Hallo, Joanna,
also zunächst mal: dass Du für Dein Alter noch gut aussiehst, war mir sonnenklar. Als übergewichtige,in Leggins gekleidete Frau, an der nichts schön ist, hätte Dich Dein bad boy ja gar nicht angeschaut. Trotzdem war er eben immer in der Position desjenigen, der die Sache in seinem Sinne steuern konnte. Und es war Dir bekannt, dass er ein Weiberheld ist, woraus er keinen Hehl machte, aber er ist da offensichtlich nicht allzu wählerisch. Die Frauen, denen er sich widmet, müssen sicher gewisse Kriterien erfüllen, aber wenn sie das tun, sind sie auch willkommen. Du hattest aber nie eine Aussicht auf Exklusivität oder gar neue Beziehung.
Das vernünftigste wäre gewesen, sich nicht darauf einzulassen, aber der Mensch agiert meist nicht vernünftig, sondern da kommen eben Triebe, Sehnsüchte, der Wunsch nach Abwechslung und auch Bestätigung ins Spiel. Je mehr der Mensch von teils unbekannten Trieben und auch Defiziten gesteuert ist, desto weniger ist er bereit, auf die Vernunft zu hören.
Dann lässt man die inneren Warnzeichen beiseite, denkt sich, so eine Affäre ist ja auch mal ganz nett, aber leider ist es gerade bei Frauen oft so, dass sie sich oft in den S.partner verlieben. Das muss man einfach wissen, dass die Gefahr groß ist. Das scheint wohl auch an der unterschiedlichen Hormonausstattung zu liegen. Frauen sind hormonell schon ganz anders gesteuert.
Und was als hinreißendes Abenteuer begann, endet im Desaster, weil sich die unterschiedlichen Gefühlslagen heraus stellen.
Für den Mann ist es hauptsächlich S., die Frau kommt mit Liebe und Beziehungswunsch daher. Und damit eine Ungleichheit der Wünsche und die schafft dann Leid.
Derjenige, der investiert, ist dann gesetzmäßig auf der Verliererseite und hat die A-karte gezogen. Und er braucht dann auch oft sehr lange, bis er aus der Nummer wieder raus kommt.
Man muss aufpassen und auch seine Wünsche kennen und wenn der Mann schon am Anfang darlegt, was er zu geben bereit ist und was nicht, dann muss man Vorsicht walten lassen bzw. lieber gleich die Reißleine ziehen, ehe man sich richtig verlieben kann.
Zu Deinem Verehrer. Das ist der klassische Fall, der liebe Franz aus der Nachbarstraße. Vermutlich grundsolide, ehrlich, treu und ein wenig einsam. Leider auch ein wenig langweilig und die körperliche Anziehungskraft ist auch nicht spürbar. Ich behaupte, wir verlieben uns über die körperliche Anziehungskraft. Der Mann hat was an sich, man lernt ihn kennen, er hat eine bestimmte Aura, auf die die Frau anspricht und dann kommt sofort die Anziehungskraft ins Spiel. Man möchte ihn berühren und berührt werden.
Körperliche Anziehungskraft vergeht aber auch. In einem Großteil von langjährigen Beziehungen ist kaum mehr körperliche Begierde da. Aber es spielen andere Dinge eine Rolle, die wichtiger sind. Vertrauen, auch Gewohnheit (man kennt die Reaktionen und Eigenarten des Partners), Zuverlässigkeit und auch gegenseitige Fürsorge. Man kümmert sich umeinander und will dem Partner auch was Gutes tun und derjenige revanchiert sich dann auch oft, ohne dass gegenseitig Rechnungen aufgemacht werden. Wichtig ist auch der Humor, um den anderen nehmen zu können wie er ist.
Alles wirst Du nie haben können. Die bad boys haben einen eigenen Reiz, aber sie sind für eine langfristige Beziehung auf Augenhöhe nicht geeignet. Dafür bringt Franz andere gute Eigenschaften mit, kommt aber nicht zum Zug, weil er nicht attraktiv wirkt und Du nicht darauf anspringst.
Es gibt aber auch Liebe auf den zweiten Blick und die ist wesentlich verlässlicher als das Strohfeuer mit dem Abenteuerer.
Warum gehst Du nicht mit ihm mal Kaffee trinken? Ohne ihn gleich als potentiellen Partner zu betrachten. Machst Dir einen schönen Nachmittag oder Abend und vielleicht gewinnt Franz ja dann sogar. Es wäre dumm, ihn gleich abzuschreiben.
Wenn Franz dann Avancen macht, die Dich eher in die Distanz treiben, dann bleibt wohl nichts anderes übrig als ehrlich zu sein. Das gut gemeinte Angebot mit der berühmten Freundschaft ist dann aber auch hinfällig, wenn die Wünsche konträr sind. Du kannst einen Mann, der sich in Dich verliebt hat, nicht mit dem Angebot einer Freundschaft abspeisen.
