Erst einmal ein großes Dankeschön an alle die sich hier die Mühe gemacht haben, ihre Meinung kund zu tun.
Einige von euch haben aus meiner Sicht sehr wichtige Punkte angesprochen, auf die ich auch gerne eingehen möchte.
Um allerdings einer Fehlinterpretation vorzubeugen, möchte ich an dieser Stelle vorab mal meine eigene frühkindliche Erfahrung in diesem Bereich mit euch teilen. Um aufzuzeigen, was für einen langen Rattenschwanz das Ganze mit sich zieht, schreibe ich die Geschichte gestaffelt, weil dann nicht nur besser erkennbar wird, wie prägend diese ganze Dynamik für ein Kind sein kann, sondern auch wie unterschiedlich bereits
schon Kinder, denken und fühlen.
Ich war 6 und mein Bruder 8 Jahre alt, als wir mitten in der Nacht, durch den ersten (bestimmt war er das nicht), richtig heftigen Streit meiner Eltern aus dem Schlaf gerissen wurden. Wir schliefen an diesem Tag im Bett unserer Eltern und ich hab heute noch vor Augen, wie sich mein Vater vor meiner Mutter aufbäumt und sie aggressiv anschaut und anschreit. So als wolle er sie jeden Moment schlagen, da er versuchte sie in die Seite ihrer Hüfte zu kneifen. Meine Mutter hingegen steht Tränenüberströmt vor ihm und versucht ihn panikartig abzuwehren, ihn irgendwie zu beruhigen und mit auffällig leiserer Stimme zu beschwichtigen.
Ich war wie in einer Schockstarre, denn bis Dato hatte ich meine Eltern (insbesondere meinen Vater) so noch nie erlebt. Vor lauter Angst schlug mir der Puls bis zum Hals und ich kroch noch näher an meinen Bruder heran und hoffte innerlich, das es gleich wieder vorbei sein würde und meine Eltern sich wieder vertragen. Als es nicht vorbei ging und mein Vater hingegen immer lauter und wütender wurde, schaute ich panisch und nahezu hilfesuchend meinen Bruder an. Aber der lag auch nur starr vor Angst und mit versteinerter Miene ebenso hilflos neben mir.
Die Bilder und verzweifelten Gefühle die ich bei diesem ganzen Szenario empfand, haben sich bis heute und in allen Einzelheiten, in mein Gedächtnis gebrannt!
Irgendwann hatte ich angefangen mir vor lauter Angst die Ohren zu zu halten, was natürlich überhaupt nichts half.
Und dann kam der Moment der mir persönlich die meiste Kraft abverlangte, denn ich stand nun mit diesem (gefühlt meinem) Problem vollkommen alleine da und zerbrach mir den Kopf darüber, ob und wie ICH es nun lösen könnte!
Meine Gedanken hierzu fuhren Achterbahn und ich versuchte gedanklich durchzuspielen, welche Reaktionen mich wohl s - in diesem für mich absolut unberechenbaren Zustand- seitens Eltern wohl erwarten würden, wenn ich es überhaupt wagen würde mich einzumischen!
Rückwirkend betrachtet trat nun genau Das ein, was ich Jahre später einmal in zahlreichen, psychologischen Büchern lesen sollte.
Nämlich, dass der Mensch in einer für ihn höchst bedrohlichen Situation zu folgenden, unbewussten Schutzmaßnahmen greift, die in diesem
frühen Stadium seines Alters, seiner
angeborenen Persönlichkeit zuzuordnen ist und er somit, wie gesagt vollkommen unbewusst, zwischen Flucht, Angriff oder Todstellreflex wählt.
Da mein Bruder ja nun auch anwesend war, finde ich, dass es sehr gut veranschaulicht wie unterschiedlich die Reaktionen darauf ausfallen können, obwohl man sich augenscheinlich in der absolut selben Situation befindet!
Flucht war in diesem Gedankenspiel keine Option, weil wohin sollten wir denn bitte flüchten?!
