Hallo liebe Barnylilly,
Du hattest ja gefragt, wie es mir in den letzten Monaten ergangen ist und das will ich dir gerne berichten. Ich befinde mich seit November in einer Psychotherapie und das ist für mich ein wirklicher Segen.
Inzwischen verstehe ich mich selbst viel besser und kann mit den Geschehnissen der letzten Jahre gut umgehen. Meine Sichtweise auf die Affäre, wenn man das überhaupt so nennen kann, hat sich komplett verschoben. Und somit hat sich auch meine Denkweise über den Affärenmann und über meinen Mann verändert. Davon will ich dir gerne erzählen.
Als meine Affäre damals begann, befand ich mich in vielerlei Hinsicht an einem Tiefpunkt meines Lebens. Damals fühlte es sich alles nach Sackgasse an. Ich war 47 Jahre alt, gesundheitlich angeschlagen, mein Sohn war mitten in der Pubertät und meine Ehe dümpelte nach fast 20 Jahren mehr oder weniger vor sich hin. Beruflich hatte ich mich gerade in den ersten Arbeitsmarkt zurück gekämpft, ich arbeitete aber trotz meiner guten Ausbildung nun als Hilfskraft im Altersheim. Diese Arbeit im sozialen Dienst machte mir zwar viel Freude, sie war und ist aber schlecht bezahlt, wenig angesehen und es gibt keinerlei Aufstiegsmöglichkeiten. Auch privat befand ich mich in einer schwierigen Situation, denn meine Eltern waren beide kurz zuvor verstorben und mit meiner Schwester hatte ich mich überworfen. Mein Vater hatte mich zum Schluss sehr abgelehnt, was ich nicht verstand und was mich zutiefst verletzt hatte. Mein Leben war also an einem sehr schwierigen Punkt angelangt und so flüchtete ich mich in die neue Arbeit.
Eigentlich war ich damals schon depressiv und hätte mich in eine Psychotherapie begeben müssen. Statt mich aber mit mir und meinen Problemen auseinander zu setzen, ließ ich mich nur allzu ablenken. Da kam mir der AM gerade recht. Es war ja ein Kollege, der selbst gerade schweres durchmachte und der ebenfalls auf der Suche nach Ablenkung und ein bisschen Spaß war. Er begann also mit mir zu flirten. Er mochte mich und meinen Fleiß und irgendwie fand er mich und meine Verehrung für ihn wohl ganz süß. So kam also eins zum anderen. Ich verliebte mich in ihn so sehr, dass ich komplett den Verstand verlor. Mit Männern hatte ich nicht viel Erfahrungen und ich war in dieser Hinsicht total naiv. Mein Mann war mein erster richtiger Freund gewesen und so war ich in Sachen Liebe auf dem Entwicklungsstand eines Teenagers geblieben.
Natürlich hauten mich die tiefen Gefühle für den AM total um. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Diese starke körperliche Anziehungskraft, die er auf mich ausübte, so etwas kannte ich nicht. Die Liebe zu meinem Mann hatte sich vor vielen Jahren langsam und sanft entwickelt und unsere Säxualität hatten wir zusammen damals erst entdecken müssen. Mit dem AM jedoch war es wie im Rausch. Für mich jedenfalls.
Was ich übersah war, dass der AM diese tiefen Gefühle nicht erwidern konnte. Ich war für ihn ein Spielzeug, eine kleine Ablenkung von seiner Trauer um seine kürzlich verstorbene Frau. Als neue Partnerin aber kam ich für ihn nicht in Betracht. Das hatte ebenfalls viele Gründe. Er war Ausländer und Deutsch war für ihn nach wie vor eine Fremdsprache. Das mag ein wesentlicher Grund gewesen sein. Der andere war sicher, dass ich auf ihn keine körperliche Anziehungskraft hatte. Und schließlich und endlich gab es da längst eine Frau, die alle diese Kriterien für ihn erfüllte und an die er damals noch nicht heran kam. Da war ich als Lückenfüller natürlich mehr als geeignet.
