Weißt Du, ich denke, daß Wert-Vorstellungen eben genau das sind: Vorstellungen. Wir glauben zu wissen, wie wir uns in einer Situation verhalten; wir hoffen, uns für das jeweils Richtige (immer vorausgesetzt, daß ein solches existiert) zu entscheiden; wir nehmen Ungerechtigkeit in anderen Situationen wahr und lassen uns von unserer Empörung verleiten, zu glauben, daß wir nicht ungerecht handeln würden.
Was bleibt, ist aber, daß niemand wirklich weiß, wie man sich in einer konkreten Situation tatsächlich verhält.
Ich glaube, daß ein entscheidender Grund dafür ist, daß wir uns zwar Situationen vorstellen können, Positionen beziehen, Meinungen bilden, aber echte Vorstellung zu unserer Gefühlswelt ist schwierig. Klar kann man glauben, man wäre, wenn x oder y passiert, wütend, aber ob daß dann wirklich so ist…
Für die, die dann zurückbleiben ist das natürlich total schwer. Da ist der Schmerz der Trennung und gleichzeitig, fängt man an sich zu fragen, ob man den anderen wirklich gekannt hat. Vielleicht liege ich falsch, aber ich glaube schon, daß das auch ganz viel damit zu tun hat, wie gut derjenige, der gegangen ist, sich selbst kennt bzw gekannt hat.
Wer weiß, ob Deine Ex nicht wirklich gedacht hat, daß sie so etwas nie machen würde, nur um dann eben erstaunt festzustellen, daß niemand vor dem Spiel des Lebens sicher ist.
Nun zu Deinem zweiten Post: Hier mal in der „fürchterlichen“ Klarheit. Nein! Das Vergangene muß nicht aufgearbeitet werden. Nicht in dieser Generalisierung. Ob jemand Vergangenheit aufarbeiten möchte, bereit ist dies zu tun und schließlich es auch macht, selbst in welchem Maße, ist immer persönliche Entscheidung.
Dieser Grundsatz, daß Vergangenes immer aufzuarbeiten wäre, ist ein Irrtum. Ich gebe Dir Recht, daß es für die meisten Menschen besser wäre, sich damit auseinanderzusetzen. Aber das ist eben (m)ein Wunsch. Es gibt viele, die leben ihr Leben auch so und spüren dabei keine Einschränkung. Es gibt andere, für die geht es nicht weiter, ohne daß sie sich intensiv mit dem Vergangenen auseinandergesetzt haben. Und es gibt jede Menge Graustufen dazwischen.
Wer weiß, wie lange Deine Ex sich schon mit ihrer Sicht auf die Beziehung auseinandergesetzt hat? Wäre möglich und denkbar, daß es nicht erst seit gestern ist. In dem Fall hat sie vielleicht einen zeitlichen Vorsprung. Den kannst Du nicht mehr einholen. Für Dich beginnt diese Reise eben erst jetzt.
Last not least, zur Frage, wie man sich so schnell für einen anderen öffnen kann. Schau, in erster Linie ist das eine Nebelbombe Deines Intellekts. Diese Frage ist eigentlich dazu da, etwas so ungeheuerliches, nicht verstehbares, in der Situation auch irgendwie nicht akzeptierbares (10 Jahre sind eine sehr lange Zeit) erträglicher zu machen. Unser Intellekt macht uns glauben, daß wenn wir die Antwort auf diese Frage (oder eben eine ähnliche… die berühmten Abschlussgespräche) finden würden, dann könnten wir all das besser verstehen. Und wenn wir es besser verstünden, dann würde es vielleicht auch unser Herz verstehen, es würde aber jedenfalls weniger weh tun.
Nebelbomben, nichts als Nebelbomben. Selbst wenn Dir Deine Ex eine für Dich nachvollziehbare Antwort auf diese Frage geben würde (könnte), würde dies nur zur nächsten Frage führen…. und das Spiel setzt sich fort.
Hinsichtlich der konkreten Frage ist es ja eigentlich gar nicht so schwer zu verstehen. Wie kann eine (noch währende) Liebe zu Dir neben dem Neuen bestehen. Das kennen wir doch alle, es gibt viele Arten von Liebe. Die Liebe zu den eigenen Kindern, Eltern oder Freunden verlischt doch nicht, wenn ich mich neu ver-liebe.
Aller Wahrscheinlichkeit hängt Deine Ex-Freundin noch sehr an Dir, wie auch nicht nach zehn Jahren. Außerdem mag sie Dir vermutlich auch nicht weh tun (also mehr als sie es ohnehin getan hat). Im Zweifel will sie nicht einmal, daß es Dir schlecht geht.
Sie hat nicht ihr Her oder ihren Kopf öffnen müssen für etwas Neues. Es ist einfach passiert.
Es gibt halt so Situationen, in denen passiert das und natürlich können Du und ich uns jetzt hinstellen und sagen, also mir (!) würde das nie passieren… Aber auch das stellen wir uns halt in diesem Moment, genau jetzt, nur eben so vor.
In diesem Sinne wünsche ich Dir ganz viel Kraft. Schau auf Dich.
21.03.2016 16:07 •
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