Im Grund genommen sind Depressionen leicht zu erkennen. Aber nur bei Anderen. Wer selbst Depressionen hat, sieht das oft nicht. Er denkt an eine schlechte Phase, an ein das wird schon wieder, obwohl es nicht wieder wird. Bis irgendwann der Punkt erreicht ist, der einem sagt: Du schaffst das einfach nicht. Nicht allein, nicht ohne Hilfe von außen. Dann kommt der Hilferuf, der einen zum Psychotherapeuten/Psychologen/Neurologen führt.
Mein Mann hatte die Diagnose der Depression bekommen. Ich selbst habe es bei ihm nicht richtig erkannt. Der Blick zu einer Person, die einem nahe steht, ist selten objektiv. Ich dachte, gut zureden, hilft. Von Hoffnung zu reden, hilft. Dabei ist das nur ein Indiz für das Unverständnis. Und ein Zeichen für die eigene Hilflosigkeit.
Mein Mann nimmt nach Jahren immer noch Medikamente, ohne schafft er es nicht. Und er ist gefährdet, auch das ist klar erkennbar. Wen die Depression einmal hat, den lässt sie oft nicht mehr los. Es kann jederzeit wieder zu einer Krise kommen.
Und er kann oft das Gedankenkarussell nicht ausblenden und nicht steuern. Es kommt, es ist da und er kriegt es nicht mehr richtig weg. Das weitere Lebensgefühl ist eingeschränkt, oft auf Jahre. Denn hinzu kommt die Angst, dass es jederzeit wieder kommen kann, unter Umständen schlimmer als zuvor. Er weiß das, aber er kriegt es auch nicht in den Griff, dieses Gedankenkarussell. Zeitweise kommt es wieder.
Aber er kann aufstehen, rausgehen und hat Wege gefunden. Er war nie so weit, dass er nicht mehr aufstehen konnte.
Uns sind die Auslöser für die Depression klar. Zu viel Arbeit, zu wenig Wertschätzung, stattdessen die Aufbürdung immer weiterer Arbeiten. Mein Mann konnte keine Grenzen setzen. Das hätte er lernen können oder müssen, aber es ging ihm gegen den Strich. Er konnte nicht gegen sein Pflichtgefühl und auch nicht gegen seine Feigheit an. Hinzu kamen Beziehungsprobleme und alles in allem sind das die besten Voraussetzungen für eine Depression. Auch die Medikamente machen keinen fröhlichen Menschen aus ihm, aber es gibt Wege, damit umzugehen.
Ich versuche es zu verstehen und ihn nicht abzuurteilen. Aber es wirkt sich aus, auf die Beziehung.Manchmal ist es schwer, damit umzugehen und anzuerkennen, dass der Partner nicht so funktioniert wie man es erwartet. Und ich versuche, mich nicht in einen Abwärtsstrudel ziehen zu lassen. Ich grenze mich ein Stück weit davon ab, schon aus Selbstschutz.
Gibt es mehr Depressionen als früher? Ich weiß es nicht. Tatsache ist, dass die Betroffenen jetzt eher das bei sich selbst anerkennen, dass sie depressiv sind. Und hinzu kommt eine größere Akzeptanz der Gesellschaft, auch wenn man nicht gerne darüber spricht. Und damit geht einher, dass man sich eher Hilfe holt, ehe man gar nicht mehr kann.
Wir hatten einen schlimmen Fall im Bekanntenkreis. Der Mann hatte den Job verloren, war etwas über 50, schrieb Bewerbungen ohne Ende und ohne Erfolg. Hinzu kamen Existenzängste, die letztendlich zu Hartz IV hätten führen können. Er lag eines Tages im Bett und konnte nicht mehr aufstehen. Starrte Löcher in die Luft, aß fast nichts und war nicht mehr zugänglich. Sagte seine Frau was, sagte er, bring mir einen STrick, damit ich mich aufhängen kann.
Sie lieferte ihn im Bezirkskrankenhaus ein, Therapie für ein paar Wochen. Kaum daheim, ging es wieder schlechter. Nochmals Therapie im BKH für einige Monate.
Er kam raus, er fand wieder einen Job. Aber er ist gefährdet, denn Depressionen sind heimtückisch.Ich bin sicher, dass auch er noch immer Medikamente nimmt.
