Hallo Blattfrosch!
Mir ist es passiert. Ich bin jetzt 65 Jahre alt und seit beinahe 40 Jahren verheiratet. Wir haben 3 Kinder und somit vieles, was uns verbindet. Dennoch habe ich mich mit Anfang 50 in einen anderen Mann verliebt und hätte sehr gerne damals ein neues Leben mit ihm angefangen. Doch es kam anders, denn er war nicht zu einer Beziehung mit mir bereit. Es kam zu einigen intimen Treffen, die mich in meiner Entscheidung bestärkten, daß dieser Mann ein geeigneterer Partner sein könnte.
Meine Ehe war damals schon lange nicht mehr glücklich. Wir lebten das traditionelle Familienmodell, ich zu Hause bei den Kindern, mein Mann das Familienoberhaupt. Wir hatten gebaut und unsere Kinder, die damals schon aus dem gröbsten heraus waren, benötigten noch immer viel Unterstützung. Auch finanziell, denn 2 von ihnen studierten bereits. Ich hatte sehr viel für die Familie aufgegeben, hatte meinen Beruf an den Nagel gehängt und lebte für die Kinder und den Haushalt. Das Geld war knapp und so machten wir nur ein mal im Jahr einen bescheidenen Urlaub an der Küste und ich sparte wo ich nur konnte. Das Haus musste schließlich auch noch abbezahlt werden. Frisörbesuche, Hobbys, hübsche Kleidung. All das war für mich kaum möglich. Selbstverständlich fuhr auch mein Mann das einzige Auto alleine, um damit täglich zur Arbeit zu kommen. Einkäufe erledigte ich also zu Fuß mit meiner Handkarre.
Auch geistig erhielt ich kaum noch Anregung damals. Unsere Umgebung war sehr spießig. Meine Freundinnen waren in ähnlicher Situation und interessierten sich nicht für Politik oder Kultur. Theater, Kino alles das kam zu kurz. Mein Mann ging seinen Hobbys nach und auch unsere Kinder besuchten Sportvereine und Musikschulen. Das knappste ich von meinem Haushaltsgeld ab. Doch ich selbst gönnte mir nichts.
Als ich ihn dann traf und bemerkte, daß er sich für mich als Frau zu interessieren schien, konnte ich es zunächst kaum glauben. Diese Erfahrung war so überwältigend und ich hatte eine riesige Angst vor dem, was kommen sollte. Doch die Versuchung war zu groß. Endlich einmal ging es nach vielen aufopferungsvollen Jahren um mich. Mein Mann hatte mich als Frau längst aus den Augen verloren. Es gab keine Komplimente, keine Blumen und kaum noch Zärtlichkeit. Unsere Freizeit verbrachten wir vor der Flimmerkiste. Und das Alter nahte. Ich hatte meine niederschmetternde Diagnose noch nicht ganz verdaut. Ich war an MS erkrankt. Die Krankheitssymptome waren noch mild, doch die Zukunft war ungewiss.
Ich hatte keine rosige Zukunft vor Augen, würde ich bei meinem Mann bleiben. Die Zukunft mit dem Geliebten dagegen erschien mir verlockend. Er wusste um meine Erkrankung und er war der einzige, mit dem ich offen über meine Ängste reden konnte. Er sah mich trotzdem als Frau und bemühte sich um mich. Zum ersten Mal in meinem Leben schlief ich mit einem Mann, den ich von Herzen begehrte und der das gleiche für mich zu fühlen schien. Ich war völlig berauscht.
Doch es kam anders. Als mein Geliebter sich der Verantwortung bewusst wurde, beendete er es. Er erklärte sich kurz und zog sich dann konsequent zurück. Ich kehrte in meine Ehe zurück und gestand die Affäre. In meiner Verzweiflung war mir alles egal. Auch das Risiko, alleine zu bleiben nahm ich in Kauf. Mein Mann entschied sich jedoch, die Ehe fortsetzen zu wollen. Zu groß war seine Furcht vor einem Neuanfang ohne mich. Mein Mann ist ein sehr unsicherer Mensch mit großen Verlustängsten. Das war wohl der Grund.
Unsere Ehe wurde nie wieder glücklich. Dennoch sind wir bis heute zusammen. Die Angst vor einem Neuanfang und die Bequemlichkeit hielt uns beieinander. Da mache ich mir überhaupt nichts vor. Unsere Kinder sind inzwischen ausgezogen und haben zum Teil eigene Familien gegründet. Mein Mann und ich leben nebeneinander her. Ich koordiniere trotz meiner inzwischen verschlechterten Gesundheit noch seinen Alltag und den Haushalt, für den ich eine Hilfe habe. Dennoch ist es nach wie vor meine Aufgabe, Einkäufe zu planen, die Wäsche zu bügeln und die anderen Arbeiten in Auftrag zu geben. Mein Mann ist inzwischen im Ruhestand und verbringt seine Zeit vor dem Computer. Seinen anderen Hobbys geht er nicht mehr nach. Wir leben sehr zurück gezogen in unserem kleinen Haus, in dem jeder von uns ein eigenes Zimmer bewohnt.
So lange es geht, werden wir es so halten. Spätestens in einigen Jahren jedoch werde ich in eine Einrichtung ziehen, wenn meine Pflege zu Hause zu aufwendig wird. Eigentlich freue ich mich darauf, denn wir haben eine gute Einrichtung hier, wo ich dann endlich wieder an gesellschaftlichen Veranstaltungen teilnehmen könnte. Momentan lebe ich doch sehr isoliert. Freunde und Verwandtschaft haben sich schon längst zurück gezogen. Unsere Kinder kommen zu Besuch, wann immer sie können, jedoch sind sie beruflich sehr eingespannt und leben nicht mehr in unserer Nähe.
Meine Affäre bereue ich nicht. Ich hätte mir nur einen anderen Ausgang gewünscht. Dennoch war es eine schöne Zeit, in der ich noch einmal aufgeblüht bin. So etwas wie damals hatte ich zuvor noch nie erlebt. Mein Mann war immer eher nüchtern. Natürlich waren auch wir verliebt und hatten eine schöne Anfangszeit. Doch das Leben und der Alltag waren bei uns immer von Sorgen belastet. Auch der Charakter meines Mannes war nie einfach. Er war immer sehr kontaktscheu, in sich gekehrt und still. Mit zunehmendem Alter gab er seine Zurückhaltung zwar zunehmend auf, aber er wurde stattdessen im Kontakt mit anderen oft zynisch und dominant. Das verschreckte unsere wenigen Bekannten und Freunde und heute ist von ihnen niemand mehr übrig.
So ist es nun und so wird es bleiben. Ich hätte mir mehr Kraft und Mut gewünscht, alleine meinen Weg zu gehen, doch dafür war ich zu unselbstständig und zu feige. Ich bewundere junge moderne Frauen, für die ein solches Leben niemals in Frage käme. Das einzig positive, was ich auf meinem Haben-Konto zu verbuchen habe, sind meine Kinder. Einzig und allein für sie hat sich all das gelohnt.
10.12.2021 09:33 •
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