Liebe Henriette,
Du hast da ja ein wunderbares Wort angewandt: Erinnerungskultur.
Das wird normalerweise im Kontext mit dem *beep* verwendet, aber ich finde, es passt hier auch sehr gut.
Ich habe mich nach dem Besuch beim Therapeuten einfach mehr mit mir beschäftigt und Parallelen hergestellt. Ich habe nämlich gerade in dieser Bezeihung (aber auch in einigen anderen vor ihm) Parallelen hergestellt. Ich war schon bei W so und das ist jetzt 15 Jahre her und ich war bei A so. Beide Male begab ich mich unbewusst und unbeachsichtigt in die untergeordnete Position. Beide Männer waren auf dem Sockel und wa blieb für mich dann übrig, da der Sockel ja besetzt war? Klar, die Position zu deren Füßen.
Und in beiden Beziehungen und einigen anderen, wenn da auch nicht so schlimm, hatte ich nach der Anfangszeit beständig innere Ängste. Ich bin nicht gut genug, er könnte das Interesse an mir verlieren, ich muss so sein, wie er mich vermeintlich haben will, damit er sich nicht abwendet usw.
Und das war ganz klar aus der Kindheit übernommen. Schon meine Mutter hat mir beigebracht, dass ich so und so sein sollte, damit sie zufrieden mit mir war. Und ich richtete mich danach, denn für ein kleines bißchen Liebe und Anerkennung tat ich alles. Also stand bereits inmeiner Kindheit meine Mutter auf dem Sockel.
Sie war leider auch oft launisch. Mal gut aufgelegt und ich fühlte mich wohl. Aber dann wieder uneins mit sich und auch das spürte ich sofort. Ich wusste, ich durfte sie da nicht reizen, keine Fehler machen, da sich sonst ihre Wut, die eigentlich nicht mir galt, aber halt da war, auf mich entladen wurde.
Daher kommt es auch, dass ich blitzschnell einschätzen kann, wie andere Menschen ticken und wie ich sie nehmen muss.Ich bin ja seit dem Alter von schätzungsweise 4 Jahren geübt darin, Stimmungen zu erfühlen und auszuloten. Stimmungswechsel bedeutete Gefahr und auch das spürte ich schon als kleines Kind körperlich. Da kroch so eine gewissen Angst aus dem Bauchraum heraus und ich wurde vorsichtig. Stimmungen von meiner Mutter übertrugen sich sofort auf mich und ich reagierte entsprechend. Genau so ging ich beim Mann vor. War der zugewandt und liebevolll, fühlte ich mich prächtig. Aber leider reagierte ich auch sofort darauf, wenn er anders war. Da kam sofort die Angst vor Ablehnung.
Das sind bei mir ganz klar erlernte Verhaltensweisen. Ich suchte praktisch unbewusst im Beziehungsleben nach ähnlichen Beziehungsmustern, damit dieses Defizit irgendwann aufgelöst wird.
Aber ich suchte mir auch kategorisch die falschen Männer dafür. Denn wenn mir jemand Zuneigung von sich aus entgegenbrachte, fühlte ich mich beeinträchtigt. Hilfe, der will was von mir! Nein, den will ich nicht! Und dann war ich weg.
Aber musste ich mich anstrengen, um ihn für mich zu gewinnen, dann lief ich zur Hochform auf. Ich wollte das Unmögliche erreichen,damit ich damit mein Ego füttern konnte. Allerdings endete das oft genug in einem persönlichen Disaster, wie Du es auch kennst.
Du hast Dich in der Beziehung eingeordnet wie ein kleines Mädchen. Ach, ich war ja nie seine Kragenweite. Da gab es ja ganz andere, insbesondere die Frau des Vorstandes, die doch eine ganz andere Klasse als ich haben. Warum machst Du Dich so klein? Diese tollen Frauen kochen auch nur mit Wasser und gehen täglich aufs Clo. Sie strahlen vielleicht wunder was aus, aber sie sind auch nur ganz normale Frauen.
