Also, ich möchte hier wahrlich keine Grundsatzdiskussion aufmachen, daher halte ich mich mal an ein Fallbeispiel aus meiner Umgebung. Vielleicht wird es so deutlicher, worum es eigentlich bei einer Affäre gehen könnte. Konjunktiv!
Also, da ist eine Frau, mitlleren Alters. Sie ist seit vielen Jahren glücklich verheiratet mit einem liebevollen Ehemann. Beide sind auf Augenhöhe, gehen gemeinsam durch dick und dünn, wenn auch der Alltag oft beschwerlich ist und der eine oder andere Schicksalsschlag sie schon durchgerüttelt hat.
Die Frau beschreibt ihre Kindheit als normal. Sie hatte eine liebevolle Mutter und einen fürsorglichen Vater, der fleißig für seine Familie arbeiten ging und es so zu einigermaßen ansehnlichem Wohlstand gebracht hat. Es fehlte eigentlich an nichts. Doch leider brachte der Beruf und der Ehrgeiz des Vaters es mit sich, dass dieser häufig abwesend war. So bekam er nicht viel von seinen Kindern mit und wollte dies durch eine damals übliche, durchaus als streng zu bezeichnende Erziehung wieder gut machen. War er zu Hause, gab es oft Konflikte. Seine Tochter musste den Teller leer essen, musste ihre Hausaufgaben vorzeigen und der Mutter im Haushalt helfen. Alles nicht unüblich in der damaligen Zeit aber leider war der Vater nicht gerade gut darin, hin und wieder auch mal seine Liebe bzw. überhaupt irgendwelche Gefühle zu zeigen. Stattdessen überspielte er jede Emotion mit Strenge.
War die Tochter z.B. erfolgreich in der Schule, bisweilen erfolgreicher als er selbst, so wertete er dies ab, indem er sie z.B. als Streberin bezeichnete. Hatte sie Miserfolge zu verbuchen, z.B. als sie ohne Siegerurkunde von den Bundesjugendspielen heim kam, machte er sich ebenfalls darüber lustig. Er zeigte weder Stolz noch tröstete er sein Kind jemals. Im Gegenteil, ihre zunehmenden Selbstzweifel als Teenie und später als junge Frau nervten ihn und bewogen ihn zu weiteren abfälligen Bemerkungen. Das war überhaupt sein Mittel der Wahl: verbale Herabsetzungen anderer, die viel mehr schmerzten und zerstörten, als jede Backpfeife es jemals gekonnt hätte.
Als sie dann ihren späteren Mann kennen lernte, hatte der Vater auch für ihn kein freundliches Wort übrig. Da dieser Schwiegersohn so ganz anders war, als er selbst, hatte er nichts als Verachtung für ihn und trieb seine Tochter damit endgültig aus dem Haus. Zwar verlor man nie so ganz den Kontakt zueinander, doch das Verhältnis kühlte zusehends ab. Daran konnte nichtmal die Geburt der Kinder, seiner Enkel etwas ändern.
Ihren Ehemann empfand die Frau aufgrund seiner Warmherzigkeit und Güte zwar als wohltuend liebevoll, doch oft vermisste sie seine männliche Stärke und Autorität, wie ihr Vater sie hatte. Er zeigte ihr aber offen seine Gefühle und vor allem seine Liebe. Insofern hatte sie klug gewählt und alles könnte gut sein, wäre da nicht die immernoch die offen schwelende Wunde der schmerzlich vermissten Vaterliebe. Inzwischen war sie ja erwachsen und konnte scheinbar damit umgehen, sich vom Vater nie wirklich geliebt gefühlt zu haben. Doch litt sie ständig unter dem kühlen Verhältnis zu ihren Eltern und gab insgeheim ihrem Mann die Schuld daran. Hatte ihre Beziehung zu ihm doch endgültig die Ablösung vom Elternhaus nach sich gezogen. Eine Ablösung, die eigentlich viel zu früh kam, denn sie war längst noch nicht satt an Elternliebe. Und diesen ewigen Hunger nach Zuwendung konnte niemand stillen. Auch ihr Mann nicht, so sehr er sich auch bemühte. Um seine Liebe musste sie nie kämpfen, sie war selbstverständlich da. Und vielleicht machte gerade dieser Umstand seine Liebe für sie so uninteressant.
Wieviel hat sie dafür gegeben, ihren Vater und seine Liebe zu erobern. Sie hatte ihren Beruf nach seinen Vorlieben ausgesucht. Hatte viel geleistet, schulisch und beruflich. Sie hatte für ihre Kinder dann den hart erkämpften Beruf wieder aufgegeben, denn auch dies entsprach den Wertvorstellungen ihres Vaters. Gleichzeitig litt sie doch sehr unter ihrer nun auch materiellen Abhängigkeit. Immernoch hätte sie alles gegeben dafür, das der Vater sie nur einmal in den Arm nimmt und ihr sagt, dass er sie liebt und stolz auf sie ist. Doch das geschah niemals. Im Gegenteil, das Verhältnis wurde schlechter und schlechter und die Eltern alt und krank. Ohne dass es jemals eine Aufklärung gab, starben beide nacheinander und es war nun klar, dass die Tochter mit diesem Defizit weiter leben würde bis an ihr Ende. Doch dieses Defizit war ihr eigentlich zu diesem Zeitpunkt gar nicht bewusst. Alles geschah im Unterbewusstsein und hinterließ dort unerträgliche Wunden.
