Zitat von MMHW71: Je älter er wird, desto weniger will er davon wissen. Ich habe das Gefühl, mit jedem Lebensjahr versteinert er mehr.
Die Krux am Altwerden ist, dass einen gerade da oft verdrängte Dinge einholen. In der Jugend wird über vieles hinweggegangen, denn da sind andere Dinge wichtiger. Dann kommt die Mitte des Lebens, in der man sich seinen Platz erobert. Beruflich und privat. Man ist auch da noch mit vielen Nebenschauplätzen beschäftigt.
Und dann auf einmal, so um die 50 drängen gewisse Dinge, denen man nie Beachtung schenkte, weil man sie erfolgreich verdrängt hat, auf die bewusste Ebene. Man fängt unweigerlich an zu bilanzieren. Was lief gut, was lief schlecht und warum lief manches schlecht? Was läuft da eigentlich ab, warum ist er so und warum bin ich so?
Diese Fragestellungen zuzulassen, kann schlimme Ängste triggern. Denn es könnte so ausgehen, dass ich erkennen muss, dass ich in mancherlei Hinsicht versagt habe. Diese Gedanken sind schon schlimm genug, aber noch schlimmer sind dann die nach dem Warum? Was ist falsch gelaufen, wo bin ich falsch abgebogen, warum bin ich immer noch in dieser unbefriedigenden Beziehung und warum traue ich mir so verdammt wenig zu?
Zu erkennen was da innerlich los ist, kann auch befreiend sein. Nein, es kann nicht, es ist befreiend, wenn man sich dem stellt. Und oft erkennt man dann auch, es ist nachgelebt, es wurde mir so beigebracht, mir ist als Kind Schlechtes widerfahren, mit dem ich nicht umgehen konnte und daher beschäftigt es mich jetzt immer noch. Man erkennt, die Eltern haben auch so manches angerichtet, aber auch hier gilt: sie sind auch ein Produkt der Ursprungsfamilie, des Kulturkreises, der Gesellschaft. Nicht selten wirken auch in der Enkelgeneration der Menschen, die den zweiten Weltkrieg erlebt habe, Traumen nach. Sie werden auf nachfolgende Generationen weiter vererbt und keiner weiß so recht wie das geht.
Allerdings birgt diese Sichtweise auch wieder die Gefahr, Verantwortung abzulegen. Das ist kein Freibrief und nur weil ich das Pech hatte, einen gewalttätigen Vater zu haben, kann das keine Entschuldigung dafür sein, dass ich jetzt auch Konflikte mit Gewalt löse.
Es muss eine Balance zwischen Erlebten, Erworbenen und der Eigenverantwortung gefunden werden. Das Gute an solchen Erkenntnissen ist, dass viele Dinge, Einstellungen und Ängste ihren Schrecken verlieren, wenn man es zulässt, dass sie auf die bewusste Ebene drängen. Dann kann ich abwägen. Hier lebe ich wohl ganz klar das Verhalten meiner Mutter nach. Muss das so bleiben? Ist das gut, tue ich mir was Gutes damit? Nein, eigentlich nicht, es ist nur altbekannt und Bekanntes bedeutet auch Sicherheit.
Muss ich alles davon behalten was mir so nebenbei beigebracht wurde? Nein, ich muss das nicht ewig behalten, ich darf diesen Rucksack auch in den Keller stellen, wo er zwar da ist, aber nicht weiter stört und belastet, aber ich darf mich anders entscheiden.
Wenn Dein Mann das Wort Mutter nicht in den Mund nimmt, deutet das auf gravierende Verletzungen hin Er ist innerlich bitter enttäuscht darüber und er ging in eine oppositionelle Haltung dazu. Ist das gut? Nein, denn wie Du siehst, es hilft ihm nichts. Im Gegenteil, die innere Verunsicherung lässt ihn weiterhin Dinge tun, die ihm diese nehmen. Dazu gehört auch kontrollierendes Verhalten, Überwachungsmaßnahmen, Misstrauen, Eifersucht, die oft genug nur ausgedacht bzw. erfühlt ist und nicht auf Tatsachen beruht.
Er will sich Sicherheit verschaffen, denn seine Mutter konnte er nicht kontrollieren. Er war vielleicht ihrer Launenhaftigkeit, Unberechenbarkeit ausgesetzt (das kenne ich leider nur zu gut) , was ihn verunsicherte und Angstg machte und will das jetzt ausgleichen, indem er unbewusst sagt, ich muss zumindest dafür sorgen dass mir meine Frau bleibt. Und er wählt dazu die falschen Mittel, die den anderen einengen und ihm die Luft abschnüren. Er hat zahlreiche innere Ängste und die versucht er im Zaum zu halten mit Sicherungshandlungen..
Die eigenen Eltern nüchtern zu betrachten, ist ja fast nicht möglich. Denn da wirken noch andere Dinge wie eine Solidarität der Kinder mit den Eltern. Kinder wollen ihre Eltern lieben, beide und sch dann zu sagen, dass ich meine Mutter leider Gottes innerlich eher ablehnen muss, tut weh. Es ist ein tiefer Schmerz dahinter der aufgelöst werden sollte, sofern es geht.
Konflikte mit Eltern sind zwar oft unvermeidbar und das Mittel der Wahl ist meist dass man sich aus dem Weg geht, aber wem hilft das? Es tut den Eltern unfassbar weh, wenn sich keiner um sie kümmert, gerade wenn sie alt werden und es tut auch den Nachkommen weh wegen des Solidaritätskonfliktes. Der wird dann zwar niedergebügelt mit den Worten es ist besser so, aber da schwingt eben auch wieder eine Resignation und Enttäuschung mit, die auch da ist und die man dann abtun will.
