Zitat von MMHW71: Du empfindest deine erfahrene Kränkung als unüberwindbar. Warum?
Die Antwort darauf ist nicht einfach. Es liegt wohl an vielen Dingen. Zum einen leide ich seit vielen Jahren an Depressionen und habe eine entsprechende Persönlichkeitsstruktur. Zum anderen habe ich in meinem Leben auch vor dem AM schon viele negative Dinge erleben müssen. Die Affäre war da nur wahrscheinlich der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Andererseits aber waren einige Dinge, die in ihrem Zusammenhang passierten, für mich wirklich so traumatisch, dass sie immer wieder hoch kochen werden.
Z.B. war der AM ja mein Vorgesetzter in einem ohnehin belastenden Berufsumfeld. Ich hatte bei ihm meine erste Stelle als Pflegehilfskraft in einem Altenheim. Ich hatte eigentlich mal einen ganz anderen, sehr anspruchsvollen Beruf gelernt bzw. studiert, konnte in den aber nach meiner langen Familienpause nicht zurück kehren. Zuviel hatte sich da im technischen Bereich gewandelt und ich hätte alles von Anfang an nochmal lernen müssen. Kein Arbeitgeber wollte mir dazu die Chance geben. Also machte ich eine kurze Umschulung und freute mich sehr auf meinen neuen Beruf. Doch die Dinge die ich dort erlebte waren sehr belastend und beeindruckend.
Der AM war der Wohnbereichsleiter. Seine Art zu arbeiten faszinierte mich von Anfang an. Ich habe bis heute wirklich nie wieder einen derart empathischen und fachlich kompetenten Menschen in diesem Beruf erlebt. Gerade deshalb hätte ich ihm das, was ich später erleben musste nie zugetraut. Es begann damit, dass er mir sehr viel Lob für meine Arbeit schenkte. Dieses Lob wurde dann sehr schnell persönlicher. Manchmal aber entzog er sich und erschien tagelang abwesend und gereizt mir gegenüber. Aber nie den Bewohnern gegenüber. Dieses Heiß und Kalt verunsicherte mich, machte mich aber auch neugierig auf ihn. Dann eben erfuhr ich vom Drama der Krankheit seiner Frau, die dann kurze Zeit später starb. Er tat mir unendlich leid und ich arbeitete noch härter, um ihn zu entlasten. Ich übte Tätigkeiten aus, für die ich weder ausgebildet noch befugt war. U.a. verteilte ich Medikamente und spritzte Insulin. Er hatte mich gut angeleitet, so dass nie etwas passierte. Wäre etwas passiert, wäre ich aber in Teufels Küche gekommen.
Dann eben das Gespräch, in dem ich ihm meine Verliebtheit offenbare. Er reagierte auch darauf merkwürdig. Er sagte, er möge mich sehr gerne, sei aber nicht verliebt, da er ja auch noch um seine Frau trauere. Das verstand ich natürlich. Er stellte mir aber im selben Gespräch eine gemeinsame Zukunft in Aussicht und sagte, ich sei nach dem Trauerjahr seine erste Wahl für eine neue Beziehung. Und er würde mir sehr gerne seine Familie vorstellen und sein Heimatland zeigen. Daraufhin trennte ich mich von meinem Mann.
Dazu muss ich sagen, das wir auch in Sachen Religion eine Verbindung hatten. Er war gläubiger Katholik und ich in unserer Gemeinde aktive Protestantin. Wir glaubten beide an Gott und die Kirche war uns wichtig. In unseren Kreisen gibt man so ein Versprechen nicht leichtfertig. Und da ich alles richtig machen wollte, zog ich eben sehr schnell die Konsequenzen. Wir wollten beide offenbar keine Affäre. Also löste ich meine Ehe und suchte mir eine Wohnung. Erst dann kam es zu ersten Intimitäten. Die waren aber sehr enttäuschend. Es waren allesamt Quickies, bei denen ich nicht im geringsten auf meine Kosten kam. Er war wirklich ein sehr schlechter Liebhaber, was ich auf seine Unerfahrenheit schob. Doch auch da sollte ich mich gründlich geirrt haben.
Um es kurz zu machen. Das ganze war ein einziger Krampf. Er spielte weiterhin das On-Off-Spielchen. Er nutzte meine Zuneigung auf der Arbeit aus und schob mir immer mehr Aufgaben zu. Ich war neben meiner Wohnungssuche und der Renovierung total überlastet. S. wollte ich ihm ebenfalls gefallen, was dazu führte, das ich Praktiken durchführte, die ihm gefallen sollten, bei denen ich mich aber erniedrigte. Und zu Hause war die Lage sehr angespannt. Auch weil er mich mehrfach betrunken anrief. Manchmal bis zu 10 mal pro Abend. Er forderte u.a., dass ich sofort vorbei komme oder ihm wenigstens *beep* von mir per WA schicke. Andernfalls würde er die Flasche W., von der er mir Fotos schickte komplett leer trinken. Ich macht mir natürlich große Sorgen.
Dann kam der Hammer. Eine Praktikantin berichtete mir, er sei ihr gegenüber anzüglich geworden. Sie lachte darüber und es schien ihr zu gefallen. Er war ja auch sehr charmant und gutaussehend. Wenig später erwischte ich die beiden in der Besenkammer. Ein paar Wochen später kam sie zu mir und erzählte mir, sie habe ihn mit einer weiteren Kollegin in der Stadt getroffen. Die Situation sei eindeutig gewesen. Als ich ihn darauf ansprach leugnete er. Gleichzeitig zog er sich immer mehr zurück von mir. Ging tagelang privat nicht ans Telefon und antwortete auf keine Nachricht. Als ich ihn in meine neue Wohnung einlud, die inzwischen fertig renoviert war, sagte er zu, erschien aber nicht. Dann der Brand in meiner Küche, mein Zusammenbruch, mein Mann holte mich zurück.