Während mein Bruder also immer noch stumm und steif neben mir lag und offensichtlich (denn das konnte ich ja damals mental noch gar nicht einordnen) den Todstellreflex für sich gewählt hatte, blieb für mich und intuitiv nur noch der Angriff übrig. Ich nahm also meinen ganzen Mut zusammen, riss mir die Bettdecke vom Kopf, richtete mich auf und brüllte meinen Eltern lauthals entgegen sie sollen damit aufhören! Doch anstatt sich zu besinnen und (aus heutiger Sicht) im Sinne und Wohle der Kinder zu handeln, war es allem voran mein Vater, der es vorzog, nach meiner Ansage nur noch wütender zu werden und meiner Mutter immer noch schreiend zuzurufen:,, Sieh was DU anrichtest und wozu DU mich bringst. Meine Mutter hingegen schien weiterhin wie paralysiert. Sie heulte und heulte nur und verharrte in ihren Versuchen, meinen Vater emotional wieder runterzufahren. Nach diesem Satz kroch nun auch mein Bruder unter der Bettdecke hervor, richtete sich neben mir auf und schaute meinen Vater mit einem fast nahezu hasserfüllt wirkenden Blick still und stumm an.
Im ersten Moment fühlte ich mich irgendwie entlastet, weil ich nun nicht mehr allein an der Front stand, aber dennoch jagte mir auch der Blick meines Bruders irgendwie eine gewisse Angst ein. An dieser Stelle erinnere ich nur noch, dass mein Vater (fast schon theatralisch) meiner Mutter weiterhin entgegen schreit, sie solle ihm aus den Augen gehen und aufhören rum zu plärren. Schließlich wäre er in den Augen der Kinder eh schon der Böse und ging dabei aus dem Zimmer. Wenige Stunden später stehen wir mit gepackten Koffern am Bahnhof und meine Mutter uns immer noch heulend erklärt, dass wir jetzt zu Oma und Opa (väterlicherseits und 500 Km entfernt) fahren. Meine Mutter ist Einzelkind und ihre Eltern lebten seiner Zeit im heimischen Ausland.
Dort angekommen und einen Tag später, dann der nächste Showdown. Mein Bruder und ich wurden zum Spielen auf den ansässigen Spielplatz geschickt, hatten aber irgendwie keine Lust und gingen somit zurück zum Haus meiner Großeltern, die gerade nicht da waren. Dafür aber meine Mutter, die hyperventilierend mit dem Telefonhörer in der Hand und wieder tränenüberströmt da stand und offensichtlich noch immer bemüht war, meinen Vater nun auch aus der Ferne zu beschwichtigen. Als sie uns sah, machte sie mehr hilflos, denn selbstsicher und bestimmend eine Handbewegung in unsere Richtung, die uns aufzeigen sollte wegzugehen und leise zu sein. Wir hingegen bleiben wie angewurzelt stehen und schauten uns minutenlang dieses Szenario an. Mein Bruder erneut mit ernster und versteinerter Miene und ich wieder einst fassungslos und kochend vor Wut darüber, dass es wohl immer noch nicht vorbei ist.
Impulsiv aber dennoch folgsam lautlos stürmte ich zum Telefon und drückte auf den Lautsprecher, um mich zu vergewissern, dass mein Vater am anderen Ende der Leitung ist. Um die Story nun nicht unnötig in die Länge zu ziehen, kann man zusammenfassend sagen, dass mein Vater nun versuchte zurückzurudern, indem er meine Mutter bat wieder zurück nach Hause zu kommen. Allerdings tat er das auf eine für mich damals, ziemlich unverständliche Art und Weise, denn er war nach wie vor laut und machte auf mich den Eindruck, als wäre er vielmehr damit beschäftigt sich zu rechtfertigen, anstatt sich bei meiner Mutter für seinen (in meinen Augen) Ausraster aufrichtig zu entschuldigen.
