Liebe HOME,
leider komme ich im Moment nicht mehr so viel zum Schreiben. Ich muss mich ein bisschen disziplinieren und nicht so viel im Internet rumhängen. Muss lernen neben meinem Job.
In Deinen Aussagen steckt so viel drin. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.
Es tut mir Leid, dass Du so leidest im Moment. Ich weiß auch wirklich nicht, was ich Dir raten soll. Ich habe gedacht, ob es auch einen Mittelweg gibt. Im Moment verkneifst Du Dir eine Kontaktaufnahme, leidest aber unendlich darunter und Du hast ja auch ganz viele offene Fragen:
Ist Dein Freund vielleicht froh, dass es so gekommen ist?
Will ER überhaupt noch eine Beziehung mit Dir? etc.
Ich habe mich gefragt, ob es auch möglich wäre, dass Ihr Kontakt aufnehmt, damit Du auch Deine offenen Fragen klären kannst. Das vermeidest Du, weil Du Angst hast, dann wieder umzufallen - was ich sehr gut verstehen kann, wenn man jemanden eigentlich total gern hat und sich wünscht, mit ihm zusammen zu sein. Andererseits könnte auch dabei herauskommen, dass ER sich innerlich schon aus der Beziehung zurückgezogen hat. Hast Du auch Angst vor dieser Antwort? DU setzt die Grenzen fest und eine Kontaktaufnahme muss nicht zwangsweise den gleichen Trott wie früher bedeuten. Aber das ist schwer umzusetzen, das kann ich mir vorstellen.
Vielleicht kannst Du die Zeit auch nutzen, um für Dich ganz klar zu formulieren, was DU von ihm brauchst, um Dich wieder auf eine Beziehung mit ihm einzulassen, nicht einfach nur, dass er weniger trinkt, sondern ganz konkret ... was Du von ihm erwartest ... was Du bräuchtest, um ganz langsam wieder Vertrauen zu entwickeln, dass er wirklich etwas tut. Je konkreter, desto besser.
Ich habe mich ein bisschen wiedererkannt in dem, was Du über ihn schreibst: einerseits extrem selbstschädigendes Verhalten, dann wieder Phasen von totalem Gesundheitsbewusstsein (Ernährung und Sport). Guck Dir Joschka Fischer an! Der ist für mich das beste prominente Beispiel für solche Extreme: vom extremen Dickerchen zum Extremsportler, neben seinem anstrengenden Politikerjob mal eben noch für diverse Marathons trainiert (sogar ein Buch darüber geschrieben: Mein Lauf zu mir selbst! oder so ähnlich) und jetzt ist das Pendel so langsam aber sicher wieder in die Gegenrichtung ausgeschlagen. Es sind immer nur verschiedene Seiten derselben Medaille. Und auch Eure Beziehung ist in der ersten Zeit SEHR eng gewesen (auch in gewisser Weise was extremes).
Das kenne ich von mir auch und es ist für mich aus meiner Erfahrung heraus auch etwas Typisches für Sucht-Menschen: immer vom einen Extrem ins andere. Früher habe fast herablassend auf Leute geguckt, die einfach ganz normal vor sich hinleben, mit ihren durchschnittlichen Leistungen zufrieden sein können und so ihr Leben machen, von allem ein bisschen, ohne diese extremen Ausschläge. Bei mir musste immer alles besonders sein. Heute liegt für mich der Schlüssel genau in dieser Mittelmäßigkeit und ich beneide Menschen, die von Natur aus so leben können, ohne was besonderes dafür tun zu müssen. Für mich ist es zum Lebensthema geworden, Dinge auszupendeln, das Mittelmaß zu finden. Selbst heute noch habe ich dieses Muster in mir, Dinge extrem zu tun. Ich bin nur wachsamer dafür und versuche gegenzusteuern. Und eigentlich geht ´s mir immer am besten, wenn ich es schaffe, das Gleichgewicht zwischen allen Aktivitäten zu finden: ein bisschen soziale Kontakte, ein bisschen Alleinsein, Beziehung, Arbeit / Leistung / Selbstbestätigung, ein bisschen Sport, aber nicht zu viel und und und.
Kann auch sein, dass er sich von Dir unter Druck gesetzt gefühlt hat, denkt, dass Du zu viel von ihm erwartest. Kann auch sein, dass er wirklich nur über den Prozess der Gewöhnung (weggehen mit Kumpels) immer tiefer in den Alk. rutscht - meine persönliche Hypothese ist allerdings, dass bei den meisten Menschen mehr als nur Gewöhnung dahintersteht. Kann auch sein, dass er Komplexe Dir gegenüber hat, weil Du Dein Leben besser auf die Reihe kriegst, mehr erreichst. Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Alles Hypothesen. Letztlich ist es SEIN Job herauszufinden, wofür er den Alk. benutzt. Nur an dem Punkt ist er noch nicht.
Du schreibst:
vielleicht habe ich ihn nicht genuegend unterstuetzt (Sport)
Ich habe deshalb schon auch ein schlechtes Gewissen. Er ist dann alleine losgegangen und vielleicht haette er mehr Spass, wenn ich dabei gewesen waere.
