prozentzahlen und Sterblichkeitsraten und Prognosen. Wie könnt ihr das schreiben, ihr Deppen, hab ich beim Lesen gedacht, das ist doch meine kleine Schwester.
Heute morgen kam ein youtube video von ihr, mit einem unglaublich infernalischen Volksmusikduo, das Wir sind alle gut drauf sang. Ich hab`s versehentlich angeklickt und wurde schon allein aus schierem Grauen wach. Stell dir mal vor, es gibt so was wie den Himmel, meinte sie und ich käme da rein und dann wären die alle so drauf da und es liefe den ganzen Tag Florian Silbereisen und Co. Du könntest zwischendurch zum Rauchen rausgehen oder so fluffige Ohrenschützer tragen, schlug ich vor. Ich hab die Wäsche fertig, meinte ich, ich bring die morgen.
Mit den echten Dramen im Leben ist es irgendwie komisch- man ist mitten drin wie meine Schwester und macht das Beste draus, putzt die Wohnung und versorgt die Miezis und arbeitet die Aufträge ab auf dass Geld hereinkommen möge und es ist irgendwie nicht richtig Zeit, Theater zu machen.

Was mich darauf brachte, mal darüber nachzudenken, in wieviel Drama ich mich so engagiert reinmanövriert habe in den letzten Jahren. Und wie in einem Film lief Szene für Szene in mir ab. Als hätte mich ein innerer Autopilot zuverlässig immer dorthin gesteuert, wo es nicht gut tut. Was hab ich denn eigentlich gesucht, ich frag mich das jetzt oft.
Seit ich hier so ganz alleine und ganz anderswo wohne und mich nichts mehr um mich herum an die letzten Jahre erinnert, denke ich ziemlich oft mal über den Zeckerich nach, der mich überhaupt erst in das Forum gebracht hat. Nicht dass sich mein Mann in eine andere Frau verliebt hat nach über 20 Jahren, wohlgemerkt. Es tut nicht mehr weh, darüber nachzudenken und ich schaffe es, mir mal in Ruhe alle Szenen der Geschichte anzusehen, ohne die früheren Tränenausbrüche, Wut oder Trauer.
Ich glaube, da war ganz sicher etwas, was ich in meiner Ehe vermisst habe und womit ich mich arrangiert hatte. Schlecht ging es uns ja nicht. Eigentlich eher ziemlich gut, wenn man mal Wochenendehe und unsere ziemlich verschiedenen Naturelle bedenkt. Das was ich vermisst habe, kann ich schlecht beschreiben. Ich habe in 20 Jahren gelernt, mich innerlich an meinen Mann anzupassen, weil ich neben den Gefühlen für ihn auch gespürt habe, dass mein bisschen chaotisches Innenleben, die ganze schlummernde Dramabereitschaft, die überbordende Fantasie und Leidenschaft die leider oder nicht leider auch zu mir gehört, mit ihm zusammen irgendwie im Zaum gehalten wurde, Sicherheit und Struktur erhielt und sozusagen runtergedimmt wurde. Er hat ein untrügliches Gespür und Talent, Gefühlsausbrüche und aufkommenden Übermut gleich mal im Keim zu ersticken. Also Zimmerlautstärke statt Partylärm. Das hilft ungemein, drei Kinder großzuziehen.
Wenn einer allerdings die großen Emotionen und 100 % liebte und brauchte, dann der Zeckerich. Und wenn einer ein Talent und Gespür dafür hatte, selbige aus Anderen und vor allem aus sich selbst hervorzukitzeln, dann ebenfalls der Zeckerich.
Und zwar voll aufgedreht und nix mit Zimmerlautstärke. Ich war wie berauscht davon, dass es da einen gibt, der genau denselben Geschichteausdenkekopf auf den Schultern hat wie ich. Und das auf Englisch. Nicht mal die Sprachbarriere hat da gestört- wir verstanden uns auf Anhieb. Wir konnten stundenlang reden und schreiben, bis zur Erschöpfung. Ich wollte auf jedenfalls mehr davon und bitte nur das. Ich konnte über meine Gedanken schreiben oder reden, über meine Bilder, meine Skulpturen, über meine Ehe, über meine Ängste, über die innere Leere die manchmal so quält- und voila, ich musste es nicht erst mühsam einem anderen Menschen übersetzen. Okay, ganz blöd war er ja wahrhaftig nicht- im Handbuch der Zeckeriche steht auch, dass man schön spiegelt, was so kommt, dann klappt es mit der Affäre auch. Aber zwei Chaostypen haben sich schon auch erkannt. Und mich Hals über Kopf dorthinein zu stürzen war ungleich verlockernder, als den gerade sehr festgefahrenen Ehekarren samt WE-Ehe und fremdverliebtem Ehehansel wieder flottzumachen. Zumal das ja auch sehr schmerzlich war damals. Und wir ja schon getrennt waren eigentlich. Ich glaube, mein Mann hat damals eigentlich insgeheim erwartet dass nach ausgiebiger Spinnerei seinerseits und altbekannter Geduld meinerseits wir wieder zusammenfinden. Wie halt eigentlich immer. Nicht dass er dauernd in andere Frauen verliebt gewesen wäre, da war er nicht der Typ für, aber naja- er hatte schon oft mal den Kopf bisschen in den Wolken und hat fast vergessen, dass ich auch noch da bin. Und die Kinder, von denen er zwei Drittel ja selbst fabriziert hat.