Noch heute frage ich mich, ob das wohl der Tag gewesen ist, an dem mein ganz persönlicher Gerechtigkeitssinn geboren wurde?! Schließlich wurde uns von kleinauf eingebläut, dass man mit seinen Mitmenschen höflich und respektvoll umgehen muss, weshalb ich basierend auf dieser Grundlage das Verhalten meiner BEIDEN Eltern, als schlichtweg falsch empfand. Somit fuhren meine Gedanken erneut Achterbahn, denn auf der einen Seite (ich war übrigens immer das Papa-Kind) wollte ich natürlich, dass meine Eltern auf jeden Fall zusammenbleiben und sich wieder vertragen, auf der anderen Seite aber irgendwie angewidert davon war, dass meine Mutter so mit sich umgehen ließ und meinen Vater nicht klarmachen konnte, dass man sich so ganz sicher nicht benehmen kann! Ich empfand meine Mutter als dermaßen schwach, dass ich erneut über mich selbst hinaus stieg, ihr den Hörer aus der Hand riss und einfach auflegte und sie im nächsten Moment dabei panisch anblickte, weil ich zeitgleich Angst davor hatte, mir nun den Ärger meiner Mutter dafür einzufangen. Auch das ist rückwirkend betrachtet ein Schlüsselmoment für mich gewesen, weil ich augenscheinlich zwar keinen Ärger von meiner Mutter für diese Aktion bekam, sie aber durch ihre nach wie vor beschwichtigende Art ohne jede echte Substanz, ein Gefühl von tiefer Schuld in mir auslöste. So als würde die stille Botschaft an mich lauten:,, Na toll, jetzt wird dein Vater erst recht schlecht von mir denken und ich darf mir noch mehr Vorwürfe anhören.
Kurz um....am nächsten Tag stiegen wir wieder zurück in Zug Richtung Heimat und es wurde kein Wort mehr über diesen Vorfall verloren und ich erst Jahre später erfuhr, was überhaupt der Grund für diesen Streit gewesen war.
Stattdessen begann an dieser Stelle meine erste Ausbildung als eine Art Mediatorin und ließ mich im Laufe der Jahre sogar unweigerlich zur Therapeutin der gesamten Familie mutieren.
Obwohl dieser erste Streit sinnbildlich für das nachfolgende und jahrelang anhaltend versagende Verhalten meiner Eltern steht und somit noch lange nicht das Ende der Fahnenstange ist, so habe ich das Ganze nur deshalb in seiner ganzen Ausführlichkeit geschrieben, weil ich damit aufzeigen möchte (Achtung der Satz wird lang , dass es ein fataler Irrglaube ist, wenn selbst Eltern, die es tatsächlich schaffen sich in solchen Situationen und im Sinne der hier oft zitierten Elternebene zusammenzureißen, weil sie glauben, dass das der Dreh und Angelpunkt für die Emotionen ihrer Kinder ist.
Denn das was die Kinder im ersten Stadium einer solchen Krise bzw. zu Beginn dieser wahrnehmen, ist nicht die Elternebene, sondern vielmehr die Paarebene! Zumindest war es bei mir so, denn VOR diesem Streit habe ich meine Eltern maximal unterbewusst als Eltern wahrgenommen und stattdessen vielmehr stets als Paar wahrgenommen, welches sich zuvor immer sehr liebevoll in ihrem ganzen Ausdruck und Umgang miteinander gezeigt hat.
Wenn man also einem Kind jahrelang einen liebevollen Umgang zwischen sich und dem Partner vermittelt hat, dann wird den Kindern bei einer solchen Aktion, nicht etwa in aller erst Linie das Scheitern der Elternbeziehung vor Augen geführt (das kommt aus meiner Sicht erst viel später und nach und nach), sondern aus Sicht des Kindes, der Verlust gegenseitiger Zuneigung und Liebe wieder gespiegelt. Und das bedeutet bzw. betrifft allem voran die Paarebene und vergiftet erst DANACH und allmählich auch die Elternebene! Kurz um, dem Kind wird aufgezeigt, was Liebesentzug bedeutet!
Fortsetzung folgt.....