Der AM reagierte darauf erstaunt und sagte, dass sei doch nun alles viel besser so, schließlich sei die Ehe ja heilig und ich zu Hause besser aufgehoben. Wenig später wieder die ersten Küsse zum Abschied in einem Nebenraum. Dann meine Kündigung. Suche nach einem neuen Arbeitsplatz und von ihm der Kommentar, das wäre ja wirklich schade aber wohl das beste. Ich solle nur auf der Arbeit nichts über uns erzählen, denn unsere Heimleitung würde ein Techtelmechtel im Zeugnis negativ erwähnen. So ein Quatsch. Er machte mir regelrecht Angst. Nahm sich dann in den letzten Wochen meiner Arbeitszeit einen Krankenschein, um dem Drama zu entgehen. Da ließ ich die Bombe platzen und erzählte alles und jedem der es hören wollte.
Daraufhin wütende Anrufe von ihm. Und wenig später erneut ein Treffen in seiner Wohnung mit wirklich entwürdigendem S.. Ein paar Wochen später, die Situation hatte sich wohl auf seiner Arbeit wieder beruhigt, erzählte er mir, er habe jetzt eine feste Beziehung. Auf Nachfrage wer es sei, gab er zu, es wäre die Kollegin, mit der die Praktikantin ihn in der Stadt getroffen habe. Ich hatte natürlich noch viele Fragen, bekam aber keine Antwort mehr. Ich wurde blockiert und war fassungslos. Als ich ihn mit einem anderen Telefon anrief, war seine Freundin dran, bedrohte und beschimpfte mich. Wieder folgte eine lange Zeit ohne Kontakt. Dann meldete er sich plötzlich wieder bei mir. Er habe Schluss gemacht mit ihr und ich sei Schuld. Immernoch war ich Wachs in seinen Händen und schickte ihm teure Geschenke, um ihn zu besänftigen. Als er aber erneut um ein Treffen bat, lehnte ich ab. Daraufhin wurde ich wieder blockiert bzw. er legte sich wohl eine neue Nummer zu, um mich endgültig los zu sein.
Dies hält bis heute an. Sorry für die lange Geschichte und zu Recht wirst du dich an den Kopf packen, wegen meiner Naivität. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, ich war ihm hörig. Mich daraus zu befreien, war ein schwieriger Kampf. Vielleicht verstehst du jetzt, warum ich sage, ich würde mich nie wieder so öffnen können.
Eine psychologische Erklärung für all das ist vielleicht meine Erziehung. Ich hatte sehr strenge Eltern und einen sehr dominanten Vater. Schläge und verbale Erniedrigungen waren an der Tagesordnung. Diese Strenge ließ mir wenig Raum zur Selbstentfaltung und ich hatte gelernt, dass der beste Weg zum Überleben war, sich zu fügen und sich zu erniedrigen. Als ich mich von ihnen abwendete, weil sie meinen Mann nicht akzeptieren wollten, geriet ich in die nächste Abhängigkeit. Mein Mann ist zwar auf den ersten Blick ein sehr sanfter, ruhiger Mensch, er hat aber ab da meinen Lebensweg bestimmt. Ich hatte nur wenig Einfluss auf die wichtigen Entscheidungen unseres Ehelebens. Ich habe mich dem fraglos gefügt. Die Affäre war in dieser Hinsicht sogar ein bisschen eine Befreiung, denn mein Mann wollte mich zurück. Die Therapeutin machte mir Mut diesen Umstand zu nutzen und endlich mal meine Bedürfnisse als Bedingung zu benennen. Wow! Ich hätte mich das alleine nie getraut aber es funktionierte sogar.
Heute bin ich trotz meiner latent vorhandenen Depression die Stärkere in unserer Ehe. Doch ich befinde mich immer am Abgrund einer neuen depressiven Episode und muss daher gut auf mich aufpassen, um nicht wieder in alte Muster zu rutschen. Mit meiner Lebensgeschichte, zu der noch andere Dinge gehören, wie z.B. Mobbingerfahrungen in meinem ersten Beruf, ein krankes Kind, dass nach der Geburt mehrfach und über Jahre operiert werden musste, werde ich mich noch bis zu meinem Tod herumplagen. Ebenso mit der traumatischen Hysterektomie, von der ich dir bereits erzählte. Das alles aufzuarbeiten wird mich restlos fordern. Und es kommen immer neue Dinge hinzu, wie z.B. jetzt die Krankheiten meines Mannes. Für eine neue Liebe hätte ich weder Zeit, noch Energie noch irgendein Interesse.
So und jetzt bin ich hier wirklich mal wieder weg. Auch das ist dringend notwendig um die Geister der Vergangenheit mal wieder in Pandorras Kiste zurück zu schicken.
Ich hoffe und glaube nicht, dass es dir ähnlich ergehen wird. Du bist eine tolle, starke Frau, die ihren Weg gehen wird. In ein paar Wochen ist dein Affärenspuk vorbei und wie immer du dich entscheiden wirst, es wird gut sein. Deshalb von mir alles Liebe und viel Glück!
LG Shedia