Und dann geschah es, dass sie ihn traf, ihren AM. Er zeigte sich warmherzig, klug und verantwortungsvoll. Gleichzeitig erlebte sie ihn stark und voller natürlicher Autorität, die er in seinem beruflichen Umfeld selbstverständlich und professionell in einer Leitungsposition ausübte. Er war ihre Idealbesetzung für die inzwischen offene Vaterrolle, denn er war einerseits absolut liebevoll und freundlich und andererseits für sie aufgrund seiner Position unerreichbar. Doch irgendwie schaffte sie es, dass er sie bemerkte und nicht nur das. Da er selbst sich gerade in einer existenziellen Lebenskrise befand, rührte ihre Bedürftigkeit ihn an. Und ihre offensichtliche Verehrung für ihn schmeichelte seinem angekratzten Ego.
Es kam wie es kommen musste, die beiden begannen eine Affäre, die keiner von ihnen so wirklich wollte. Sie genoss seine Zuwendung und fühlte sich endlich erhört und geliebt, war er doch so ganz anders als ihr für sie schwach erscheinender Ehemann. Mit ihm schien endlich alles gut werden zu können. Doch sie kannte ihn nicht und er war eigentlich nicht wirklich an ihr interessiert. Er machte also irgendwann den Kardinalfehler und begann, sich zurück zu ziehen. Wie sehr hatte er sie dabei unterschätzt und gleichzeitig seine Bedeutung in ihrem Leben.
Oh, diese Rückzüge, das kannte sie nur allzu gut. Dass ein von ihr geliebter Mann ihr plötzlich seine Zuwendung entzieht, damit kannte sie sich aus. Schließlich war sie ihr Leben lang hinter einer unsichtbaren Wand gefangen gewesen, die es ihr nie erlaubt hatte, wirklich in den Genuss der Vaterliebe zu kommen. Also tat sie das, was sie immer schon gemacht hatte, sie strengte sich an. Je mehr der AM sich zurück zog, desto mehr strengte sie sich an. Rückschläge und Tiefschläge schmerzten zwar aber spornten sie nur noch mehr an. Diesmal endlich wollte sie die Liebe dieses unerreichbaren Mannes erringen. Umso unerreichbarer er sich zeigte, umso mehr, denn diese Unerreichbarkeit war sie ja gewohnt und gerade die wollte sie überwinden.
Es folgte ein Ewiges Gezerre aus Ghosting, Stalking, On- und Off. Und gerade das machte das Spiel so spannend. Ja es entwickelte regelrecht Suchtcharakter. Aber wie bei jeder Affäre kam es irgendwann zum Ende. Er brach endgültig den Kontakt ab. Unmissverständlich und unumkehrbar. Ihre Welt brach zusammen und sie erlebte den schlimmsten Kummer ihres Lebens. Ihre Ehe war ihr schon längst egal geworden. Sollte sie doch kaputt gehen, wen kümmert es. Ihre Existenz hing am seidenen Faden. Ihre Kinder wendeten sich ab und im Ort zerriss man sich das Maul über sie. Natürlich nicht über ihn. Männern gesteht man sowas ja mal zu. Nein, sie und nur sie alleine war an allem schuld.
Nun ich kürze das Ganze mal ab. Sie wurde krank. Depressiv und suizidal. In letzter Minute aber nahm ihr Mann sie wieder auf, zeigte ihr noch einmal dass er sie trotz allem immernoch liebt und mit ihr weiter leben will. Sie nahm seine Liebe endlich an, denn eine andere gab es nicht mehr für sie. Sie machte eine Therapie, lernte viel über sich selbst und krabbelte langsam aus diesem Loch wieder heraus. Heute lebt sie wieder zufrieden mit ihrem Mann zusammen und genießt ihr Leben. Sie genießt es, endlich erwachsen und auf Augenhöhe mit ihrem Partner zu sein und vermisst die Liebe ihres Vaters kein bisschen mehr. Sie hat alle unsäglichen Automatismen endlich verstanden, die sie in diese Katastrophe geführt haben. Und den Drang nach einer Affäre hatte sie nie wieder.
Ihre Ehe ist nicht besser als zuvor. Es ist, als hätten sie alle ihre Unschuld verloren in dieser Zeit und als wäre die Selbstverständlichkeit ihrer Liebe ein für alle mal zerstört. Aber sie sind achtsam mit sich und ihrer Beziehung zueinander. Sie wissen, was sie vom jeweils anderen erwarten dürfen und was eben nicht. Und für alles das sind sie beide unendlich dankbar. Sie hatten und haben unermessliches Glück! Trotz oder vielleicht gerade wegen all des durchgemachten Leids. Ihre Wunden sind endlich verheilt und ihr Vater ist endlich da, wo er hingehört. In die Vergangenheit! Und genau dafür hat es diese Affäre gebraucht. Es war eine Lernaufgabe des Lebens. Und alle drei haben irgendwie bestanden. Nur leider diesmal nicht gerade mit Bestnoten. Aber darauf kommt es ja nicht an im Leben.
30.05.2022 13:09 •
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