Liebe Grace,
Du hast die Gabe, Deine Gefühle sehr intensiv beschreiben zu können- mir sind Deine Worte sehr nah gegangen und ich finde mich selbst zum Teil darin wieder.
Zitat:warum verbiete ich mir aus dieser Trauer rauszutreten, aus dieser Erstarrtheit?
Warum empfinde ich es als Verrat?
Ich kenne genau dieses Gefühl, etwas nicht loslassen zu können, obwohl ich weiß, dass es der einzig richtige Weg für mich wäre- ein Weg zurück zu meiner Lebendigkeit.
Auch ich habe Wochen und Monate einfach nur in enormer innerer Anspannung verharrt und konnte nichts mehr tun. Ich habe mein Leben massiv vernachlässigt, war wie gelähmt. Als stünde die Zeit still.
Ich habe mich übrigens nicht abgelenkt und für mich war es so richtig. Ich wollte verstehen, was mit mir passiert.
Eigentlich sind wir alle ständig voller Lebensimpulse. Man muss sich nicht zu etwas schönem (Deinem Leben) zwingen. Das Tun geschieht von ganz alleine aus einem innerem Antrieb wenn Du bereit bist, es zuzulassen.
Wenn aber ein enormer Schmerz bei Dir unter einer hauchzarten Decke zurück gehalten werden muss, dann geht alle Energie in diese Blockade hinein. Man kann nicht unter Wasser die Luft anhalten und gleichzeitig lachen, atmen und vorangehen...
Auch ich habe mir vehement verboten aus der Erstarrung herauszutreten. Bei mir war es eine extreme Verweigerung, einen leider unsinnigen Traum aufzugeben. Ich wusste, er wird nie in Erfüllung gehen, nie und ich wusste auch, dass all das, was mich glücklich machen könnte, genau dort ist, wo
nicht dieser Traum ist. Aber ich habe mich dem Leben wegen dieses Traumes verweigert.
Es ist echt so, als würdest Du Dir stur in den Kopf gesetzt haben, dass an einer ganz bestimmten Stelle auf der Wiese des Lebens ein Schatz begraben ist und so buddelst und gräbst Du Dir bei Wind und Wetter die Hände wund...besessen von der Vorstellung, dass Du- wenn Du nur alles gibst- irgendwann an den Schatz heraunkommst. Die Sonne brennt Dir auf dem Rücken, der Schnee lässt Deine Hände gefrieren aber beharrlich gräbst Du weiter.
Um Dich herum blüht und tobt das Leben aber dafür hast Du keine Energien mehr. Das Leben um Dich herum erscheint Dir wertlos, sinnlos. Die Liebe ist da, wo Du sie vermutest, tief in dieser Grube, in der Du gräbst.
Du meinst Graben zu müssen, dabei wäre es viel einfacher, damit aufzuhören und Dich dem Leben um Dich herum einfach zu öffnen- denn der Schatz ist dort- links und rechts von Dir- und nicht einmal vergraben
Ich alte Buddlerin weiß es
Ich kann mir vorstellen, dass diese Lähmung noch andere Gründe hat.
Zum einen schreibst Du selbst, dass Du so viel in diesen Mann investiert hast..mit dem Resultat, dass Du auf der Beziehungsebene jetzt gerade bei Null stehst, vielleicht sogar eher bei minus 20.
Es ist sehr schwer, zu akzeptieren, dass man keinerlei Früchte aus einer Sache erntet, in die man so viel hinein steckte. Das kann zur Erstarrung führen. Man will den Bankrott nicht fühlen. Du hast alles aus Dir herausgeschleudert, Dich verschenkt und hast nichts geerntet. Das schöne daran ist, dass man erfährt, dass es der denkbar falscheste Weg zum Glück ist, all seine Energien in eine Beziehung anstatt in sich selbst zu stecken. Dennoch, einen Traum aufzugeben kann sehr wehtun. Es kann eine Weile dauern, bis Deine Seele bereit ist, den Schmerz anzunehmen.
