Die Dorfstraße herauf kam ein alter Kerl gegangen, dessen Aussehen nicht eben sehr empfehlend genannt werden konnte. Er trug ein Paar alte, beschmutzte Drellhosen und eine schwarze Kutte, über deren Kragen ein roth und gelb getüpfeltes Halstuch geschlungen war, dessen zwei Zipfel bis über die breite Brust herabhingen. Die grob gearbeiteten Knöchelschuhe an seinen Füßen hatten sicher schon seit Monaten weder *beep* noch Schmiere gesehen; der Zopf, welcher ihm am hintern Theile des Kopfes hing, war zersaust, vielleicht vom Streichen durch dichten Wald und Busch; der riesige Dreispitz auf seinem Haupte hatte sichtlich schon manchen Krawall miterlebt, und der stark mit Eisen beschlagene Knotenstock in seiner Hand trug nur dazu bei, den martialischen Eindruck der ganzen Persönlichkeit zu erhöhen.
Bei einem Hause angekommen, über dessen Thür die Inschrift Erbschenke zum wilden Mann zu lesen war, bog er auf dasselbe ein und trat in die niedrige, verräucherte Gaststube, wo er außer der Wirthin einen Mann bemerkte, welcher die hinterste Ecke eingenommen hatte.
Guten Morgen, Alte, grüßte er mit tiefer Baßstimme, gebe Sie mir einem Genêvre!
Scheneber? Den haben wir nicht. Ich denke, ein Kornschnaps wird auch gut genug für Ihn sein, antwortete sie, einen geringschätzenden Blick auf seine staubbedeckte Gestalt werfend.
So? Meint Sie das wirklich? Ja, Sie scheint eine fürchterliche Weisheit zu sein, das sieht man ja gleich an Ihrer allerliebsten Gurkennase, auf der die Warzen sitzen wie die Blattläuse am Sauerampfer! Aber Genêvre hat Sie doch, Sie alte Lügnerin. Her damit!
Die Frau ließ ein zorniges Schnaufen durch die soeben beschriebene Nase vernehmen.
Was bin ich, und wie nennt Er mich, Er Grobsack und Landstreicher? Eine Lügnerin? Will Er mir das wohl gleich beweisen, he?
Halte Sie Ihr Plapperment, sonst schlage ich Ihr den Grobsack um die Flattusenhaube, daß Ihr der Landstreicher in alle Ewigkeit vor den Augen flimmert! Steht etwa dort auf der Flasche nicht groß und deutlich genug Wachholder geschrieben?
Ja, Wachholder, aber doch nicht Scheneber, oder wie Sein albernes Zeug heißen soll!
Da sperre Sie einmal den Mund auf und merke Sie sich das, was ich Ihr sagen werde!
Er faßte sie bei beiden Schultern und brüllte ihr mit einer wahren Donnerstimme in die Ohren:
Wachholder und Genêvre ist ganz ein und dasselbe! Hat Sie es kapirt, he? Und nun schenke Sie ein, sonst bewachholdere ich Sie, und das gehörig!
Herrjesses, hat der Mensch eine Stimme! Das ist ja grad, als hätte man es mit Löwen und Elephanten zu thun! Will Er denn einen Großen oder einen Kleinen?
Nehme sie den Stamper da oben herunter; aus Ihren Finkennäpfen trinke ich nicht!
Den Stamper dort? Ja, der kostet zwei gute Groschen. Hat Er Geld?
Sein Auge blitzte halb zornig und halb belustigt auf.
Will Sie mir wohl nun endlich einmal den Schnap. geben, oder soll ich nachhelfen!
Diese Worte waren nicht sehr laut aber in einem eigenthümlichen Tone gesprochen, welcher kein weiteres Zögern zuließ. Die Wirthin schenkte das Glas voll und stellte es vor ihn hin.
So, da! Er ist ein Grobian erster Sorte. Ich glaube kaum, daß sich der alte Dessauer mit Ihm messen kann, und der hats doch gewißlich weg!
Ah, hat ders wirklich weg! Hab viel von ihm gehört; möchte ihn nur auch mal sehen!
Na, da behüte mich der liebe Gott, dabei zu sein! Da würden die Grobheiten niederprasseln wie ein Hagelwetter. Ihr Zwei paßt gut zusammen.
Meint Sie? Hat Sie ihn denn schon gehört?
Nein. Ich habe ihn blos einmal von Weitem gesehen und bin auch ganz froh, daß er mir noch nicht zu nahe gekommen ist. Wer ist Er denn eigentlich, he?
Das geht Sie den Teufel an. Aber rathe Sie doch einmal! Für wen oder was hält Sie mich?
Hm, Unsereins kennt seine Leute und wenn sie auch einmal in einem andern Rocke stecken. Euer Schnurrbart und der Soldatenzopf, die verrathen Euch. Ihr seid ein Unteroffizier und geht auf den Rekrutenfang.
Alle Wetter, Alte, ist Sie scharfsinnig! Na, wenn ich mich so schlecht verstellen kann, so werde ich verteufelte Geschäfte machen.
Der Mann in der Ecke horchte auf. Seine schmale, niedere und zurückgebogene Stirn, welche in eine speckartig glänzende Glatze verlief, die weit auseinander stehenden kleinen, stechenden Augen, die scharf geschnittene Habichtsnase, die dünnen, bartlosen Lippen und das kurze, spitze Kinn, in welches sein Gesicht verlief, gaben demselben etwas entschieden Raubvogelähnliches, was durch den Ausdruck der Salbung, der auf seinen Zügen lag, eher vermehrt als vermindert wurde.
