Liebe belle,
ich finde es wirklich erstaunlich, dass du so vieles jetzt denkst, was ich vor kurzem auch noch gedacht habe. Ich bin einen kleinen Schritt weiter als du und hoffe, dass es dir ein wenig Mut geben kann, wenn ich dir berichte, wie es bei mir weiterging.
Wie du sagtest, sind es erst vier Wochen. Im Vergleich zu der Zeit, die ihr zusammen wart, ist das ziemlich kurz. Es geht leider nicht so schnell, wie man möchte und irgendwann fragt man sich, ob die Art wie man leidet, überhaupt noch normal ist oder ob man schon verrückt und krank ist.
Ich habe zu dem Zeitpunkt, an dem du dich jetzt befindest, auch Angst gehabt, dass ich da nicht mehr rauskomme. Ich habe mir ernsthaft Sorgen gemacht, ob ich zu einem Therapeuten gehen muss und vielleicht lieber Medikamente nehmen sollte, auch wenn ich davon nicht begeistert bin.
Ich habe in dem Zuge auch viel gegoogelt, wie es anderen ergeht und ob ich noch normal bin oder nicht. Das hat mich dann wirklich total verrückt gemacht, weil ich so vieles zutreffend fand und irgendwann gar nicht mehr wusste, was ich nun brauche oder nicht.
Ab Woche sechs wurde es plötzlich besser. Ich habe so viel nachgedacht und mich so vielen Gedanken und schmerzhaften Einsichten gestellt, dass irgendwann ein Schalter umgelegt wurde.
Vielleicht habe ich in der Zeit etwas begriffen. Vielleicht das, was ich vorher schon schrieb, also dass ich festhalten muss, weil ich noch nicht anders kann, aber zugleich auch etwas tun muss, um nicht kaputt zu gehen. Ich musste mich selbst aus dem Loch rausziehen, ohne die Traurigkeit vollkommen beiseite zu schieben.
Heute weiß ich, dass ich nicht verrückt bin, sondern dass diese intensive Trauer ein Teil von mir ist, der dazugehört, um das Geschehene zu verarbeiten.
Nach so langer Zeit funktioniert man nicht sofort wieder. Man hat erstmal einen Totalausfall und dann kommt eine lange Phase, in der man total kraftlos ist und sich alles schwer anfühlt. Die kann ganz unterschiedlich lang andauern.
Doch wenn man sich der Realität nicht entzieht und trotz der Trauer versucht, für die Zukunft offen zu bleiben, geht es irgendwann besser.
Das ist in meinen Augen das wirkliche Verarbeiten. Toben, weinen, sich gehen lassen, sich innerlich ausgebrannt und tot fühlen, gefühllos vor sich hinvegetieren, nachdenken, einen Schritt vor die Tür wagen, zurückfallen, sich hängenlassen, wieder einen kleinen Schritt nach vorne wagen, sich aufraffen, sich etwas Gutes tun, sich herrichten und mit Menschen interagieren (und sei es bloß das Lächeln und die feste Stimme, die man der Bäckerin schenkt), wieder traurig werden... Mit jeder dieser Stimmungen und Gefühle wird man wieder vollständiger und lernt die Situation auf seine eigene Weise einzuordnen.
Ich glaube, dass du das auch kannst. Gib dir Zeit, fühl dich nicht verrückt. Man trauert ganz ganz heftig, wenn man etwas und jemanden verliert, an dem man so sehr hing. Das ist normal, weil man so vieles verloren hat und nun ohne Mut und Kraft weitermachen muss, sozusagen bei Null. Doch Mut und Kraft stecken in dir. Du brauchst nur Zeit, um sie zu sammeln.
Solltest du allerdings das Gefühl haben, dass du dir selbst unverhältnismäßig weh tust und das überhaupt nicht mehr kontrollieren kannst und Angst vor dir selbst und deinem Verhalten oder deinen Gedanken bekommst, dann ist es ratsam, dir Hilfe von außen zu suchen, damit du eine Stütze hast, die dich davor bewahrt, dir etwas anzutun.
07.07.2012 14:13 •
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