Ich hab den Begriff Opferrolle immer so verstanden, dass es da darum geht, dass jemand sich als Opfer inszeniert, obwohl er oder sie es gar nicht ist. Also - um mal ein fiktives Beispiel zu nennen - , wenn man beruflich nicht weiterkommt, das an der eigenen Trägheit liegt, man sich aber einredet oder anderen gegenüber behauptet, das würde am Arbeitgeber, den Kollegen, dem Klimawandel oder whatever liegen. Kurz gesagt, wenn also für das eigene Unglück andere verantwortlich gemacht werden, obwohl sie es gar nicht sind.
Im Unterschied dazu bist Du, lieber TE, doch tatsächlich Opfer eines Betruges geworden, hast einen massiven Verlust erlitten, wirst nun auch noch am Arbeitsplatz ignoriert und hast mit erheblichen Folgen zu kämpfen.
Du harrst ja auch gar nicht in der Situation aus, sondern hast bereits einiges getan, um Dich wieder auf die Beine zu kriegen: Dich in einem Forum angemeldet, einen Therapieplatz gesucht, Du versuchst Dir nichts anmerken zu lassen und vieles mehr. - Das zeigt doch, so finde ich, dass Du eben NICHT in der Opferrolle ausharrst.
Das Erlebte lockerer wegstecken, wieder zackig funktionieren wie vorher, wieder happy sein, die Situation am Arbeitsplatz mit der Ex easy akzeptieren... das sind ja sehr hohe Ansprüche. Klar wäre das toll, aber wie soll das auch so einfach gehen?
Vielleicht ist es hilfreicher für Dich, Dir zu sagen Ja, ich habe was total Beknacktes erlebt, das hat sau weh getan und tut es noch. Und ich habe das Recht dazu, ich erlaube mir, die Zeit zu brauchen, um das alles zu verarbeiten und darüber hinweg zu kommen, die es nun mal braucht. Du darfst Mitgefühl mit Dir selber haben. Und ich finde sogar, Du darfst auch (im angemessenen Rahmen) Mitgefühl von anderen erwarten.
Wir sind alle unterschiedlich, jeder von uns reagiert anders auf Enttäuschungen und Verluste, jeder braucht eine andere Zeitspanne, um über Schicksalsschläge hinweg zu kommen und um Erlebtes zu verarbeiten. Manchmal geht es schon besser und man glaubt, man wäre ein gutes Stück weiter - und dann erwischt es einen wieder eiskalt und alles kommt wieder hoch...
Es wird ja immer viel von Selbstliebe gesprochen und geschrieben. Für mich gehört zur Selbstliebe auch, alles was ist, alle Gefühle, alle Zweifel und Ängste ersteinmal anzunehmen. Allem zu erlauben, da zu sein. Klar will man das alles schnellstmöglich weg haben - aber Verdrängung und Ablehnung führt meiner Meinung nach da nicht weiter.
Was das viele Grübeln und die von dir geschilderte 24/7 gedankliche Auseinandersetzung angeht - es gibt diese Methode, Gedanken und damit verbundene Gefühle zu einem Thema auf einen begrenzten Zeitraum festzulegen. Also z.B. Dir täglich zwischen 18.00 und 19.00 dafür Zeit zu nehmen, dann z.B. Dinge aufschreiben, Dich intensiv damit beschäftigen, Gefühle ausfühlen und zulassen.. und danach stellst Du Dir vor, ein Kästchen zu verschließen, wo all das drin ist. Und es erst am nächsten Tag zur bestimmten Uhrzeit wieder zu öffnen. Du kannst Dir auch ein echtes Kästchen zulegen, in dem Du Zettel mit Deinen Gedanken, Fotos etc. verwahrst.
Wenn im Laufe des Tages Gedanken zum Thema aufkommen - nimmst Du diese bewusst wahr und sagst Dir Um 18.00 ist Eure Zeit, nicht jetzt! und versuchst bewusst an etwas anderes zu denken. Mit der Zeit kannst Du den festgelegten Zeitraum je nach Bedarf verkürzen oder Dich z.B. nur noch am Wochenende zu einer von Dir bestimmten Zeit damit auseinandersetzen. Ich hoffe, ich konnte das Prinzip verständlich erklären.
Ich wünsche Dir alles Gute!
17.10.2021 12:18 •
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