Als jetzt die Wirthin die Stube verließ, erhob er sich von einem Platze und trat herbei.
Ist es erlaubt, bei Euch Platz zu nehmen?
Ich werde Ihn nicht fressen!
Es ist nicht gut, so allein zu sitzen; ich liebe die Langeweile nicht.
So mache Er sie sich kurz!
Ihr seid Werber?
Hm, ja, wenn ich es richtig nehme. Warum?
Weil ich Euch dann noch etwas zu fragen hätte.
So frage Er!
Sieht Er diesen Gulden hier?
Hält Er mich etwa für blind? Er reckt ihn mir ja weit genug unter die Nase her.
Diesen Gulden kann Er sich verdienen.
Ah! Womit?
Mit einer Auskunft, die Er mir giebt.
Worüber?
Ueber einen Mann, den ich suche.
Wer ists?
Ein Schwindler und Betrüger, der sich für den Grafen Arthur von Hellbach ausgiebt.
Ist mir noch nicht begegnet; kenne überhaupt die Hellbachs gar nicht!
So! Dann hat er sich wohl einen andern Namen beigelegt. Ich bin sehr genau unterrichtet, daß er sich hier unter die Soldaten stecken will.
Ist nicht geschehen; würde ihn sonst kennen, denn ein neuer Offizier spricht sich schnell herum.
Offizier ist er jedenfalls nicht, denn da hätte er sich beim Fürsten melden und seinen wahren Namen sagen müssen. Er ist sicher als Gemeiner unter die blauen Lumpen gegangen.
Wohin? Unter die blauen Lumpen? Wird Er mir wohl sagen, wen Er unter diesen blauen Lumpen versteht?
Das könnt Ihr Euch wohl denken!
Nein. Heut ist Sonntag, und Sonntags habe ich mir all mein Lebtage nichts Gescheidtes denken können. Also heraus damit!
Es bleibt drin, denn Ihr seid Werber, und ich will Euch nicht beleidigen.
Das will ich Ihm auch gerathen haben, Er Himmelhund! Was hat es denn eigentlich mit Seinem Arthur von Hellbach für eine Bewandtniß, he?
Das ist ein Geheimniß.
So behalte Er es für sich! Warum aber zerbricht Er sich denn erst das Maul darüber?
Na, Euch könnte ich es schon anvertrauen, denn wenn Ihr noch nichts von ihm gehört und gesehen habt, so ist es doch möglich, daß Ihr ihm noch begegnet. Die Hellbachs sind nämlich österreichisch und eine sehr reiche Familie, welche in zwei Linien getheilt war, von denen die eine vor Jahreszeit ausstarb. Das Erbe ist also auf die andere übergegangen. Der verstorbene Hellbach war unverheirathet, und dennoch meldete sich nach seinem Tode ein Mensch, welcher sich für seinen Sohn ausgab und Anspruch auf die Hinterlassenschaft erhob. Natürlich wurde er als Betrüger hinter Schloß und Riegel gebracht, zerbrach aber die Eisenstäbe vor dem Fenster seines Gefängnisses und entkam. Er wurde zwar von einer aus sechs Mann bestehenden Patrouille erwischt, doch war es derselben unmöglich, ihn zu halten. Vier Mann schlug er nieder, und die andern zwei salvirten sich.
Sechs Mann? Und die Eisenstäbe zerbrechen? Das muß ja ein ganz sakermentscher Schlingel sein!
Ja, er ist ungeheuer stark. Seine Spur blieb lange Zeit verloren, bis man sie in Sachsen wiederfand. Er ist jetzt hier im Lande und geht ganz sicher unter die Soldaten, um sich unter dem bunten Rock zu verbergen. Ihr habt mir zwar keine Auskunft geben können, aber hier ist der Gulden; er soll Euer sein, denn ich denke, daß wir einander wiedersehen werden, wo Ihr mich dann vielleicht besser berichten könnt.
So also ists gemeint! Habe ich denn wirklich eine so armselige Physiognomie, daß Er mir zutraut, Seinen Spion zu machen? Er ist wohl ein Wiener Polizist? Da nehme Er sich nur ja in Acht, daß Er nicht selbst bei der Parabel genommen wird, denn der Dessauer leidet kein solches schleichendes Gewürm in seinem Lande.
Falsch gerathen! Wäre ich ein Polizist, so würde ich mich an die Behörde wenden.
Na, was hat Er denn sonst für ein Metier? Heraus damit!
Ich bin Seifensieder.
So, i der Tausend! Was hat da Seine Seife mit den Hellbachs zu thun?
Mein Bruder ist Kammerdiener in der Familie; daher kenne ich die Angelegenheit.
Hm, ja, ja! Stecke Er Seinen Gulden nur immer wieder
ein; ein Seifensieder hat nichts zu verschenken, und trolle Er sich ja schleunigst von dannen, sonst richtet Er sich eine Lauge an, die Ihn in die Finger beißt!
Er zog einen wohlgefüllten Leinwandbeutel aus der Tasche und wandte sich zu der wieder eintretenden Wirthin.
Hier hat Sie Ihre zwei guten Groschen; aber das Zeug ist der reine Fusel und keinen Heller werth; hols der Teufel, und Sie
dazu! Er verließ die Schenke. Unweit derselben stand die Kirche. Eben läuteten die Glocken zum Beginn des Gottesdienstes. Er trat ein und nahm in einem Stuhle gegenüber der Kanzel Platz. Die nach und nach anlangenden Kirchenbesucher hielten ihre Augen mit ganz absonderlicher Neugierde auf ihn gerichtet; sein Habitus paßte zu wenig in die sonntägliche Umgebung, in welcher er sich befand.