Hallo Sichfragender 74! Ich kann deine Frau gut verstehen. Ich hatte auch mal so eine Phase. (kennst du übrigens das Buch Es ist nur eine Phase, Hase! sehr lustig!) Und der Buchtitel trifft es ganz gut. Es ist nur eine Phase! Mit anderen Worten, es geht vorbei!
Vegetari hat die möglichen Gründe dafür gut zusammen gefasst. Ich will das vielleicht noch ein bisschen ausführen. Als Frau mit Mitte bis Ende 40 nimmt man deutliche Veränderungen an sich und im Körper wahr. Die Haut wird schlaffer, die Schleimhäute werden weniger durchblutet und trocknen aus, frau fühlt sich plötzlich alt und unattraktiv. Zusätzlich sind meist die lieben Kinderchen in einer sehr herausfordernden Phase, der Pubertät. Sie lösen sich mehr und mehr ab und als Frau und Mutter fragt man sich, wozu man sich eigentlich die letzten Jahre so angestrengt hat. Mein damals pubertierender Sohn wendete sich von mir ab und seinem Vater zu. Das hat mich so verletzt. Schließlich war ich in seinen Kinderjahren immer für ihn da, hab ihn gewickelt, an seinem Bett gesessen, wenn er Fieber hatte und hab ihm die dreckigen Trikots für seine Fußballmannschaft gewaschen. Ich war so wütend auf meinen Mann, der plötzlich die Lichtgestalt für unseren Sohn war. Und das in meinen Augen damals völlig unverdient. Ich fühlte mich noch ausgelaugt und müde von der Aufzucht unserer Kinder und gleichzeitig von ihnen zurück gestoßen. Ich nahm unkontrolliert zu, fühlte mich in meinem Körper nicht mehr wohl und sah meinen Mann am liebsten von hinten. Ihm gab ich ja die Schuld an meiner Misere. Hinzu kam die Sorge um meine Eltern, die alt wurden und relativ früh verstarben. Alles stürzte auf mich ein plötzlich. Leider hatte ich auch meinen Beruf aufgeben müssen, da eines unserer Kinder krank zur Welt kam. Ich war also nicht nur alt und unattraktiv (in meinen Augen) sondern auch noch abhängig von meinem Mann, der mir in dieser Zeit vorkam, wie mein Gefängniswärter. Noch nichtmal ein eigenes Auto hatte ich. Mein Mann hielt das für rausgeschmissenes Geld, da ich ja genug Zeit hätte, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Abends kam er dann nach Hause, traf auf eine sehr unglückliche, ausgebrannte und gleichzeitig unterforderte Frau, die sich selbst nicht mehr leiden mochte. Wenn er die Rollos runter ließ bekam ich Luftnot. Wenn er mich aufforderte, ins Bett zu gehen, hatte ich Panik, er könnte mehr von mir erwarten. Natürlich machte er sich Sorgen und war ähnlich wie du S. bedürftig. Das interessierte mich aber null komma gar nicht. Auch ich hätte mir gewünscht, er würde gewisse Dienste in Anspruch nehmen, was er aber nie tat.
Je mehr mein Mann sich Nähe wünschte und dies auch äußerte, desto mehr fühlte ich mich bedrängt. Manchmal ließ ich ihn trotzdem ran. Ich benutzte eine Gleitcreme, machte den Seestern und ließ es über mich ergehen. Dadurch traumatisierte ich mich zusätzlich. Auch mein Mann hatte daran natürlich keinen Spaß und das äußerte er auch. Aber was um Himmels willen sollte ich denn tun? Ich war körperlich in unserer Ehe noch anwesend aber geistig war ich längst über alle Berge. Ich vermute deiner Frau geht es momentan ähnlich.
Als ich dann noch erkrankte und mich einer OP unterziehen musste, war der Ofen komplett aus. Auch mein Mann zog sich nun zurück. Wir schliefen ab diesem Zeitpunkt in getrennten Schlafzimmern, weil mir selbst seine Atemgeräusche und Bewegungen im Bett unerträglich wurden. Ich entwickelte eine waschechte Depression, bekam massive Schlafstörungen und musste mich in ärztliche Behandlung begeben. Ab da hätten wir die Reißleine ziehen müssen, was wir aber nicht taten. Ich bekam aber durch die Medikamente und die Therapie endlich wieder etwas mehr Kraft, die ausreichte, mich um mich selbst zu kümmern. Ich hatte mir schon längst die Rückkehr ins Berufsleben gewünscht, was aber in meinem Ausbildungsberuf unmöglich war. Von meinen verstorbenen Eltern erbte ich eine kleine Summe, mit der ich einen Kurzlehrgang für eine Umschulung bezahlte. Das Arbeitsamt wäre für mich ja nicht zuständig gewesen, da ich als Hausfrau keine Rechte hatte. Dafür hätte ich erst in Scheidung leben müssen. Mein Mann sah die Notwendigkeit für diese Umschulung nicht ein, also war mein Erbe die ersehnte letzte Rettung.
