(Hallo an die, die das hier lesen. Dieser Brief ist an meinen besten Freund/Feind/Ex/Seelenverwandten/Mich-in-den-Wahnsinn-Treiber gerichtet und wird zum ersten Mal all das beinhalten, was ich seit meinem 14. Lebensjahr, also dem Tag unsrer ersten Begegnung niemals wahrhaben wollte. Jetzt, da ich endlich weiß, dass ich es nicht mehr vor mir verbergen kann, muss ich es loswerden. Und wenn es nur in einem Forum ist.)
Tja.
Da sind wir also wieder, nach vier Jahren, beide gerade 18, und doch fühle ich mich wieder als dieses kleine 14-jährige Mädchen, als das ich dich damals kennengelernt habe. So gesehen hat sich seither nicht viel geändert. Wir haben immer noch die gleichen Verständigungsschwierigkeiten, immer noch die gleichen Gedanken und immer noch den gleichen Blick, wenn wir uns dann nach vielen Dramen endlich mal sehen. Trotzdem ist vieles passiert.
Als wir uns damals in diesem dämlichen Onlinegame kennengelernt haben, jeden Tag viele Stunden zusammen verbracht, letztendlich SMS geschrieben und telefoniert haben, hätte ich nie gedacht, dass ich als Erwachsene immer noch so von dir beeinflusst werden würde. Du hattest diese direkte, sarkastische, offene und kühle Art, du warst der böse Junge aus dem Ghetto, ich so ziemlich das genaue Gegenteil; wohlbehütet, verschlossen, melancholisch und ständig von allem und jedem unverstanden.
Trotzdem bist du mein bester Freund geworden.
Natürlich, Onlinebekanntschaften halten bekanntlich nicht ewig, schon gar nicht sind sie vergleichbar mit realen Freunden. Trotzdem warst du der, dem ich alles gesagt habe, dem ich jeden Gedanken anvertraut habe, und auf den ich gehört habe...du hast mir immer beigestanden, und auch wenn du oftmals gefühlskalt und gleichgültig gewirkt hast, du warst immer da, hast mir immer zugehört und mir geraten, mich von allem freizumachen, was mich hindert, glücklich zu sein. Du hast mir bei meiner ersten Beziehung beigestanden, so wie ich dir bei deinen unzähligen Freundinnen, die dir niemals so wichtig waren wie ich. Ich habe dir vertraut, das tue ich bis heute.
Unser erstes Treffen, nach über zwei Jahren, in denen wir nicht verliebt, aber doch so etwas in der Art waren; für das wir gekämpft haben...So viele Kilometer weg von Zuhause...diese eine Frage: Darf ich dich umarmen?...es war wie im Film. Und dann die drei Tage später, als du dich einfach in den Zug gesetzt hast, weil du sagtest, du liebst mich...
Was war das nur für ein Kindergarten Mein Gott, unsre Eltern waren ganz schön *beep*. Meine Mutter hat dich eh gehasst...der *beep* Schulabbrecher...natürlich ist das nicht gut. Das weißt du mittlerweile. Wir hatten diese furchtbar unnötige Beziehung, die unsre Freundschaft kaputt gemacht hat, die uns selbst kaputt gemacht hat, die diese endlose Distanz geschaffen hat, weil wir uns nie sehen konnten. Du hattest Recht....man muss über Dinge, die man weiß, nicht reden. Wir wussten, dass wir uns lieben...warum mussten wir es uns sagen.
Jeden Tag dieses Glücksgefühl, wenn ich deine unsagbar tolle Stimme gehört hab, und dann die Enttäuschung, wenn ich realisiert habe, dass du nie da sein würdest. Es war einfach zu schwierig. Du hast mich verletzt, als du Schluss gemacht hast und kurz darauf mehrere Beziehungen hattest, aber am Schlimmsten war, dass du immer noch mein bester Freund sein wolltest, immer noch Gefühle für mich hattest.
Ich habe dich immer geliebt.