Und er? Hat dann ein kleines Mädchen gefunden, das ihn anhimmelte und ihm zuarbeitete. Ein leichtes Spiel für ihn. Eine Einladung zum Essen, dann der erste Kuss, dann hatte er Dich sofort an der Angel. Und in der Beziehung warst Du auch das Mädchen, eine Art junge Frau, die er sich nahm und Dir hat es gefallen, weil es Deinem Klein-Mädchen-Schema enspricht. Du hast das wohl etwas aus der Kindheit zurück behalten.
Er war womöglich eine Art Vaterersatz für Dich? Könnte das sein?
Es ist spannend, sich mal im Rückspiegel zu betrachten und sich zu fragen: warum eigentlich habe ich so viel Gewinn daraus gezogen? Ich bin doch eigentlich erwachsen und stehe meine Frau und dann begebe ich mich in die Position eines kleinen Mädchens, das den großen Zampano anbetet.
Einfach mal sich hinterfrragen und Du wirst Ansätze finden, was Du da an Kindheitsmustern mit ins Erwachseneleben transportiert hast. Wenn Dir das bewusst wird, gehst Du auch anders damit um. Kommt wieder so ein Mr. Großartig, schaust Du Dir den vlt. auch mit anderen Augen an oder Du brauchst so was gar nicht mehr, weil Dich das Mädchenschema gar nicht mehr interessiert. Weil Du lieber eine Beziehung auf Augenhöhe führen möchtest, als wieder Jahre zu verschwenden für eine nutzlose Sache, die eh zum Scheitern verurteilt ist.
Dieser Mann da war nicht halb so toll wie Du glaubst. Er hat sich genommen was er kriegen konnte und hatte wohl nie eine ernste Beziehung mit Dir im Plan. Allein das sollte Dir schon zu denken geben, wie es um ihn bestellt ist. Der hat es sich auf Deine Kosten gut gehen lassen und glaube ja nicht, dass er nicht gemerkt hat, wie großartig Du ihn findest. Futter für sein Ego, aber weiter nicht ernst zu nehmen.
Du bist immer noch nicht frei. Daher hast Du auch kein Interesse an anderen Männern. So was wie den brauchst Du aber nicht mehr, denn die Masche hast Du durch. Mach Dich frei von den Ketten, die Du Dir selbst angelegt hast und Du wirst Dich besser mit Dir fühlen. Schau einfach nur auf Dich und irgendwann wirst Du merken, dass Du ab und zu an ihn denkst, Dir aber sagst, meine Güte, was habe ich nur bei dem gesucht? Das geht mir heute oft so. Wenn ich den Ex. ab und an mal sehe, so ca. einmal im Jahr und immer nur dienstlich, grüße ich ihn, wenn ich ihn sehe und gehe weiter. Er hat offenbar auch kein Interesse an einem Smalltalk.
Und dann frage ich mich, warum um alles in der Welt ich so viel um den gelitten habe. Der ist niicht mal halb so toll wie ich ihn fand.
Ich glaubte nur, er wäre es. Und was ist er? Auch nur einer, der seine Defizite an mir auslebte, weil ich es zuließ und glaubte, wenn ich nur genug leide, dann kommt die Belohnung.
Nicht mal geschenkt möchte ich ihn heute noch haben. Und ich habe jetzt auch eine ganz andere Beziehung mit einem guten Mann, mit dem ich angstfrei und sorgenfrei leben kann, ohne ständig zu glauben, dass ich nicht gut genug für ihn bin.
Gib nicht auf, aber anstatt in der Erinnerung zu verharren, hole ihn erst Mal vom Sockel. Und dann hinterfragst Du Dein Schema, das Du bei ihm abgspult hast. Und dann lernst Du, dass Du mehr wert bist als das, was er Dir zugeteilt hat, denn auf so was lässt Du Dich nicht mehr ein. Du bist nämlich auch ein wertvoller Mensch, der es verdient, geachtet und gut behandelt zu werden. Auch wenn Deine Familie vielleicht anderer Meinung war.
Begonie
11.11.2020 17:17 •
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