Aber wenn man einen Traum aufgibt, der sowieso keinerlei Chance auf Verwirklichung hat, dann macht man den Platz in sich frei, um sich dem Leben zuzuwenden, sein Herz anderen Dingen- und vor allem sich selbst zu öffnen.
Kennst Du das Kinderspiel Mein rechter, rechter Platz ist frei?- ich wünsche mir den Ex herbei Der Platz neben und in Dir, den hälst Du besetzt. Es kommen viele Gelegenheiten, mal für eine Minute etwas anderem Platz zu lassen- sei es nur einer Verabredung. Du aber lehnst alles ab und sagst Pardon, dieser Platz ist besetzt
Wenn man jemand verrät, dann deckt man manchmal eine Lüge eines anderen auf. Ich kann z.B. mir selbst verraten, dass mein Prinz in Wirklichkeit ein ziemlich liebloser Kerl ist. Vielleicht willst Du dieses Geheimnis noch in Dir hüten?
Der Verrat...vielleicht ist es auch ein Verrat an Dir selbst? Wie Du es beschreibst, hast Du offenbar angenommen, Dich selbst verleugnen zu müssen, um ihm zu entsprechen, um Dir seine Liebe zu verdienen. Das, was Du an Energien und Liebe hättest für Dich selbst aufbringen können, hast Du in ihn gesteckt. Ist das nicht ein Selbstverrat?
Und es ist gut, dass Du damit aufgehört hast, indem Du wenigstens rational weißt, dass Du ihn nicht mehr willst. Es ist der erste Schritt, Dir selbst wieder näher und treu zu sein. Du beendest eine Situation, die für Dich nicht mehr erträglich war...und bist zwar noch nicht bereit, Dich etwas Neuem zu öffnen aber das wird kommen...Noch rollst Du Dich wahrscheinlich wie ein verwundetes Tier in Deinem Schmerz ein.
Noch ein anderer Gedanke zum Verrat, der nur mich persönlich betrifft, aber möglicherweise auch etwas in Dir anregt. Ich hatte auch dieses Gefühl des Verrats gegenüber meinem Ex (obwohl er nicht gut zu mir war). In der Therapie fand ich heraus, dass ich ein kindliches Bild in mir trug. Wenn ich gehe, dann lasse ich meinen Vater zurück, lasse ihn allein. Ich war also in der Identifikation mit meinem Vater, nicht aber bei dem Gefühl, selbst verlassen worden zu sein. Ich hatte das Gefühl, wenn ich diesen Mann (meinen Ex) aufgebe, dass ich dann meinen Vater aufgebe. Mit meinem Ex hatte das wenig zu tun. Und eine kleine Tochter liebt schließlich ihren Vater von allen Männern am meisten. Es ist etwas anderes, seinen Vater, oder seinen Partner zu verlassen. Emotional war das aber in mir verwoben.
Ich kann Dir nur raten, jetzt gerade nicht streng mit Dir ins Gericht zu gehen, Deine Gefühle, genau so, wie sie jetzt gerade sind (also zunächst einmal diese Erstarrung), anzunehmen. Vielleicht sogar kleine Dialoge (schriftlich?) mit Dir selbst zu führen- und dabei immer annehmend sein, nie verurteiilend, sondern eher befragend. Befrage Dich wie eine zärtliche Mutter selbst und reagiere beschützend auf Dich (kannst Dir auch ein Plüschtier zur Hilfe nehmen). Alle Gefühle, jede Stimme in Dir wollen so angenommen sein, wie sie sind. Dann verwandeln sie sich mit der Zeit von ganz alleine. Wenn Du aber gegen sie anarbeitest, sie Dir verbietest, dann liegen sie in Dir auf Eis und Du bleibst in dieser Regungslosigkeit.
Gefühle sind naturgemäß immer im Fluss, immer in Bewegung. Erst wenn wir sie daran hindern, stockt es in uns und ein Gefühl bleibt quasi stehen. Also fürchte Dich nicht vor Schmerzen...wenn Du lernst, Deinen Gefühlsfluss nicht mehr zu unterbrechen, dann wird nie nur ein Gefühl permanent in Dir sein.