Ich wollte Euch die Geschichte von meinem Mann und mir erzählen. Vielleicht kann jemand was damit anfangen. Wenn nicht, dann ist auch gut. Ich habe gelernt, so wichtig uns unsere eigenen Geschichten vorkommen und wir von ihrer Einmaligkeit und Bedeutung überzeugt sind, so trivial sind sie doch für Dritte. Das ist ja auch logisch, da ihre eigene Geschichte zwangsläufig wichtiger ist.
Mein Mann und ich trafen uns vor fast 30 Jahren zum ersten Mal und kamen sofort zusammen. Aber während es für mich eine nette Zeit war, wurde es bei meinem Mann Liebe. ich war seine erste und letztlich einzige Liebe. Ich trennte mich und wir verloren uns aus den Augen. D.h. ich ihn, er informierte sich immer wieder bei Dritten, was ich so machen würde. Nach 15 Jahren nahm er Kontakt auf zu mir. Obwohl wir uns dann nur 2 mal kurz sahen (kein S.) brauchten wir nur 2 Monate um alles stehen und liegen zu lassen für eine gemeinsame Zukunft. Aber wie bei all diesen großen Leidenschaften, fehlte auch nicht die Tragödie. Wir mussten durch die Hölle gehen (Details gehören hier nicht hin, da es ein anderes Thema ist). Wir blieben fest zusammen, standen zueinander und bauten uns unser Leben mit allem was dazu gehört zusammen. Wir bekamen die Familie von der er seit damals geträumt hatte.
Beruflich war er immer unter der Woche weg. Das war aber nicht schlimm. Im Gegenteil, da wir trotz allem sehr freiheitsliebend sind. Außerdem hatten wir somit immer unser Date am WE. Passend zum Forum, wir hatten quasi eine Affäre jedes Wochenende. Unsere Beziehung stand immer über allem, auch über den Kindern. Für Dritte galten wir immer als das Paar schlechthin. Wir waren uns zugewandt und zeigten dies auch immer.
Jetzt kommt das ABER. Die Geister der Vergangenheit nahmen zunehmend ihren Raum ein und beherrschten zunehmend unsere Beziehung. Geister aus unserer Kindheit, der ersten Beziehung, der Zeit als wir nicht zusammen waren und vor allem auch der Hölle die wir durchlitten hatten. Wir versuchten lange dagegen anzugehen, aber zunehmend veränderten wir unser Verhalten in der Beziehung. Es gab immer mehr Streitigkeiten. Wir hatten auch so unsere „trivialen“ Themen an denen sich die dahinterliegenden Probleme schnell entzündeten. Obwohl wir es sahen und uns bemühten, waren wir nicht in der Lage Herr der Dinge zu werden.
Ich begann mich, mich zunehmend zurück zu ziehen und mich meinen Themen zu widmen. Mein Mann wurde immer unwirscher und der Teufelskreis nahm an Geschwindigkeit auf.
Anfang letztes Jahr sagte ich zu ihm, dass ich glaube, er würde irgendwann eine Affäre haben. Ein absurder Gedanke. So war er es doch immer, der einen Eifersuchtsanfall hatte nach dem anderen. Schon ein Telefonat mit einem Mann führte zu Diskussionen. Also warum sollte er eine Affäre haben und all die Schritte gehen und Grenzen überschreiten bis ins Bett mit einer anderen Frau. Im Sommer hatte ich dann ein sehr ungutes Gefühl. Mein Mann war abweisend und aggressiv. Ich habe Fotos von einem kleinen Familienausflug aus dieser Zeit. Sein Gesichtsausdruck war entsprechend grausam. Ich setzte mich mit dem Gedanken einer möglichen Affäre auseinander und spielte es gedanklich durch. Zunächst war mir klar, dass so eine nie von Dauer wäre und wir immer wieder zusammen kommen würden.
Dann war ich mir aber auch sicher, dass er mir nie so weh tun würde. Ich konnte es mir nicht vorstellen. Aber wehret den Anfängen. ich beschloss mein Verhalten zu ändern und eine Affäre zu verhindern. Mit Erfolg, denn unsere Beziehung besserte sich sofort. wir hatten auch mal über das Thema gesprochen, aber ohne nennenswerte Resultate.
