Ich weiß natürlich nicht, ob du das überhaupt jemals liest, aber ich musste es einfach niederschreiben, ich konnte meine letzte Korrespondenz mit dir nicht unkommentiert lassen. Das ist nicht die Erinnerung, die ich hinterlassen möchte.
Ich habe gerade meine Therapiehausaufgaben gemacht und die stürmische See der Idiotie hat sich beruhigt. Die Wogen sind etwas geglättet.
Ich habe nach meiner letzten Episode dir gegenüber nunmehr eine nachhaltige Erkenntnis beim Verfertigen meiner Aufgabe gehabt.
Ich wusste ja bereits, dass mein Thema immer die Kontrolle gewesen ist und das in vielfältigen Ausprägungen. Diese Kontrolle über meine Umgebung wurde von mir stets mit Aggression durchgesetzt, wodurch Wut zu meiner Sekundäremotion werden konnte, da sie sich als primäre Erfolgsstrategie durchgesetzt hatte, um Konfliktsituationen zu klären.
Jegliche negativ besetzten Gefühle wurden von mir also versucht mittels Wut aufzulösen, daher war ich auch immer ein beschissener Ansprechpartner, wenn es um Ängste und Sorgen ging, wie du bedauernswerterweise mehr als einmal erleben musstest.
Dieser Kontrollzwang wurde ausgelöst durch ein bedrohliches, unstetes Elternhaus (Vater willkürlicher Narzisst und Trinker und überforderte jähzornige Mutter), in dem meine Existenz fortwährend bedroht wurde. Ständig wurde mir erzählt, während man meine Sachen packte, dass ich nun ins Heim gegeben würde, dass es jetzt reichte und man mich abholen ließe. Ich wurde geschlagen und meine Bedürfnisse waren nie Gegenstand irgendeiner Betrachtung.
Alleine diese Zeilen zu schreiben macht mich unendlich traurig, eine Trauer, die meinem schutzlosen, unschuldigen jüngeren Ich gilt, meinem inneren Kind. Der kleine x. hatte es damals einfach schlecht und das musste ich mir erst einmal eingestehen und mir auch erlauben Mitgefühl mit ihm zu haben. Der erwachsene x. kann und darf wütend sein, aber er darf auch trauern um sein kleines Ich und das tut er jetzt auch.
Das war allerdings noch nicht ganz der springende Punkt, mein zugrundeliegendes Problem war nicht (nur) der Kontrollzwang, sondern wie dieser entstand. Nämlich durch die Angst vor Verlust, dem Verlust des Zuhauses, der Heimat, der Liebe. Alle Entscheidungen, die ich als Erwachsener getroffen habe wurden durch diese Angst beeinflusst, alle Ausflüchte und Erklärungen dienten nur dazu dem Verlust von etwas entgegenzuwirken. Ich wollte mein Kind nicht verlieren, mein Zuhause nicht verlieren und dich nicht verlieren. Diese Situation ließ sich nicht auflösen ohne mein Mitwirken und dagegen habe ich mich aus Angst konsequent gewehrt, ich habe stets nach dem Weg des geringsten Widerstands gesucht, dem Weg, der am wenigsten Einbußen für mich bedeutet und bin dadurch den Weg eines furchtsamen und mutlosen Kindes gegangen.
Ich war nie der Mann, den du vielleicht für kurze Zeit in mir gesehen hast, ich war feige, bedürftig und zwanghaft. Ich kann aus der Warte, die ich jetzt gerade eingenommen habe nicht glauben, was ich dir zuletzt schrieb und anbot, obwohl es erst ein paar Tage zurückliegt. Ein hanebüchener Vorschlag, geboren aus Angst. Ich schäme mich dafür unendlich, aber genau so muss ich vor deinem geistigen Auge dastehen, als schamerfüllter, blubbernder Idiot. Sieh mich bitte noch einmal im Geiste an, sieh meine Unentschlossenheit, sieh meine Drückebergerei und höre mich, wie ich dir sage, dass ich dich aus tiefstem Herzen um Verzeihung bitte für das, was ich getan und größtenteils eben NICHT getan habe.
Zu keiner Zeit lag es an dir, zu keiner Zeit warst du es nicht wert den letzten Schritt zu gehen, ich war zu feige. Falls du dich irgendwann mal an unsere gemeinsame Zeit erinnerst, so möchte ich, dass du dir sicher bist, dass nichts, was du getan hast, uns verhindert hat. Ich hingegen werde jetzt erst langsam dem Mann ähnlicher, der ich vor drei Jahren hätte sein müssen und vorgab zu sein. Ich werde mich immer an uns erinnern, denn wir waren lebensverändernd für mich.
Ich habe leider durch mein Verhalten nicht nur unsere Liebe getötet, sondern auch unsere Freundschaft und beides bereue ich zutiefst.
Du warst das Beste.
Ciao
x.
Das sollte eigentlich meine letzte Mail gewesen sein, aber es kam noch eine Antwort von ihr.
07.10.2020 16:20 •
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