Wie gesagt, nicht schön aber nötig, mir das mal anzuschauen. Hatte ich ja mit meiner Therapeutin bisschen gemacht, aber da war ich auch noch frisch abgeschossen und total verletzt und konnte teilweise keine zwei Gedanken geradeaus denken, ohne nach den Tempotüchern zu greifen.

Dass es mir die Synapsen etwas zerschossen hat in den letzten vier oder fünf Jahre, ist auch klar. Ich hab überhaupt keine Lust mehr auf zu viel Nähe, Leidenschaft, zu viel Aktion, zu viel Gesellschaft, die Gefühle anderer, Verliebtsein.
Ich brauche gerade alle Zeit der Welt, um einfach zurückzufinden, mich wiederzufinden.
Abendelang mit sehr sehr viel Saustall und Gekrümel diese Badekugeln mit Natron zu machen. (Irgendwie ein Flop, es sprudelt schon, riecht aber wie Limo und in der Badewanne möcht ich das auch nicht haben) Filme anzuschauen und dabei gemütlich auf dem Sofa liegen. Radeltouren mit mir selbst zu planen. Mir Kochrezepte auszudenken. Mich auf Freunde zu freuen und meine Wohnung zu putzen, weil meine Kinder zu Besuch kommen. Topfpflanzen zu kaufen und diese netten Einrichtungsmagazine durchzublättern, in denen beschrieben wird, wie man Weite in engen Räumen schafft. (Komischerweise sind dann auf den Bildern sehr coole Lofts mit bodentiefen Fenstern, barocke Riesenspiegel und meterhohe Zimmerbäume und nie ein Miniwohnzimmer wie ich eines habe)
Alles normale bis langweilige Dinge. Aber wie neu fühlt sich das für mich wieder an. Wie sehr muss ich das wieder lernen. Einfach bei mir zu sein.
Niemanden vermissen.
Niemandem hinterzugrübeln.
Mal den inneren Tank wieder auffüllen.
Selbstachtung lernen.
Lieb zu sich zu sein.
Mal Trauer zuzulassen. Und sich dann wieder freuen.
Nicht Angst davor zu haben, allein mit sich zu sein.

Eigentlich ein Abenteuer, das man ganz mit sich alleine erleben darf.

Ich hatte eine so klasse Zeit hier- vielleicht nicht direkt nach meinem Aufschlag. Aber sogar dann, das hat mir viel geholfen in der ersten schlimmen Zeit.
Ich möchte mich für die vielen lieben Beiträge bedanken, die Ermutigungen, die vielen lustigen Momente.
Und ich glaube, für mich ist es an der Zeit, dass ich das Kapitel schließe und auch die Zeit in der ich fast automatisch hier lese und mitlese.
Ich bin jetzt einfach mal optimistisch, dass kein weiterer Hirnschaden mich so weit bringt wie ich letztes Jahr war.
Wenn`s zwei Leute gäbe, mit denen ich gerne mal einen Kaffee getrunken hätte, dann frischgeföhnt und pinie.
Falls hier noch lest- liebe Grüße. 3

@Verzaubert
Und du bist echt der Stinkstiefel von dem ich froh bin dass ich ihm nicht begegnet bin als es mir schlecht ging.

Ich wünsch Dir alles Gute, liebe @hatdazugelernt und werde es vermissen, Dich zu lesen.

Schön wär's, wenn Du angemeldet blieben, liebe @hatdazugelernt und ab und zu mal erzählst...ich les Dich so gern! Auf jeden Fall wünsche ich Dir Sonne im Herzen, denke an Deine kleine Schwester und habe das Wort Zeckerich in meinen Wortschatz integriert. Leb mal schön

Kann mich Holylake nur anschließen.

Liebe @hatdazugelernt vielen Dank für das hier..:

Zitat:

Und zwar voll aufgedreht und nix mit Zimmerlautstärke. Ich war wie berauscht davon, dass es da einen gibt, der genau denselben Geschichteausdenkekopf auf den Schultern hat wie ich.

Zitat:

Ich konnte über meine Gedanken schreiben oder reden,

Zitat:

ich musste es nicht erst mühsam einem anderen Menschen übersetzen.

...es ist das einzige, was ich an meinen schrägen Begegnungen der letzten Jahre wirklich bei der einen Person schmerzlich vermisse.
Ich habe das wichtigste davon nicht gelöscht. Das bleibt. Weil es u.a ein Zeugnis dafür ist, dass nicht alles schlecht ist an merkwürdigen Personen. Sie könne ungeahnte Energien freisetzen, einen zum Fliegen bringen. Und zu wissen, dass dies grundsätzlich geht. Zu fliegen, nicht nur davon zu träumen ist phantastisch.