Danach dümpelte die Beziehung dahin. Mein Mann änderte sich und widmete sich zunehmend dem eigenen Erleben. Er bekam neue Erkenntnisse und widmete sich auch unserer Beziehung. Vor allem in den Weihnachtsferien verbrachten wir viel gemeinsame Zeit und sprachen viel. Ich hatte gesundheitliche Probleme die sich über Wochen hinzogen und er war da. Sein „Selbsterkenntnisweg“ nahm an Geschwindigkeit auf. Ich konnte nur bedingt was damit anfangen. er teilte zwar alles mit mir, aber irgendwie fühlte ich mich dennoch ausgeschlossen. Und so wurde auch unsere Beziehung nicht besser. Ich war an einem Punkt angekommen, dass ich nur auf eine Eskalation wartete um das Ganze an die Wand zu fahren. Bei einem Streit vor fast vier Monaten sagte ich ihm, er solle doch mal in einer Email zusammenfassen, wie Sch… er mich findet. Ich bekam nach einer Stunde eine Email von ihm. Es war eine zugewandte und respektvolle Email, aber da stand halt auch, dass er im Sommer eine kurze Affäre gehabt hätte. Die sei beendet und habe keine Bedeutung für ihn.
Für mich trafen in der Nachricht zwei Galaxien aufeinander. Mit einem Schlag versank meine Welt in einem Chaos, die Schwerkraft war ausgesetzt und alles flog um mich herum. Mein Verstand verabschiedete sich unter dieser Überforderung. ich ging noch zu ihm hin um zu fragen, wie er das meinte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es wörtlich gemeint war. Aber nein, es war so wie es da stand. Der Ausdruck, es hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen, sagt nicht ansatzweise, was in mir vorging.
Erst nach zwei Telefonaten mit meinen besten Freundinnen und einer Flasche Wein, war ich in der Lage einen Gedanken zu fassen. Wir schrieben uns und hatten dann auch ein Gespräch. Aber ich wusste überhaupt nicht, wo ich anfangen sollte, wo ich stand, was war, was ich tun sollte. Ich war komplett orientierungslos im Angesicht dieser Unfassbarkeit.
Nachts wurde mir klar, dass es zwei Wege gibt: entweder ich verarbeite dies mit meinem Mann, damit wir überhaupt eine Chance haben oder ich mach es alleine, dann ist es aus. Ich gehöre eigentlich zu den Menschen die alles mit sich selber ausmachen. Mir sieht man meine Katastrophen nicht an. Ich gehe nicht leidend durch das Leben und nehme andere in Beschlag. Aber jetzt entschied ich mich meinem Mann gegenüber komplett offen zu sein, ohne jede Sicherung mich fallen zu lassen und ihn dabei mitzunehmen.
Ein bisschen war ich ja vorbereitet durch meine Gedankenspiele im Jahr zuvor, aber auch durch die Strategien die ich aus meiner ersten Hölle erlebt hatte. Ich nahm also den Kampf gegen diese Orientierungslosigkeit und Schmerzen auf. Und das tat ich mit all meiner Kraft und Kompromisslosigkeit. Ein riesen Chaos das ich nun begann aufzuräumen. Die ersten 5 Wochen waren unmenschlich. ich sah noch nicht mal den Tunnel an dessen Ende ich ein Licht hätte sehen können. Da die Schwerkraft gefühlt ausgesetzt war, konnte auch keine Ordnung entstehen. Ich nahm einen Anlauf nach dem anderen, freute mich kurz und fiel dann wieder in das nächste Loch. Nach drei Wochen fiel mir dann auf, dass ich wohl ein größeres Problem habe. Ich durchwühlte das Internet und spätestens als ich bei der Studie von Prof. Beer angekommen war, hatte ich die Bestätigung. Ich war also nicht hysterisch, sondern vollkommen normal, halt normal traumatisiert. Warum hat mein Mann diese Studie nicht gelesen? Aber selbst wenn er sie gelesen hätte, hätte er nur gedacht, ich würde das eh meistern können, weil ich stark bin.