Ich hatte mich mal in einen Fotografen verguckt. Jahre her, aber er gefiel mir. Er hatte etwas an sich was mich für ihn einnahm. Ich traf mich nach langem Überlegen tatsächlich einmal mit ihm und war dann geheilt, denn das Bild das ich mir von ihm gemacht hatte, löste sich auf. Er war eingebildet und musste immer das Besondere haben. Er trank nur Tee, weil ihm das seine Heilpraktikerin so gesagt hatte. Ich überlegte, wo diese Heilpraktikerin wohl anzutreffen ist und er sagte mir ohne dass ich gefragt hatte, dass sie (natürlich) in Berlin ist. Einige Hundert Kilometer von hier entfernt.
Aha, na klar, hier in diesem Gäu findet Herr Extrabesonders natürlich keine taugliche Heilpraktikenri, denn natürlich ist eine aus Berlin besser für ihn geeignet. Es ist klar, dass er auch keine Alk.. trank und nicht rauchte. Naja, es sprengt den Rahmen, was er alles von sich erzählte in langen Monologen. Ich saß da und starrte ihn an und dachte mir, ich schaue ein aufgespießtes Insekt an mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu.
Dann fragte ich ihn, wo er denn eigentlich ursprünglich herkomme. Und ich spürte umgehend dass ihm diese Frage nicht gefiel. Er sagte dann pflichtschuldigst, dass er aus G stamme (40 km von hier, ich kenne das Städtchen), was ihm aber sichtlich Unbehagen bereitete. Und dann sagte er noch nebenbei was über seinen Vater und ich wusste es sofort: Er lehnt seinen Geburtsort ab und er lehnt seinen Vater ab. Also unbewältigte Konflikte mit zumindest einem Elternteil, die ihn jetzt wahrscheinlich dazu bewegen, seine gewöhnliche und kleinbürgerliche Herkunft mit allerlei Allüren zu überdecken. Auch ein Mechanismus sich selbst zu helfen, indem man ein Bild von ganz besonderer Außergewöhnlichkeit von sich erschafft bzw. erschaffen möchte.
Damit war er dann bei mir völlig unten durch, denn er schämte sich dafür, sagen zu müssen, dass er (nur) aus G. stammte. Kleingeist, fieige und voller Verdränungen von Dingen, mit denen er sich nicht identifizieren konnte, weil sie seine Außergewöhnlichkeit in Frage stellte, die er aber nach Kräften pflegte.
Und für so was hatte ich mich interessiert! Gut, dass ich ihn getroffen hatte, denn danach war ich geheilt.
Eines seiner Lieblingsworte war Kommunionkinderbausprachvertrag. Es ist erlaubt jetzt zu lachen, also tue es ruhig. Wortwörtlch. Es war seine Art, sich über die bürgerliche und kleine Gesellschaft zu erheben, denn das Wort drückt den engen Horizont aus, die seine gewöhnlichen MitbürgerInnen hatten. Einen Horizont bis zum Gartentor und das Wichtgste sind Enkel, für die man schon mal einen Bausparvertrag startet, damit sie sich später leichter tun.
Ich wusste was er damit sagen wollte, aber ich akzeptierte es nicht, sondern fragte ihn auf der Fahrt zu dem ebenfalls außergewöhnlichen Biergarten wohin er wollte, warum er eigentlich die einfachen Bürger so ablehne und so abqualifzierte. Sein Verhalten sei lieblos, sagte ich. Wenn es diesen Menschen so taugt, was regt er sich darüber dann auf und muss es abwerten?
Damit hatte ich ihn eiskalt erwischt und er versuchte das zu relativieren und wegzuwischen. Ich freute mich darüber, dass ich ihn darauf angesprochen hatte, weil ich sogleich den Verdrängungsmechanismus seines Verhaltens erkannte.
Was für ein blöder Hund, aber auch armselig und bedauernswert, weil völlig verbildet. Wie seine eigentliche Identität ist, wird er vermutlich nie erfahren, weil er ja einem Bild hinterher rennt, das er von sich erschaffen hat um sich aufzuwerten. Und auch seine gewöhnliche Kleinstadtherkunt, der er ablehend gegenüber steht, passt da ins Bild. Leider ist er halt nicht in Berlin, Paris oder New York geboren worden, sondern nur in G., 40 läppische Kilometer von hier und hier in diesem Kleinstadtmief ist es auch nicht besser.
Deswegen hat er ja noch eine Wohnung in der nächsten Großstadt, die so groß auch wieder nicht ist, wie es einem einzigartigen Menschen wie ihm anstehen würde. Denn nur hier zu leben, nein, das geht nicht, nicht für ihn.
Bis wir die 25 Kilometer in den außergewöhlichen Biergarten gefahren waren, stiegen wir fast streitend aus dem Auto weil ich mich ärgerte über seinen Kommunionkinderbausparvertrag, den er immer wieder aufs Tablett bringen musste.
Ich hoffe, diese Story heitert Dich ein wenig auf. Bleib auf dem Weg, er ist spannend und lehrreich, wenn auch manchmal beschämend und verunsichernd.
Ich dachte mir, lös Du erst mal Deinen Vaterkomplex auf, dann gnge es Dir besser. Dies nur nebenbei weil es auf Deinen Mann auch zutrifft.
Ich sage es Dir nochmals: Sei dankbar für die Affäre und die Krise jetzt. Du kannst so unendlich davon profitieren auch wenn Du jetzt massiv verunsichert bist. Es wird sich vieles für Dich klären und es wird Dir in einigen Jahren (geht schneller als Du denkst) besser gehen. Und darum geht es ja auch, um eine bessere Einstellung zu Dir selbst. Damit fühlst Du Dich dann wohler. Und irgendwann wirst Du auch wissen, ob Dein Weg gemeinsam mit Werner weiter geht oder nicht.