Sophie22
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opie
Zitat:Was Liebe ist
S., sagten wir, sei die Basis von Liebe zwischen Mann und Frau. Doch warum lieben wir im allgemeinen nur einen Partner und nicht mehrere? Warum schlafen auch Leute, die wählen können, nicht jeden Tag mit einem anderen? Warum verzichten wir, wenn der Geliebte nicht da ist, eher ganz auf S., als daß wir uns einen erreichbaren S. nehmen? Warum sind wir treu, wenn wir lieben, warum sind wir eifersüchtig und intolerant? Warum gehört zur Liebe zwischen Mann und Frau die Fixierung an eine bestimmte Person? - Um das zu verstehen, müssen wir zunächst einmal wissen, was eine Person ist, das heißt, wir müssen uns ganz kurz mit der Struktur des Ich befassen.
Was jemand oder etwas ist sagt Wagn (Klaus Wagn: Was Zeit ist und was nicht. München 1975), wird von allem anderen definiert, das er oder es nicht ist. Dieses andere ist sein System, das Definierte selbst ist das Objekt, und diese System-Objekt-Beziehung gilt für physikalische Vorgänge ebenso wie für psychologische. Beim Objekt ICH wird das System von den Menschen gemacht, die es definieren: Die anderen machen mich zu dem, was ich bin, ohne ihre Definition wäre ich kein Individuum, denn ich hätte keine Eigenschaften und wäre von nichts und niemandem verschieden. Je weniger Menschen mich definieren, desto zuverlässiger wird die Definition, die man mir bietet, denn desto geringer ist die Gefahr, daß sie in sich widersprüchlich sein könnte. Das Glück, das ein Individuum durch genaues Definiertsein - durch seine freiwillige Unterwerfung unter fremde Maßstäbe - empfindet, nennt Wagn Lust an der Unfreiheit. Ihr Gegenteil wäre Existenzangst, die durch Definitionsmangel - durch Freiheit - entsteht. Der ideale Definitor, um wieder auf das Thema dieses Buches zurückzukommen, wäre demnach ein einziger anderer, und am besten für die Rolle geeignet wäre zweifellos der Liebespartner. Denn ich bin zwar in erster Linie ein Mensch, aber schon in zweiter ein s.uelles Wesen: Die gröbste Unterscheidung, die man zwischen Menschen trifft, ist die in männlich und weiblich. Am liebsten lasse ich mich daher von einem Menschen des anderen Geschlechts definieren. Das hat zwei Vorteile: Der andere - mein System - ist ein einziger, seine Meinung über mich kann sich nicht mit anderen widersprechen, und er ist mein s.ueller Gegenpol: Wer könnte mich besser als Frau definieren als ein Mann? Derjenige, der mir am genauesten sagen kann, wie ich bin, als Mensch und als s.uelles Wesen, ist mein Geliebter. Das ist auch der Grund, weshalb Liebe glücklicher - oder unglücklicher - machen kann als alles andere.
Eine glückliche Liebe beruht auf gegenseitiger freiwilliger Unterwerfung. Ein Mann und eine Frau, die sich lieben, befinden sich im Zustand absoluter Definition - jeder der beiden weiß in jedem Augenblick, wer, was und wie er ist, jeder ist des anderen allerhöchste Instanz. Zwischen Liebenden ist einer des anderen Objekt, aber auch System, sie sind sich gegenseitig alles. Das Definieren ist hier so genau, wie Definieren nur sein kann: Der Definitor ist ein einziger, und der definiert mich ganz - meine Psyche im Gespräch, meinen Körper im Liebesakt.
Ein Freund oder Feind kann mir etwas über meinen Geist sagen, ein Liebhaber kann meinen Körper beurteilen - der Geliebte richtet über meine ganze Person. Jede seiner Liebkosungen zeigt mir, wie ich bin: schön, begehrenswert, jede seiner Fragen und jede seiner Antworten sagen mir, was ich bin: ein Mensch, mit dem er sich unterhalten will, der interessanter ist als all die anderen, die er kennt. Dadurch, daß er ausgerechnet mich erwählt hat, macht mein Geliebter mich zu etwas Einmaligem auf dieser Welt: Ich werde von ihm geliebt, kein anderer. Wenn es eine glückliche Liebe ist, werden die Definitionen von Tag zu Tag genauer, nach jedem Rendezvous weiß ich noch besser, wie ich bin. Die anderen können über mich sagen, was sie wollen, ich glaube ihnen kein Wort. Nur mein Geliebter darf mir sagen, wie ich bin. Da seine Definitionen immer präziser werden, wird meine Abhängigkeit von ihm von Mal zu Mal größer, aber ihm geht es mit mir nicht anders. Ich sage ihm, daß ich ihn gehöre, daß er mit mir machen soll, was er will, daß ich ohne ihn nicht leben kann. Das ist keine Übertreibung: ich könnte tatsächlich ohne ihn nicht leben - ich wüßte nicht, für wen ich überleben sollte, denn ich wüßte ohne ihn nicht, wer ich bin. Er ist mein System.
Verläßt mich mein Geliebter, so entsteht ein unmittelbarer, akuter Definitionsmangel, ein Zustand totaler Freiheit, auf den ich - wenn es wirklich eine große Liebe war, eine absolute Definition von Geist und Körper - nur mit Apathie, Verzweiflung, Wahnsinn, Selbstmord - mit Existenzangst - reagieren kann. Der oft belächelte Liebeskummer ist wohl das größte Unglück, das einem Menschen zustoßen kann: Es ist das intensivste Freiheitserlebnis, das die Welt zu bieten hat.
aus Das polygame Geschlecht von Esther Vilar
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