Liebe H.
was Du da sagst und wie Du deinen Mann beschreibst, daß hätte auch von meiner zukünftigen Ex-Frau kommen können.
Auch ich habe es im Laufe der Jahre versäumt, das aus mir rauszuholen, was wirklich drin war.
Im Grunde meines Herzens liebe ich die Romantik. In den letzten Tagen habe ich mich oft gefragt, warum ich vieles einfach vergraben habe. Dabei ist mir eines klar geworden. Ich bin anfänglich in eine Rolle reingeschlüpft, die ich dann nicht mehr abstreifen konnte. Bei uns war es notwendig, daß ich zunächst Selbstvertrauen für zwei haben mußte. Das konnte ich erst nach langer Zeit auf meine Frau übertragen, die heute das Gegenteil von dem ist, was sie war, als wir zusammenkamen.
Dann im Laufe der Zeit geriet einfach vieles in Vergessenheit. So ab und an blitzte dann mal was auf. Meist nur bei besonderen Gelegenheiten.
Auch haben wir von der Familie her nie gelernt, offen unsere Gefühle auszusprechen. Dies lernte ich eigentlich so richtig erst jetzt, durch die Trennung. Hier im Forum habe ich einen guten Teil meiner Seele entblößt.
Aber das Potential, das in mir ruhte, wollte einfach in der Ehe nicht wach werden.
Um jeweils das Beste aus dem anderen herauszuholen, dazu gehört auch ein starker Partner. Dazu war meine Frau auch nicht in der Lage. Das weiß ich jetzt.
Ich möchte Dir da keine Vorwürfe machen, bitte versteh mich richtig. Dies ist meine Situation, die durch Deine Schilderung angeregt, hier von mir dargestellt wird. Vielleicht hilft es Dir etwas, Deinen Mann mal von einer anderen Seite zu sehen.
Dann zu Deinem Gefühl, was verpasst zu haben. Verpassen wir nicht unser ganzes Leben etwas? Wenn Du auf einer langen Straße ziellos entlang fährst, einfach weil es so sein soll, und Du kommst an eine Gabelung. Du mußt dich für einen Weg entscheiden. Niemals wirst Du wissen, was Dir der andere Weg gebracht hätte!
Als ich damals meine Ausbildung begann, hatte ich drei Stellen zur Auswahl. Was habe ich wohl alles verpasst, weil ich meinen Weg gegangen bin. Vielleicht wäre mein Leben völlig anders gelaufen. Wahrscheinlich sogar. Möglicherweise hätte sich mein Traum von einer geliebten Frau und Kindern erfüllt, was mir jetzt versagt geblieben ist. Wer weiß das schon. Und es ist müßig, darüber zu philosopieren.
Laß bitte nicht das Gefühl, dü könntest etwas verpassen von Dir die Oberhand gewinnen. Das ist die verkehrteste Grundlage für eine Entscheidung.
Für Dich sehe ich die Situation, wie ich es meiner Frau beschrieben habe und mir war auch genau in dem Moment klar, das ich verloren hatte.
Ihr habe ich gesagt, wenn sie bei mir bleiben würde, würde sie sich immer die Frage stellen, was wäre gewesen, wenn sie sich für mich entschieden hätte. Sie war genauso davon überzeugt, etwas verpassen zu können. Ich konnte und wollte ihr nichts versprechen, was sich bei mir und unserer Partnerschaft ändern würde. Ich wollte kein Fundament aus Sand erschaffen. So habe ich also verloren.
Aber H. eines kann ich Dir sagen. Sie hat noch viel mehr verloren. Das was ich jetzt erlebt habe, macht mich zu einem anderen Menschen. Mit den Erfahrungen dieser Zeit sind meine Empfindungen richtig erwacht und in der Zukunft werde ich irgendwann in der Lage sein, einer Frau deutlich mehr zu geben, als ich es in meiner Ehe konnte. Die Früchte des hier erblühenden Baumes wird meine derzeitige Frau nicht mehr ernten.
Du hast Dich innerlich schon entschieden. Dies entnehme ich den an mich gerichteten Absatz, daß Du einfach neue Erfahrungen machen möchtest.
Bitte sei fair zu Dir selbst und fair zu Deinem Mann. Suche dann eine Trennung im Einvernehmen, es macht Euch beiden die Sache einfacher, glaube mir. Auch meine Frau und ich trennen uns wie man so schön sagt gütlich.
Beginne Dein neues Leben nicht auf dem Streit in der Vergangenheit, darunter hättest du viel länger zu leiden. Und leiden wirst auch Du. So hart das auch klingen mag, es ist nur gerecht.
Trotz allem wünsche ich Dir, das Du Kraft findest, den Mut behälst, Deinen Weg zu gehen und ich wünsche Dir auch von ganzem Herzen, daß du nicht an die falschen Männer gerätst. Laß Dich nicht unterkriegen und behalte Dein Selbstbewußtsein.
So, nun hab ich eigentlich viel länger geschrieben, als ich es ursprünglich wollte, aber da mir Deine Situation und vor allem auch die Deines Mannes sehr vertraut ist, lief vielleicht mein Herz etwas über.
Nochmals, Dir viel Glück und einen guten, friedvollen Weg, aber auch Deinem Mann wünsche ich von Herzen Kraft, Glaube, Mut und Hoffnung.
Nordlicht
07.10.2002 21:58 •
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