Zitat von Garibaldi:Den Satz aus Trauungsreden bis dass der Tod euch scheidet kann man doch sowieso schon längst streichen.
Die Fleischtheke ist dank Tinder und Co. doch immer gut gefüllt. Warum sich noch dauerhaft auf einen Ehepartner festlegen ?
Wir sind doch heute eine Spaßgesellschaft. Der Egotrip steht ganz weit oben.
Du vergisst, daß die Ehe immer Machtinstrument war und aus Versorgerinteressen bestand. Im Adel wurden die Nachkommen schon im Kindesalter verschachere, um sich Territorial- bzw Lehnsansprüche zu sicher. Die Versorgerinteressen selbst machten es in allen Schichten recht unmöglich aus dem Konzept wieder auszusteigen. Lange Zeit war es für den Mann, in dem Fall leichter, wenn er sich eine (räumliche) Trennung finanziell erkaufen konnte.
Beide Aspekte aber der Machtaspekt als auch das Versorgerinteresse sind in den letzten Dekaden deutlich zurück gegangen. Und diese freien Platz haben wir inzwischen der romanischen Liebe zugewiesen. Und im Gegensatz zu dir, finde ich das ziemlich schön.
Denn obwohl wir alle irgendwie wissen, was Ehe war und das es heuten eben keine Garantie gibt, egal wir sehr wir uns davor fürchten, obwohl wir das alles wissen, spazieren wir die Straße des Lebens entlang und eines Tage treffen wir auf einen anderen. Und mit dem ist das Leben schön und deutlich lustiger. Und dann trifft man sich und fängt an, die ersten Situationen zu meistern und ehe man es sich versieht, ist das Gefühl für den anderen großer geworden. Ab und zu hat man ein bißchen angst, ob das Gefühl denn überhaupt noch größer werden kann, aber es wächst.
Dann schaut man dabei zu, wie alles irgendwie ganz natürlich zusammen wachst, die ersten Klamotten hier, die Zahnbürste da. Und während man all das tut, ist man glücklich, gut gelaunt und angekommen.
Man erwischt sich dabei, wie man noch über verstohlen zum anderen schaut und denkt, hach isser nicht toll.
Und all dieses Glück möchte man eben auch mit seinen Freunden teilen, und als Paar möchte man zueinander gehören und deswegen gibt es ein Fest für Freunde und Familie, welches mit vielen Traditionen und Erwartungen verbunden ist, aber das Paar mag sich bekennen. Alles Zeigen, wie glücklich sie sind. Und das ist wirklich schön!
Deswegen heiraten Menschen, naja und Steuervorteile gibts auch.
Aber das ist ja eigentlich nicht Deine Frage ne, Du willst wissen, warum niemand mehr an der Ehe festhält, die er einmal geschlossen hat.
Weil nicht alle Geschichten, die so beginnen wie oben, so auch weitergehen. Es gibt unzählige Ereignisse, auf die kannst Du dich nicht vorbereiten. Was es wirklich bedeutet, ein Kind zu haben, der Vater oder die Mutter stirbt, an einer schweren Krankheit zu erkranken, im Lotto zu gewinnen, zu entdecken, daß dir dein Job wichtiger ist als Kindern oder umgekehrt Hausmann oder Frau werden zu wollen. Kannst Du Dich nicht drauf vorbereiten und mußt du halt meistern. Und manchmal verlieren sich Paare in einer solchen Situation und wenn Du glaubst, daß sich langjährige Paare bzw Ehepartner leicht machen, sich zu trennen, dann wird es an der Zeit, daß Du vielleicht mal einen Blick auf die unglaubliche Tragik wirfst.
Irgendwann nämlich haben die sich vielleicht so sehr aus den Augen verloren, daß sie beginnen, sich gegenseitig weh zu tun. Da wo man selbst in sich so viel Liebe gespürt hat, wird es vielleicht einfach nur dumpf oder besonders laut, weil man vom anderen nicht gehört wird. Niemand kann sich so gut quälen, wie Menschen, die einander mal geliebt haben. Und beide Seiten sollen plötzlich nach Jahren des gemeinsamen Entscheiden jeder für sich nen Weg zu finden, mit dem Scheitern dieser Bindung klar zu kommen.
