der Duft wird zum Glück verfliegen und durch einen besseren abgelöst...
Schön so, ich liebe das Leben mit allem wuchernden Zwiespalt! Dass ihre liebe vor einigen Wochen noch ehrlich und herrlich war, wer zweifelt daran? Hingabe und Geschenk, Traum, Glück. Dass man sich nahe gestanden wie zwei Menschen sich näher nicht sein können und dann, nach einem Fegefeuer verlogener Leidenschaften, Eifersüchte, Rachsüchte, dass es weg ist, einfach weg, dass es einem anderen Mann empfängt und ihn mit ihren entzücken mag. mein Gott, und dass in alldem eine tiefe, kühle, weltsinnige Wonne liegt, eine Demut, eine Bekenntnis, ein Annehmen, ja, daß all dies ehrlich und von Herzen voll sein kann, herrlich, so grausam wie herrlich! Es gibt kein anderes vorwärts, wir müssen hindurch. Durch uns, durch die Welt, durch alle Seligkeiten und Schmerzen des Lebens! Wo der Geiz, das Besserwissen aufhört, beginnt die Ahnung...
Wenn es soweit ist: wenn der Blick zweier Augen, der Glanz eines vertrauten Gesichtes, den du jahrelang auf dich bezogen hast, plötzlich einem andern gilt; genau so. Ihre Hand, die dem andern in die Haare greift, du kennst sie. Es ist nur ein Scherz, ein Spiel, aber du kennst es. Gemeinsames und Vertrautes, jenseits des Sagbaren, sind in dieser Hand, und plötzlich siehst du es von aussen, ihr Spiel, fühlend, dass es für ihre Hand keinen Unterschied macht, wessen Haar sie zerzaust, und dass alles, was du als euer Letzteigenes empfunden hast, auch ohne dich geht; genau so. Obschon du es aus Erfahrung weisst, wie auswechselbar der Liebespartner ist, bestürzt es dich. Nicht allein, dass es nicht weitergeht, es bestürzt dich ein Verdacht, alles Gewesene betreffend, ein höhnisches Gefühl von Einsamkeit, so als wäre sie (du denkst sie auch schon ohne Namen) niemals bei dir gewesen, nur bei deinem Haar, bei deinem Gesicht, das dich plötzlich ekelt, und als hätte sie dich, so oft sie deinen Namen nannte, jedesmal betrogen...
Anderseits weisst du genau:
Auch sie ist nicht die einzig mögliche Partnerin deiner Liebe. Wäre sie nicht gewesen, hättest du deine Liebe an einer anderen erfahren. Im Übrigen kennst du, was niemanden angeht, nur dich: deine Träume, die das Auswechselbare bis zum völlig Gesichtslosen treiben, und wenn du nicht ganz verlogen bist, kannst du dir nicht verhehlen, dass alles, was man gemeinsam erlebt und als ein Letzt-Gemeinsames empfunden hat, auch ohne sie gegangen wäre; genau so. Nämlich so, wie es dir überhaupt möglich ist, und vielleicht, siehe da, ist es gar nicht jenes Auswechselbare, was im Augenblick, da ihre Hand in das andere Haar greift, einen so satanischen Stich gibt, im Gegenteil, es ist die Angst, dass es für ihre Hand vielleicht doch einen Unterschied macht.
Keine Rede davon: Ihr seid nicht auswechselbar, du und er. Du kannst nicht über deine Grenzen hinaus, aber sie. Auch sie kann nicht über die ihren hinaus, gewiss, aber über deine; wie du über die ihren. Hast du nicht gewusst, dass wir alle begrenzt sind? Dieses Bewusstsein ist bitter schon im Stillen, schon unter zwei Augen. Nun hast du das Gefühl wie jeder, dessen Grenzen überschritten werden und dadurch sozusagen gezeigt, das Gefühl, das dich an den Pranger stellt. Daher bleibt es nicht bei der Trauer, hinzu kommt die Wut, die Wut der Scham, die den Eifersüchtigen oft gemein macht, rachsüchtig und dumm, die Angst, minderwertig zu sein. Plötzlich, in der Tat, kannst du es selber nicht mehr glauben, dass sie dich wirklich geliebt habe. Sie hat dich aber wirklich geliebt. Dich! - aber du, wie gesagt, bist nicht alles, was in der Liebe möglich ist...
Auch er nicht! - - - Auch sie nicht! - - - Niemand!
Daran müssen wir uns schon gewöhnen, denke ich, um nicht lächerlich zu werden, nicht verlogen zu werden, um nicht die Liebe schlechthin zu erwürgen - .
max frisch, Tagebuch...
28.08.2004 16:20 •
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