Ich lernte mal einen aus der Arbeit kennen. Wir hatten nicht allzu viel miteinander zu tun,nur ab und zu. Da ich ihm aber immer bereitwillig half, wenn er was brauchte, wollte er mich zum Kaffee einladen. Immer wieder sagte er, jetzt müssen wir aber doch mal auf einen Kaffee gehen. Ich war in einer Beziehung, was bekannt war, und er verheiratet. Irgendwann fand dann der Termin statt, den ich möglichst schnell hinter mich bringen wollte. Ich fand ihn nett, aber nicht mehr. Kein Typ zum Verlieben, schon äußerlich nicht. Zu dürr für mich, das Gesicht sprach mich nicht an, die Beine zu dünn, die Füße zu groß. Ein Durchschnittstyp, der mich keinesfalls reizte. Bemerkenswerterweise unterhielten wir uns aber doch gut. Aus dem Kaffee wurde dann noch ein Abendessen. Ich rief meinen Mann an, ich würde später kommen, denn wir würden jetzt so nett plaudern. Das war okay für ihn. Und gegen 11 fuhr ich erst nach Hause. Wir wiederholten das nach einiger Zeit mal und da sagte Paul zu mir: Dann werden sich also unsere Lebenswege nicht überkreuzen.
Den Zusammenhang habe ich vergessen, aber damals zuckte ich fast zusammen und fragte mich, ob er vlt. nicht doch neben der netten Geste was Anderes gewollt hätte. Ich bestätigte aber sofort seine Aussage, damit war die Sache klar.
Wir sahen uns dann alle paar Monate und es wurde ein sehr guter Freund von mir. Wir konnten gut miteinander reden, als die Fronten geklärt waren. Ich war sogar außergewöhnlich offen bei ihm und er auch mir gegeenüber. Ich erzählte ihm auch von dem leidvollen Ende der Affäre. Leider ist Paul vor zwei Jahren gestorben. Darmkrebs, er überlebte nicht lange. Noch heute vermisse ich ihn.
Aber es entstand etwas jenseits von Lliebesbeziehung und Begehren. Etwas was sehr kostbar war und was ich verloren habe. C'est la vie!
Ob Du beziehungstauglich bist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich durchaus Eigenschaften eines bindungsvermeidenden Menschen habe. Das sehe ich schon an meiner Biografie. In der Jugend konnte ich es nicht erkennen, da war ich nicht so weit. Es gab Verehrer, die erkennbar Interesse an mir hatten. Leider hatten die in dem Moment schon verloren, wenn ich es merkte. Auf einmal waren sie uninteressant für mich, weil leicht verfügbar.
Andere wiederum hatten was, was mich ansprach und wenn sie dann kein näheres Interesse an mir hatten, dann versuchte ich oft genug, ihn doch für mich einzunehmen. Das gelang so gut wie nie. Ich bin/war ein Jäger. War die Beute erlegt, interessierte sie mich nicht mehr. Kein schöner Zug!
Später verliebte ich mich dann nur in Männer, die für das klassische Ideal Heirat, Haus und Kinder mit Grill im Garten nicht in Frage kamen. Heute weiß ich warum. Hätte einer gesagt, Du, was ist mit Heiraten, Familie usw. - ich hätte sicher die Flucht ergriffen. Aber abgearbeitet habe ich mich an ihnen. Meine Bindungsängste waren gut maskiert. Ich möchte doch so gerne eine Beziehung, die hält, mit einem lieben Mann an der Seite. Diejenigen, mit denen ich es haben könnte, juckten mich aber nicht. Ich kam von hinten sozusagen. Vordergründig wollte ich was, was ich unbewusst aber vermied. Und so hatte ich eben einige Erfahrungen, die mich nicht unbedingt weiter brachten. Denn ich war nicht in der Lage, mein Muster zu erkennen.
Man kann warten bis die Sache ausgestanden ist. Nach dem letzten Desaster vor 10 Jahren aber begriff ich endlich, dass das ganze System hatte und ab da begann ich erst, mich mal in den Fokus zu nehmen.
Und da kam einiges zu Tage, was ich als negative Erfahrungen aus der Kindheit mit mir rumschleppte.
Heute lebe ich in meiner Ehe, die mir wichtig ist. Wie gesagt, so was finde ich nicht mehr.
Den bad boy hakst Du jetzt ab, aber Du solltest doch anfangen, Deine Mechanismen zu hinterfragen. Denn sonst lernst Du nichts daraus und stolperst irgendwann wieder in eine Beziehung, die Dir nur weh tut. Ob Du mit bad boy irgendwann befreundet bist, kannst Du ganz entspannt sehen.
Das kann erst dann funktionieren, wenn Du Dich emotional gelöst hast, also vorläufig gar nicht. Du kannst es auf später verschieben, aber oft schwindet mit der Ablösung auch das Interesse.
Ich finde es generell nicht verkehrt, sich verschiedene Männer anzuschauen. Man lernt sie ganz gut kennen, besser einschätzen, aber man muss sie auch nüchtern betrachten. Eine Perle in der Vielzahl von Muscheln zu entdecken, ist eher selten. Aber vlt. ist Franz auch eine Perle, wenn nicht in einer Hinsicht, vlt. in einer anderen.
Wenn sich Jemand um einen bemüht, sollte man ihn nicht vorschnell in die Tonne treten, aber das ist Deine Entscheidung.
Begonie