Unsre Wege gingen auseinander, immer für viele Monate, doch dann auch wieder zusammen. Viermal den Kontakt abgebrochen, viermal wieder aufgenommen...Immer einer von uns beiden, und immer war die Vertrautheit wieder da...Letztes Jahr dann hast du sie getroffen. Dieses Mädchen. Und ich brach den Kontakt ab, weil ich es nicht aushielt ohne dich zu sein. Du hast mich tausende Male angerufen, SMS geschrieben, die mir so wehtaten, weil du alle Gefühle gezeigt hast, die ich davor von dir erwartet hatte... du sagtest, du warst so kalt und gemein zu mir, weil du mir nicht zeigen wolltest, wie viele Gefühle du noch für mich hattest. Dafür hasse ich dich. Ich hatte es nie geahnt. Obwohl ich dich so gut kannte...nur wenn es um mich ging, hatte ich keine Ahnung, was du eigentlich denkst.
Als wir vor kurzem wieder den Kontakt aufgenommen haben, war es so...neutral. Sachlicher Informationsaustausch, ohne Tabus wurde jede Kleinigkeit erzählt, dennoch, keine Gefühle dabei. Ich dachte, ich könnte mit dir normal reden, dass diese Seelenverwandtschaft, wie wir es damals nannten, verflogen sei. Du hast diese Freundin tatsächlich immer noch.
Und sie ist schwanger von dir.
Als du davon erfahren hast und mich als erstes angerufen hast, weil du es nicht glauben wolltest, da musste ich weinen, auch wenn du es nicht gehört hast...warum nur...warum. Du bist noch fast ein Kind, du kannst kaum für dich selbst sorgen, das weißt du, und ich wollte immer für dich da sein und dir helfen...du hast keinen Job und keinen Abschluss, SIE geht noch zur Schule...und sie hasst mich. Weil du ihr gesagt hast, ich sei das einzige Mädchen, das du je geliebt hast. Weißt du, wie sehr ich heulen muss, wenn ich nur daran denke?! Du bist für sie da, du unterstützt sie, und ich bin so stolz darauf, dass du endlich Verantwortung übernimmst, dass du dich endlich kümmerst, dass du jetzt eine eigene Wohnung hast, dass du endlich eine gute Beziehung zu deiner schwerkranken Mutter hast, für sie da bist...aber WARUM kannst du mir nicht einfach sagen, dass ich dir egal bin? Warum musst du mir von all dem erzählen und mir danach sagen: Du bist der einzige Mensch, der all meine Gefühle kennt. Danke, dass du immer da bist. Wie soll ich dich so vergessen?
Als ich letzten Freitag bei dir war, und SIE auch da war, deine Freunde da waren und jeder wusste wer ich bin, weil du jedem von mir erzählt hast...als wir draußen auf dem Balkon standen und zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht geredet haben, ohne uns zu verstecken...als wir endlich allein waren, und du mich zum Abschied fragtest Darf ich dich umarmen? und wir uns umarmten wie zwei Fremde, denn obwohl du mich so fest an dich gedrückt hast, war da zwischen uns diese Mauer...da war es für einen Moment wieder so wie damals...aber mit dem Sturm kam die Erkenntnis, dass es nie mehr so sein wird. Es hat nie eine Chance für uns gegeben und jetzt...jetzt hast du bald deine eigene Familie. Und lieber würde ich sterben, als irgendetwas kaputt zu machen, auch wenn du mir sagtest, du wärst froh wenn du und ich...ja, was überhaupt? Du hast es nie zu Ende gesagt, weil du ein schlechtes Gewissen hattest. Du liebst SIE, du wirst für sie da sein, und doch...doch weißt du, dass das, was zwischen uns war und immer sein wird, etwas Starkes ist, was niemand versteht, nicht einmal wir selbst.
Sag mir einfach, was soll ich tun? Wir telefonieren ab und zu, du erzählst mir von allem, ich erzähle dir von allem, nur das eine, das schweigen wir tot.
Dass wir uns vermissen.
Dass wir gezwungen sind, erwachsen zu werden.
Dass ich dich immer noch liebe.
05.12.2011 23:11 •
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