Ich schulte also um, fand sofort eine Stelle und kämpfte gegen meinen Mann, der mir die Hölle heiß machte, weil ich plötzlich nicht mehr zuverlässig zu Hause war, wenn er Feierabend machte. Ich hatte Wechseldienst und musste auch am Wochenende regelmäßig arbeiten. Dann passierte etwas, was letztlich das Ende unserer Ehe einleitete, mir aber mein Selbstverständnis als Frau zurück gab. ICh verliebte mich in einen Kollegen und begann mit ihm eine Affäre. Da meine Ehe für mich nun endgültig zu Ende war, beichtete ich sofort und zog aus. Doch mein AM bekam kalte Füße und zog sich quasi sofort zurück. Ich will das jetzt abkürzen, denn die ganze Geschichte wäre viel zu lang, sie hier nochmal zu erzählen. In Kurzform, mein Mann holte mich zurück ins traute Heim und wollte mir verzeihen. Er wollte neu anfangen und ich auch. Doch es gelang uns nicht. 3 Jahre kämpften wir um unsere Ehe. Vergeblich.
Dann vor einem halben Jahr, erklärten wir unsere Ehe für beendet und ich zog aus. Wir blieben aber im Kontakt, schon allein wegen der Kinder. Ich habe mir inzwischen eine kleine Wohnung eingerichtet, in der ich mich sehr wohl fühle. Auch beruflich geht es mir gut. Ich arbeite schon lange nicht mehr mit dem AM zusammen und musste in den letzten 5 Jahren deshalb 4 mal den Job wechseln. Sehr anstrengend aber auch interessant denn mit jeder neuen Station lernte ich dazu. Durch die Therapie arbeitete ich vieles auf. Unter anderem mein schwieriges Verhältnis zu meinem Vater. Ich lernte, meinen Körper wieder zu lieben und zu pflegen. Ich lernte, mir selbst gutes zu tun und nicht immer um die Gunst irgend eines Mannes zu buhlen. Ich kam endlich mit Anfang 50 bei mir selbst an und ich fing an, dieses Selbst zu lieben. Endlich! Ich verwöhnte mich sinnlich, z.B. mochte plötzlich meine eigene Haut wieder. Ich sah mir Fotos von früher an und fand mich plötzlich hübsch. Das haute mich um denn solange ich denken kann, empfand ich mich als hässliches Entlein.
Und jetzt kommt der Knaller. Mein Mann, der mich fast schon aufgegeben hatte und den ich am liebsten auf den Mond geschossen hätte, wurde wieder zu meinem besten Freund. Er ließ mich los und dadurch gewann er mich wieder. Wir verbringen trotz getrennter Wohnungen wieder viel Zeit miteinander. Endlich verkauft er auch unser Haus, in dem ich mich nie zuhause gefühlt hatte. Den Verkaufserlös werden wir teilen und wir wollen uns jeder für sich eine Eigentumswohnung kaufen. Möglicherweise aber im selben Haus. Es gibt hier ein Bauprojekt für seniorengerechtes Wohnen in einem Mehrgenerationenprojekt. Wir haben uns am Wochenende dort zwei kleine Wohnungen reserviert. Wir sind also getrennt aber einander wieder näher als in den letzten 10 Jahren. Und das hat nun plötzlich auch Auswirkungen auf unser S., das über 10 Jahre brach gelegen hat. Mehr will ich dazu jetzt nicht erzählen. Aber seit dem letzten Wochenende geht uns beiden das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht.
Was will ich dir mit dieser Geschichte sagen? Nun das Geheimnis liegt vielleicht darin, einander loszulassen. Wir waren vor etlichen Jahren am ähnlichen Punkt wie ihr. Und wir haben eigentlich nun wirklich alles falsch gemacht, was man so falsch machen kann. Also in erster Linie ich natürlich. Aber trotz allem haben wir einen Weg gefunden miteinander in Kontakt zu bleiben, einander Freiraum zu gewähren und einfach zu tun, was uns gut tut. Und das lag allzuoft weit jenseits dessen, was gesellschaftlich akzeptiert und von Paartherpeuten empfohlen wird. Es war und es ist unser Weg, der lange Zeit getrennt war. Jetzt scheint er wieder aufeinander zu zu führen. Ihr steht am Anfang einer langen Reise. Ich hoffe für dich, das sie nicht ganz so dramatisch wird, wie unsere. Aber, wenn du deine Ehe und die Beziehung zu deiner Frau retten willst, dann lass sie los!
Kennst du dich mit Pferden aus? Da gibt es doch diese Pferdeflüsterer, die hast du bestimmt schonmal im TV gesehen. Wenn sie mit einem verängstigten, auffälligen Pferd arbeiten, dessen Vertrauen sie gewinnen wollen, drehen sie ihnen den Rücken zu. Gehen sie auf das Tier zu und versuchen es zu fangen, dreht es durch und läuft weg. Erst, wenn der Mensch auf Distanz geht, suchen das Pferd wieder seine Nähe. Das ist so banal aber zeigt sehr anschaulich, worum es in Beziehungen geht. Es ist ein Spiel von Nähe und Distanz. Je mehr du deine Frau bedrängst, auch indem du sie verwöhnst und umsorgst, sie wird von dir fliehen. Gib ihr Zeit und Raum, zu sich zu finden. Vertrau auf eure Liebe. Sie ist vielleicht noch da. Wenn unter all der Asche noch ein bisschen Glut ist, wird sie zu dir zurück kehren. Überlasse ihr und dem Leben die Entscheidung! Tun kannst du leider daran erstmal gar nichts und das ist vielleicht genau deshalb so verdammt schwer!
AllesGute dir!