Und eine ehemalige Schulkameradin hat sich aufgehängt. Vier Söhne, natürlich verheiratet, angeblich gute Ehe, eigenes Haus, beruflich etabliert, Mitglied im Pfarrgemeinderat und im örtlichen Tennisverein. Bilderbuchleben, von außen betrachtet. Dann kam sie wohl längere Zeit nicht in die Arbeit und war krank geschrieben. Die Düsternis hat sie in den Selbstmord getrieben und der jüngste Sohn fand sie im Treppenhaus an einem Seil. als er nach Hause kam. Mehr weiß ich nicht.
Hilft Dir das was? Nein. Eine letztendliche Definition von Depressionen wird es nicht geben, denn es ist auch ein unscharfes Krankheitsbild. Früher im vorigen Jahrhundert nannte man es oft Neurastenie, was wohl heute Depression heißt. Anzeichen sind im Netz sicher zu Hauf zu finden.
Depressionen hat es schon immer gegeben, aber vielleicht nicht unter dieser Bezeichnung. Und die Leute lebten damit oder auch nicht.
Man muss natürlich auch viele Aspekte einbeziehen. War man früher oft in einen Familienverband eingebunden und auch in einen Dorfverband, so ist das heute nicht mehr so. Die Menschen leben isolierter, ohne emotionalen Rückhalt, der sie auch stabilisieren konnte. Hinzu kommen fragile Familienverhältnisse wie Scheidungen, wechselnde Partner der Eltern, die Unfähigkeit, Konflikte zu lösen, evt. Gewalterlebnisse.
So was prägt einen jungen Menschen oder ein Kind oft für das restliche Leben. Wer erlebt, dass er im Grund genommen allein da steht, dass keiner zuverlässig für ihn da ist, wird es im späteren Leben schwer haben, mit diesen unbewussten Ängsten umzugehen. Die Ängste zeigen sich nicht offen, sie äußern sich aber z.B. in wechselnden Beziehungen, weil der Geschädigte beständig nach der Suche nach einer Sicherheit ist, die er nicht findet. Beziehungen bleiben oft in der Oberfläche hängen oder werden aktiv kaputt gemacht, weil das innere Bild sagt: verlass Dich auf keinen, Du bist allein und Bindungen sind gefährlich, denn sie tun nur weh. Das äußert sich dann oft in Bindungsunfähigkeit.
Eine innere Sehnsucht nach Liebe und Vertrauen ist da, aber sie kann nicht gestillt und nicht angenommen werden, weil das innere Programm dagegen ist. Der Mensch wird zu einem Suchenden. Was er sucht, weiß er nicht, aber hinter dem nächsten Hügel (wahlweise der nächsten Frau, dem nächsten Mann), könnte er es finden. Oft eine Suche ohne ein Ankommen, weil der Prozess nie beendet wird. Der, die hat nicht getaugt, ihn nicht verstanden, nicht akzeptiert und dann noch ihr Gequake von Familie und Kindern und ihr dicker Hintern. Gräßlich, auf zur nächsten, die zunächst eine Stabilisierung bringt, aber nicht für lange.
Sich damit auseinander zu setzen, wird meist vermieden, denn das Davonlaufen ist eine bequeme Lösung. Probier ich halt was Neues und wenn es wieder nicht klappt, dann wieder. Das innere Programm kann über Jahre abgespult werden und der innere Leidensdruck muss schon sehr groß sein, ehe man bei sich selbst anfängt und sich vielleicht Hilfe und Unterstützung holt. Oder sich auch hinterfragt, warum man eigentlich immer wieder zwanghaft das Gleiche tun muss. Menschen fahren auf einem Karussell und merken es nicht. Sie wechseln oft nur das Pferdchen.
Ich finde es gut, dass Du Dich mit diesen Themen befasst. Es ist sicher ein Schritt in eine gute Richtung und eine bessere Lebensphase. Aber eine Lösung oder klare Erkenntnis kann ich auch nicht anbieten.
Nur so viel. Das Leben ist auch eine Aufgabe und nicht nur einfach da. Es beinhaltet Lehren für einen, die man erkennen und umsetzen kann (wenn auch nur sehr teilweise) oder auch nicht.
11.09.2019 16:33 •
x 11 #10