Die nachfolgenden Zeilen habe ich bei einem aussergewöhnlichen deutschen Dichter gefunden.
Ich poste sie hier, mich verabschiedend, für Dich mein Freund, den ich zu kennen nur glaubte:
Liebende schlossen ihn von allen Seiten ein
Wieviel Zeit hatte er gebraucht, um seinen ältesten verhängnisvollsten Fehler einzusehen: dass er Liebe, die auf ihn ausging, wie seine eigene Angelegenheit nahm, obwohl sie doch die entfernteste war, vielleicht überhaupt keine, indifferen wie der Zahnschmerz eines Fremden. Warum in aller Welt hatte er sich dann immer veranlasst gefühlt, den Zahnarzt zu spielen? Statt einfach nicht hinzusehen, nicht zu wissen. Es wäre eine herrliche Keuschheit seiner Natur gewesen, nicht zu verstehen, dass die anderen liebten, es einfach nicht zu verstehen. Aber auf ihn stürzte sich der Einfluss selbst aus dem möglichen Aufblick einer Vorübergehenden, bewog, rührte, verführte ihn. Und was ihn schliesslich zu etwas Starrem, Anstehenden machte, das war die Gewalt so vieler ihn meinender, von im unterhaltener, unabgelehnter , halb hingenommener Gefühle. Alle Strömungen gingen auf ihn zu; er konnte mit keiner Empfindung aus sich heraus wieder ihre Flut. Liebende schlossen ihn von allen Seiten ein. Er war in der Lage eines Gottes, der keinen Ausweg mehr hat auf der von ihm überfüllten Welt, dem nur die Senkrechte bleibt: Höllensturz oder Himmelfahrt. Daher seine Erfahrung , ein Gestorbener zu sein, da ihm alles Menschliche abgeschnitten war und er doch nicht des Göttlichen mächtig wurde.
Wenn sie ihm Blumen brachten, viel zu viele, zu schwere, übertriebene Blumen, so wünschte er ein Grab zu sein, um nicht die Mühe zu haben, sie zu ordnen und zu erhalten. Und sie kamen auch wie zu einem Grab zu ihm, dem Wehrlosen, der sich Rührung und Hingabe so schamlos gefallen liess. Hatte er alle Jahre seines Lebens verbracht, ohne hart zu sein? Er entschloss sich, es zu werden in seinem achtundreissigsten Jahr. Ändern, sagte er, ändern. In der Zeit, da seine ganze Natur unermesslich danach begehrte zu lieben, sah er schmerzlich ein, dass er den Gegenstand seiner Liebe nicht finden würde, solange er gegen die, die ihn zu lieben meinten, empfänglich und nachgiebig war. Diese Gesichter, die sich zu ihm drängten, aufgeschlagen, verstellten ihm den Ausblick auf das scheue, gesenkte Gesicht der fremden Geliebten. Die Ahnung ihrer Züge erlosch in ihm über der Deutlichkeit derer, die gekommen waren, ihn zu lieben. Er wurde irre. Er stand an einer Strassenecke und wusste sie nicht mehr. Er wartete und wusste sie nicht mehr. Er konnte nicht mehr träumen: alle seine Zukunft war vorüber.
Und doch hoffe ich, weiss ich, es ist noch nicht zu spät! Für keinen von uns.
13.08.2003 18:56 •
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