Ist es auch die Vorstellung, dass er vielleicht nicht so tief da reingerutscht wäre, wenn Du Dich mehr um ihn gekümmert hättest, sprich mitgegangen wärst zum Sport und so? Wenn das so sein sollte und ich das richtig verstanden habe, klingt das für mich ehrlich gesagt auch schon sehr nach co-abhängigem Verhalten: die Vorstellung, doch etwas verhindern zu können, wenn man selbst nur anders gehandelt hätte. So ging mir das eine ganze Zeit mit dem Spieler, dass ich immer den Anspruch an mich hatte, NOCH verständnisvoller zu sein, ihn zu unterstützen, ihm zu helfen ..., dass ICH etwas dazu tun kann, dass er da rauskommt.
Heute weiß ich, dass sich hinter diesen Gedanken auch die Angst vor der eigenen Ohnmacht verbirgt: Solange man glaubt, dass man selbst etwas dafür tun kann, dass es dem anderen besser geht, muss man sich nicht ganz so ohnmächtig fühlen / muss man sich nicht eingestehen, dass man selbst letztlich gar nichts dafür tun kann, dass er mit dem selbstzerstörerischen Verhalten aufhört - außer gut für sich selbst zu sorgen, den Partner mit seinem Verhalten und seinen Ausfällen zu konfrontieren statt ihn zu decken und die eigenen Grenzen anzuerkennen und einzuhalten.
Klar gehören in einer Partnerschaft immer zwei dazu und ich denke es ist gut, sich selbst zu hinterfragen und nach eigenen Anteilen zu gucken. Aber DU bist nicht dafür verantwortlich, dass er tiefer da reingerutscht ist und Du hättest es auch nicht aufhalten können. Wie Du selbst schreibst, das sehe ich auch so, dann hättest Du Dich zum Kindermädchen gemacht (Dauerüberwachung).
Du müsstest Dich mal mit meiner Freundin unterhalten. Die hat mit ihrem Mann auch das Problem, dass sie seine Fahne nicht ertragen kann und er fast täglich Alk. trinkt. Kann ich gut verstehen. Mein Freund war Raucher (und ich nicht) und das fiel mir mit der Zeit auch immer schwerer. Das ist ja auch ein heikles Thema. Er hat sich auch mit der Zeit persönlich zurückgesetzt gefühlt, wenn ich deswegen auf Distanz gegangen bin. Ich bin da z.T. auch über meinen Schatten gesprungen. Aber immer geht das eben nicht und mit der Zeit ist es immer schwerer, seine eigenen Gefühle / Abneigung zu unterdrücken. Ich finde, der andere kann das auch nicht erwarten. Das hat ja nichts mit dem Menschen an sich zu tun.
... sind nicht gerade die Frauen / Menschen stark, die ihre Gefühle zeigen können? Ich fühle mich dann auch immer klein und schwach, wenn das hochkommt. Aber letztlich macht es uns stärker und ich habe schon so viele Menschen kennen gelernt, die so eine souveräne Fassade haben, von der ich mich hab´ blenden lassen (auch im Studium zum Beispiel) und die mir Komplexe gemacht haben: Oh, die sind alle viel klüger als ich und so stark. Und wenn ich sie dann näher kennen gelernt habe, habe ich festgestellt: Oh, die hat eine Essstörung und missbraucht Abführmittel, der hat auch ein Alk. ... und damit war ich schon lange durch! Heute macht es mich eher skeptisch, wenn Leute besonders toll wirken.
Ach HOME, weiß nicht, ob Dich das tröstet. Ich kenne diese Panik, das Uhrenticken. Aber ich denke, Deine biologische Uhr ist noch lange nicht abgelaufen . Ich kenne einige Frauen, die noch mit 43 eine ganz natürliche Geburt (ohne Kaiserschnitt etc.) hatten. Da hast Du doch noch einige Jahre Zeit. Selbst ich habe das Thema noch nicht ganz abgeschrieben und bei mir naht gerade ganz verschärft die nächste Null :D
Von mir verlangt sie, dass ich meinen vergesse und nicht so viel heule und mich nicht so anstelle ... Das macht mich fertig, dass sie mir gegenueber so wenig verstaendnis zeigt fuer meine Situation.
Ja, das ist schwer. Das erinnert mich an den Freund, mit dem ich mich momentan verkracht habe, der auch gesagt hat: Tu dies! Tu das! Du darfst dich nicht in die Depression reinfallen lassen. Du musst gegensteuern. Raff Dich auf .... etc.. Letztlich ist es nur, glaube ich, dass es den anderen schwer fällt, die eigenen Trauer auszuhalten.
Ich wünsche Dir, dass Du Deine freien Tage ein bisschen so gestalten kannst, dass Du ein bisschen Kraft für Dich draus ziehst.
Ich kann Dir nur sagen, dass Du gar nicht allein bist mit Deinem Problem im Moment! Ich kenne andere Frauen, die genau das gleiche durchmachen, die auch versuchen, sich aus dem Teufelskreis mit einem Alk. zu befreien und denen es unendlich schwer fällt, das durchzuziehen, konsequent zu sein und die dabei gegen ihre eigenen Gefühle handeln. Ich würde Dir sehr wünschen, dass Du Austausch mit solchen Frauen finden würdest. Das könnte sehr erleichternd sein, weil sie es noch viel besser nachfühlen könnten.
Ganz liebe Grüße
Jazz