Trennungsgründe als kleine Bumb in the Road darzustellen und zu behaupten, wäre doch alles wieder gut geworden, wenn man nur wirklich daran gearbeitet hätte oder es eben hätte einfach nur wollen müssen.
Das ist so großer BS und verstärkt einfach nur das ohnehin bestehende Gefühl des Scheiterns.
Wenn eine Beziehung in die Brüche geht, dann bedeutet das auch immer Tragik für die Beteiligten. Und in so einer Situation mit einem rosafarbenen Glitzerpflaster um die Ecke zu kommen, daß da heißt, ihr habt halt nicht gewollt, ihr habt euch nicht gut genug bemüht, was die Essenz dessen ist, worüber sich im Zweifel das Paar schon selbst streitet, Deutungshoheit in der Fehleranalyse. Die wenigstens Menschen trennen sich, weil sie das wollen, sondern weil sie es MÜSSEN.
Weil irgendwann der Punkt erreich ist, all das, was man zusammen hatte in Schutt und Asche liegt und man irgendwann ne Entscheidung trifft, die da heißt, ich kann so nicht weitermachen
und dabei ist es in einem ersten Moment auch egal, ob man das tut, weil man sich nen neuen Partner aufstellt oder damit klar kommen muß, daß der andere dies getan hat oder gerade dabei ist zu tun. Weil es am ureigenen Schmerz nichts ändert. Der Blick darauf, warum mache Dinge so passiert sind, dieser Blick eröffnet sich vielleicht irgendwann später. Mal weil man in der neuen Situation die gleichen Probleme hat, mal weil es eben viel Zeit braucht aus dem Schmerz und Verlust herauszukommen.
Und wenn jemand sich an so einem Punkt befindet, dann dem zu erzählen, wenn Du oder Dein Partner nur mehr gewollt hätten. Damit treibst Du jeden in den Schmerz tiefer rein und deswegen wird die Nummer zu Deinem höchstpersönlichen Ego-Trip.
Und das Ganze dann damit zu untermauern, daß es nur mal ne echte Not-Situation geben müsste damit wir alle wieder zusammen wachsen, ist in seiner ein-dimensionalen Radikalität beängstigend. An der Stelle schlag ich vor, daß Du mit Deinen 37 Jahren noch mal Deine Kenntnisse zu Ex-Jugolsavien auffrischst und die mal die Jahres- und Opferzahlen anschaust. Und dann buchen wir Dir ein Ticket nach Kiew, wo man am Parlament auf die Fotos von mehreren Tausend gefallen Ukrainern gucken kann und dann reden wir mal über Deine Wünsche.
Der Satz, man hätte sich mehr bemühen müssen, aber wir leben ja in einer Wegwerfgesellschaft ist zunächst Respektlos, denn Du hast keinen blassen Schimmer, was zwischen den Paar wirklich abgehet und es steht Dir nicht zu darüber zu werten!
Und dieser Satz ist empathielos, weil Du offensichtlich glaubst, daß es richtig ist, einem Menschen, der sich in Mitten seiner eigenen Tragik befindet (Trennungen und Umgang mit dieser zeigen auch immer das eigene Drama), zu sagen, hey Wegwerfgesellschaft. Anstatt zu sagen, es tut mir leid, daß ihr/Du gescheitert bist und leidest.
Menschen heiraten, weil sie in dem Moment an ihren Entschluss glauben. Manchmal hält dieser Glaube und manchmal geht er verloren. Und was Du betreibst ist nichts weiter als Trennungsshaming. Jeder einzelner dieser Beziehungen gehört ein Pokal überreicht für die Jahre, die sie zusammen gut gemeistert haben und eine Medaille dafür, daß sie den verd*mmten Mut haben, egal wie beängstigend der neue Weg sein mag, sich nicht mehr weiter (selbst) zu quälen.
Mic drop.