Was tat mein Mann in dieser Zeit? Er stand vollkommen zu mir und unserer Beziehung. Ich konnte jederzeit auf ihn zurückgreifen und ihn auf meiner Achterbahn mitnehmen. Am Anfang dachte er wohl noch, dass dies eine kleinere Übung sei, wir an den Ursachen der Affäre arbeiten würden um dann eine tolle Zukunft zu haben. So war es aber nicht. Auch er wurde über seine Grenzen hinweg geführt und mussten sich den Abgründen stellen, vor allem seinen eigenen
Auch er brauchte Zeit um zu verstehen, was er angerichtet hatte. Außerdem hatte er ja schon einige Zeit gehabt sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, während ich ganz am Anfang stand. Aber er machte mit und wich nicht aus. Teilweise habe ich ihn schlicht überfordert, aber das war mir egal. Mit einem riesigen Scheinwerfen strahlte ich jeden Winkel aus und offenbarte jedes Gespenst und alle Abgründe. Wie gesagt: kompromisslos und ihn ganz nah bei mir. Ich kämpfte zunächst dafür, dass er endlich erkennen sollte, was in mir vorging, dass er meine Perspektive erkennen sollte. Ich holte ihn von seiner komfortablen Zone heraus und stürzte ihn mit in mein Chaos, denn wir befanden uns in einem Chaos, nicht nur ich alleine. Irgendwann war er soweit. Wir hatten heftige Auseinandersetzungen, richtig heftige und das fast täglich. Genauso hatten wir dann auch extrem schöne Momente voller Liebe und Leidenschaft. Wir kämpften beide kompromisslos füreinander und wichen den Dingen nicht mehr aus.
Schritt für Schritt wurde es besser. Jetzt laufen wir wieder im Gleichklang und es ist gut. Wir haben viel gelernt, über uns, den anderen und die Beziehung. Wir werden zusammen bleiben. Ich liebe meinen Mann und halte ihn nach wie vor für den tollsten Mann auf der Welt. ich will keinen anderen. Das Ganze war sehr schmerzhaft und es tut noch weh, aber wir haben uns bewiesen, wozu wir bereit sind, um zusammen zu sein. Was sind wir uns wert? Alles.
Drei Monate nach der Nachricht habe ich ihm folgende „Spielregeln“ erklärt. Wir übernehmen jeder die Verantwortung für die Fehler aus unserer Beziehung, können daran arbeiten und uns darüber auseinandersetzen; Für das Fremdgehen, lügen und betrügen trägt er alleine die Verantwortung. damit muss er leben. Ich trage die Verantwortung das Trauma zu verarbeiten und zu verhindern, dass sich daraus ein neues „Gespenst“ entwickelt. Das hat er verstanden.
Ich habe ihm schon früh gesagt, dass ich ihm nicht verzeihen werde, denn das ist nicht der richtige Weg. In einer Beziehung auf Augenhöhe kann der eine nicht dem anderen verzeihen, denn dann gibt es eine Schieflage. Ich würde mich ja dann über ihn stellen. Nein, er muss sich selber verzeihen. Dazu muss er erstmal akzeptieren und verstehen, dass es etwas gibt, was er sich selber verzeihen muss. Das tut er. Letztlich muss er mit dem leben, was er getan hat. ich werde das Trauma verarbeiten, aber er hat es getan und diese Last ist größer.
Letzte Woche hörte ich das Lied „If you could read my mind“ von Gordon Lightfood. Da gibt es diesen Satz: “I don't know where we went wrong - But the feeling's gone and I just can't get it back”. So verwerflich es war, was mein Mann getan hatte, so sehr muss ich mich doch selbstkritisch fragen, was habe ich denn getan, um ein Ende unserer Beziehung zu verhindern?
Mein Weg hätte wahrscheinlich in einer Trennung geendet. So haben wir eine neue Chance bekommen und ich hoffe, dass wir sie diesmal verantwortungsvoller nutzen werden. Ich gehe davon aus, dass ich noch lange an der Geschichte knabbern werde, aber ich bin zuversichtlich. Und so absurd es klingen mag, ich bin meinem Mann dankbar für alles, was er in den letzten Wochen für mich und uns gemacht hat. Er ist nicht ausgewichen, hat sich nicht verdrückt, sondern die Verantwortung übernommen und getragen. Genauso ist er mir dankbar, dass ich nie aufgehört habe zu kämpfen und kompromisslos all meine Kraft in diesen Prozess gesteckt habe.
17.06.2016 09:28 •
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