Lieber Architekt,
Für Außenstehende ist es ja durchaus leichter eine Meinung zu diesem oder jenem zu haben Und die Faktenlage: lieblose Ehe, halbherziger Ausbruch durch Affäre, Aufdeckung, Selbstmordversuch und das Abservieren Deiner Freundin ist be- und erdrückend.
Nur ist es natürlich eben auch etwas anderes, wenn man mitten in so etwas steckt. Irgendwie wirken alle Beteiligten, Du natürlich im Besonderen, sehr isoliert auf mich. Da scheint es außerhalb des Sohnes weder bei Dir noch bei Deiner Frau andere Menschen zu geben, die als Ansprechpartner, anteilige Bezugsperson oder eben auch Korrektiv durch Außensicht dienen könnten.
Der erste Weg muß daher heißen, raus aus der Isolation. Das Leben wird sich nicht dadurch ändern, daß Du weiter traurig, verletzt, hilflos und wütend in Deinem Büro verharrst. Den ersten Schritt hast Du ja durchaus gemacht und hier geschrieben, das ist gut. Und auch mutig!
Allein, das Forum kann bei dieser Schieflage eben auch nur der erste Schritt sein. Hier ist ein Gedanke, den ich Dir sehr eindringlich ans Herz legen möchte:
Niemand -auch der glücklichste und gesündeste Mensch nicht- ist in der Lage die Hilflosigkeit und das Verhalten Deiner Frau ALLEIN zu schultern. Das geht einfach nicht. Daran mußt Du scheitern. (weil eben auch jeder andere, der solches versucht, daran scheitern würde).
Als Architekt würdest Du ja auch nicht einfach mal so eine Blinddarm-OP durchführen, in der Erwartungshaltung das zu können.
Aber: Genauso wenig kann Deine Frau, Deine Isolation, Deine Wut und Deine Trauer allein schultern. Ich versteh schon, daß das natürlich gar nicht so offensichtlich ist, Deine Geliebte schien das ja fünf Jahre auch zu können, aber, wenn Du tief in Dich hinein hörst, dann weißt Du, dass das eben so auch nicht stimmt.
Ich könnte Dir jetzt ganz schlau erzählen, daß Du für den Selbstmordversuch Deiner Frau nicht verantwortlich bist. Auch das ist aber eigentlich nur die halbe Wahrheit. Natürlich bist Du nicht schuld! Und noch viel mehr, niemand ist verpflichtet, in einer solchen Situation zu bleiben. Die Angst, daß Deine Frau Ihre Drohung wahr machen könnte und es wieder tut, muß/sollte/darf Dein Leben nicht bestimmen.
Dennoch fühlt sich jeder Angehörige verantwortlich, manchmal so gar auch schuld. Mit wenigen Ausnahmen möchte kein Mensch der Grund dafür sein, daß ein anderer leidet oder eben so weit wie Deine Frau geht. Es ist mit sehr, sehr viel Arbeit verbunden, da einen einigermaßen gesunden und nachhaltigen Weg zu finden. Ein Weg, der es Dir erlaubt Trauer darüber zu empfinden, was sich Deine Frau antut und gleichzeitig auch möglich macht, daß Du ein Leben frei von dieser Schuld, die Dir jemand anders aufbürdet, zu führen.
Ich wiederhole, Du musst als erstes raus aus der Isolation. Der gerade Weg wäre therapeutische Unterstützung. Und zwar für Dich. Aber vielleicht bist Du noch nicht so weit. Dann hier schreiben, alte Freundschaften reaktivieren, neue Bekannte gewinnen. Vielleicht hast Du ja mal demnächst ein Klassentreffen. Ja eh, die sind doof, geh ich auch nicht hin; ich muß aber auch nicht daran erinnert werden, wer ich einmal war. Fahr auf Kongresse, geh mit dem Kollegen auf ein B.. Such Dir Input. Menschlichen meine ich. Wie lösen andere ihre Konflikte? Wie leben die? Wie lieben die?
Und hier noch ein, zwei Gedanken: Eine Freundin von mir hat eine zeitlang immer mal wieder im Freundeskreis mit Selbstmord gedroht. Als ich einem Profi davon erzählt habe, war das erste Feedback -neben der auch von mir empfundenen Empathie- das dies ein sehr aggressiver Akt ist. Das hat mich überrascht, aber das ist schon etwas wahres dran.
