Hallo!
@Ricky
Selbst auf die Gefahr hin, daß wir uns bald ein paar tadelnde Verweise einhandeln werden, wenn wir uns hier über Studien unterhalten, möchte ich doch gerne antworten, weil ich solche Diskussionen ja durchaus spannend finde.
Ja, ich gebe zu, ich bin auch der Wissenschaft gegenüber skeptisch (vor allem gegenüber jenen Bereichen, die mit dem Menschen zu tun haben, ihn also eventuell, je nach Fall, auch unmittelbar betreffen - bei der Astrophysik meinetwegen ist es etwas völlig anderes).
Die Betonung liegt aber wohlgemerkt auf skeptisch, kritisch - denn depressiv bin ich durchaus nicht. Nahezu eher das Gegenteil.
Ein wirklich großes Problem sehe ich darin, daß heute die Wissenschaft jenen Rang eingenommen hat, den früher die Religion innehatte (mit denselben absolutistischen Bestrebungen) - nämlich den Erkenner, Offenbarer, Hüter der Wahrheit, damit auch den Richter über richtig und falsch, auch über gut und böse. Und so, wie die Menschen früher kritiklos religionsgläubig waren, sind sie heute wissenschaftsgläubig. Aus diesem Grund muß auch alles wissenschaftlich belegt werden, ansonsten ist es ohnehin schon uninteressant und bloße Phantasterei. (Wo sind die Zeiten der Philosophie, der Kunst?, möchte man fragen.)
Was man aber doch sehen muß, ist, daß es keine absolute Erkenntnis gibt. D. h. in 500 Jahren wird man auf unsere Wissenschaft so zurückblicken, wie wir auf die Alchemie zurückblicken (ein bißchen etwas war schon dran, und es war auch nötig, aber doch zu einem großen Teil Humbug, Irrtum).
Das heißt ja nicht, daß ich gegen Wissenschaft bin, denn es ist eben der Weg, auf den es den Menschen, zumindest den modernen, durch die Aufklärung verschlagen hat, der ja lange genug unter der Vormundsfuchtel der Kirche gelitten hat. Nur sollte man eben auch die Wissenschaft kritisch sehen, nicht einfach alles übernehmen, sich davon nicht manipulieren lassen.
Gewisse Studien sind ja auch wertvoll, soziologische z. B., aber eben nur gültig innerhalb einer bestimmten Kultur und eines bestimmten Zeitrahmens, eingebunden in größere Zusammenhänge, aber sicher niemals eine absolute Wahrheit wiedergebend. Es kann ja kein Zweifel bestehen: Hätte man ein und dieselbe (sozialrelevante) Studie vor 200 Jahren durchgeführt, wäre man zu ganz anderen Ergebnissen gekommen als heute und ebenso als in 100 Jahren, würde man sie dann wieder durchführen.
Wenn ich Dich richtig verstanden habe, ist Deine Meinung, daß eine Meinung, die jemand einfach hat, ohne Belege dafür, nur sinnloses Gewäsch. Bitte, mag sein, in vielen Fällen trifft das sicherlich auch zu. Denn eine Meinung zu haben, heißt, nicht viel zu haben. Nur darf man eben auch nicht übersehen, daß Studien ja gerade dazu dienen, Meinungen, Theorien, oftmals durchaus auch ganze Ideologien zu belegen oder zumindest zu untermauern, daß sie also bereits von Vornherein in eine bestimmte Richtung gehen, bestimmte (manipulative) Absichten verfolgen und letztlich der Meinungsmache dienen. Und zudem kann man auch davon ausgehen, daß die heutigen, wissenschaftlich untermauerten Meinungen auch nur vorläufige sind und irgendwann überholt sein werden. Was die Frage aufwirft, ob man, selbst bei einer rational-wissenschaftlich geprägten und bestimmten Daseinsform, letztlich nicht auch nur Sand in den Händen oder im Getriebe hat.
Du magst Dich ja intensiver auseinandersetzen damit, aber die Regel ist das eben nicht. Und so wird jemand, der meinetwegen zuvor mit einem Cholesterinwert von 200 gut und sorgenfrei gelebt habt, dann, nachdem der Grenzwert im Auftrag der Pharmaindustrie durch belegende Studien auf 180 gesenkt worden ist, unruhig werden und zu ensprechenden cholesterinsenkenden Mitteln greifen.
Oder gar, wenn man an populärwissenschaftliche Studien denkt! Da liest etwa jemand in der Zeitung, daß eine Studie gezeigt habe, daß 10% Übergewicht das Risiko, an einer Herz-Kreislauferkrankung zu erkranken, um 50% erhöht. Dann liest er zwei Tage später, eine wissenschftliche Studie habe die alte Volksweisheit bewiesen, ein Apfel täglich verringere das Risiko für eine Herz-Kreislauferkrankung um 50%. Könnte, ja müßte sich der dann nicht denken: Ok, ich esse nun noch zusätzlich einen Apfel täglich, und alles ist in Butter!?
Oder nehmen wir das Beispiel des Betrügens. Eine solche Studie hielte ich von Vornherein für völlig wertlos. Denn was mit Sicherheit nicht herauskommen wird, selbst dann nicht, wenn der Opus Dei sie in Auftrag gibt, ist, daß 100% der Fremdgänger immer wieder fremdgehen. Ebenso, wie nicht herauskommen wird, daß 100% der Fremdgänger nicht mehr fremdgehen. Es kann als nur etwas dazwischen herauskommen, eine Wahrscheinlichskeitsgewichtung, sonst aber nichts.
Angenommen, eine solche Studie würde erweisen, daß Betrüger in 80% der Fälle wieder fremdgehen. Was fängt man im wirklichen Leben dann damit an (als passiv Betroffener)? Immerhin kann es ja sein, daß man es mit einem Betrüger zu tun hat, der zu den 20% gehört und nicht mehr betrügen wird. Oder im umgekehrten Fall: Die Studie ergebe, 20% betrügen wieder.
Das Einzige, was eine solche Studie indirekt erkennen ließe, ist, wie die passiv Betroffenen darauf reagieren. Und, je nach Ansicht, Geschmack, Einstellung, könnte man dann daraus den Grad ihrer Liebe, ihrer Dummheit, ihrer Risikobereitschaft, ihre Zuversicht, ihres Selbstvertrauens bzw. ihrer Gefühlsarmut, ihrer Unsicherheit, ihrer Ängstlichkeit usw. ableiten.
Und dasselbe gilt für sehr viele andere Studien. Das gelebte Leben wird sich nicht an Studien orientieren - und zumindest ich sage dazu nur: glücklicherweise!
Insgesamt ist das beste Studienobjekt ohnehin immer nur man selber bzw. das eigene Leben. Und ich glaube eben, daran sollte man sich vor allem auch orientieren. Denn es hilft mir ja nichts, wenn ich aufgrund einer Studie zwar weiß, daß Bananenesser besser schlafen, das bei mir aber nicht der Fall ist.
Und nein, ich habe es gar nicht so mit Theorien, auch nicht mit Verschwörungstheorien. Ich sehe das Leben einfach pragmatischer, vielleicht auch etwas poetischer. Davon hat man, meiner Erfahrung nach, mehr. Es gibt auch etwas wie eine ratio-basierte Verkümmerung, eine Hypertrophie der Rationalität. Die mag zwar überzeugend wirken, wird das Leben aber nicht glücklicher machen. Ich bevorzuge jedenfalls hier eher halbwegs das Gleichgewicht.
Liebe Grüße