Genauso ist es durchaus aggressiv eine Affäre anzufangen. Zumindest im Bezug auf die Hauptbeziehung. Natürlich kommen da dann immer die klassischen Erklärungsmuster, ich wollte mich mal wieder begehrt fühlen, ich bin da so reingerutscht, ich habe mich wieder wahrgenommen gefühlt. Ja eh, kann man alles im Forum nachlesen. Aber bei Lichte betrachtet, sind die meisten Affären auch Akt von Aggression. Aggression gegen den Ehepartner. Du hast mir so lange nicht zugehört, du hast mich nicht wertgeschätzt, ich war nicht wichtig, du hast mir S oder Liebe entzogen. So, das hast Du jetzt davon. Jetzt habe ich halt eine Affäre.
Deine Frau und Du, ihr habt euch gegenseitig in Geiselhaft genommen. Wobei die Betonung auf gegenseitig liegt. Über Jahre aufgerüstet, so daß es die beziehungstechnischen Atombomben affäre und selbstmord zum Schluss gebraucht hat, weil kein kalter Krieg ewig dauern kann.
Und da genau, da ist eben das Problem, gegenseitig. Jedes Wettrüsten braucht nicht nur Ursache, Anlass sondern in letzter Konsequenz auch einen Partner, der eben der Gegner ist. Ohne Gegner kann ich mich natürlich noch immer bis an die Zähne bewaffnen, aber die Wahrscheinlichkeit, daß ich mich dann eben doch mal mit der ureigenen Paranoia auseinandersetzen muß, ist deutlich höher.
Das gilt für Deine Frau und das gilt für Dich.
Und jetzt sind wir bei Dir, ja bildlich gesprochen ist derjenige, der einen Rollstuhlfahrer verlässt, immer der A. Weil es einfach total Mist ist, jemanden im vermeintlichen Stich zu lassen, der extrem Hilfe braucht. Die romantische Heiligsprechung der Ehe im 21 Jahrhundert macht das ja wirklich deutlich. In guten und in schlechten Tagen, so heißt das doch.
Die Wahrheit ist aber eine andere, eine viel grauenhaftere und gräßlichere: Aus Konvention und Angst vor der eigenen nicht hinterfragten Moral den Helfenden zu spielen, Teil des Problems zu bleiben und vielleicht ab und zu insgeheim darauf zu hoffen, daß der nächste Versuch gelingt. Nie diesen Gedanken gehabt?
Deine Frau braucht Hilfe. Das ist offensichtlich. Du aber auch.
Du bist Teil vom Wettrüsten. Langfristig gibt es nur einen Weg, Deine Frau muß aufhören, Dein Verbleiben bei Ihr als existentielle Ausrede zu nutzen, sondern schauen, was da eigentlich passiert. Du wiederum mußt aufhören, aus Ihrer Erkrankung ein Münchhausen by proxy zu machen.
Menschenskind, Du scheinst doch Architekt (oder ist das auch nur so ein, ich wäre ja Architekt geworden, wenn meine Frau am Tag der Prüfung nicht), wer, wenn nicht Du, wäre dazu in der Lage zu verstehen, daß Funktion und Form zwei verschiedene Dinge sind? Und ja, da gibt es Interrelation, aber ihr zur Seite zu stehen, kannst Du auf so viele Arten und Weisen.
Und nein, ich halte Dich keineswegs für feige. Um so etwas über Jahre durchzuziehen, braucht es auch sehr viel Mut.
Ja! Klingt schräg nicht? aber das ist ja das Ding, Du bist in einer Schräglage gefangen. Aber und das ist die gute Nachricht, als Architekt verstehste doch was von Schräglagen. Daher lass das mit den Blinddarm-OPs, vielleicht ziehst Du es ja ordentlich durch mit dem Schräglagen beheben, dann könntest Du doch bei der Geliebten in ein, zwei Jahren mal ganz unverbindlich vorbeischauen und so nachfragen, ob die Dir ein paar Tips als Ärztin geben könnte.
Schließlich und endlich, wenn Du kannst, dann lass Deinen Sohn so weit es geht außen vor. Was Du und deine Frau da an System aufgebaut haben, hatte und hat Konsequenzen.
Ich wünsch Dir von Herzen alles Gute!
05.07.2017 17:03 •
x 13 #21