Ich verehrte ihn und er genoss genau das. Er liebte nicht mich sondern meine Verehrung für ihn. Er liebte sein Spiegelbild in meinen Augen. Ich war genau richtig, um sein ramponiertes Ego wieder aufzubauen, in vielerlei Hinsicht. Und um das nicht zu verlieren, machte er mir Hoffnung auf mehr. So verließ ich meinen Mann und meine Familie und er sah seelenruhig dabei zu. Von der anderen Frau in seinem Kopf und in seinem Herzen ahnte ich ja nichts und er hütete sein Geheimnis gut.
Allmählich aber gewann er wohl Boden im Kampf um die andere und so bekam er wohl doch ein schlechtes Gewissen wegen mir und als ich endlich in meiner eigenen kleinen Wohnung angekommen war, zog er sich reflexartig zurück. Das verstand ich damals überhaupt nicht und es verletzte und verunsicherte mich tief. Als mein Mann mir dann das Angebot machte, zu ihm zurück zu kommen, war ich heilfroh und nahm es dankbar an. Aber ich war immernoch total von der Rolle und zutiefst ambivalent. Der Traum vom neuen, aufregenden Leben mit diesem gutaussehenden Mann war zu schön. Und ich selbst hatte mich ja auch positiv verändert. Ich war energiegeladen, nicht mehr depressiv und hatte stark abgenommen. Sollte ich alles das wirklich aufgeben und mich zurück in mein altes Leben begeben? Noch war ich dazu nicht bereit. Ich genoss die Sicherheit und die Vertrautheit zu Hause und tanzte gedanklich und zunächst auch noch real bei der Arbeit um den AM wie um das goldene Kalb.
Dann aber erfuhr ich endlich durch dummes Gerede einer Kollegin von der anderen Frau im Leben meines Angebeteten und endlich war ich bereit für die Konsequenzen. Ich kündigte, machte unsere Affäre aus Rache öffentlich und mich damit total lächerlich. Die Ambivalenz aber blieb. Bei ihm und bei mir.
Er hatte die andere ja noch nicht sicher am Haken und mit mir hatte er noch ein Hühnchen zu rupfen, also ging das ganze zwar auf Distanz, dank moderner Kommunikationsmöglichkeiten aber virtuell munter weiter. Es kam sogar noch einmal zu einem Treffen, das aber einigermaßen traumatisch verlief. Für ihn und für mich. Man könnte meinen, damit wäre das ganze dann endlich vorbei gewesen aber nein.
Ich hielt mich an dieser Geschichte fest, ich biss mich regelrecht darin fest. Warum? Es war zwar alles sehr schmerzhaft und traurig und natürlich total peinlich und existenzgefährdend aber es war eine willkommene Ablenkung von meinen eigentlichen Problemen. Solange ich mich mit dieser hahnebüchenen und albernen Geschichte beschäftigte, musste ich mich der Realität nicht stellen. Das schaffe ich erst jetzt, mit Hilfe der Psychotherapeutin.
Indem ich z.B. meinen Mann gekanklich abwertete, weil er dem Vergleich mit dem vermeindlichen Traumprinzen niemals standhalten konnte, musste ich mich mit ihm und unserer Ehe nicht auseinandersetzen. Ich musste mich mit mir selbst nicht auseinander setzen. Diese ganze alberne Affäre hatte im Grunde nur den Zweck, mich mir selbst und meinen vielschichtigen Problemen nicht zu stellen. Ob diese Gefühle, die ich für den AM empfand wirklich Liebe waren? Ich bezweifele es stark. Leidenschaft war es sicher, im wahrsten Sinne. Es schuf Leid. Aber dieses Leid war bittersüß und viel besser zu ertragen als das Leid und die Trauer, die ich tief in meinem Inneren verschlossen hatte und an die ich nicht heran wollte. Um keinen Preis!
Erst jetzt lasse ich diese Trauer zu. Langsam und in kleinen Dosen. Und ich nehme mich selbst endlich liebevoll an die Hand statt mich klein zu machen. Und ich entdecke dabei ganz nebenbei, wie tief verbunden ich mit meinem Mann bin. Mit diesem wundervollen Mann, der seit über 30 Jahren an meiner Seite steht und geht und der mich trotz allem nie aus seinen Augen verloren hat. Er trägt und erträgt mich immernoch. Wir beide haben Macken, klar! Wer hat die nicht? Aber wir haben ein Leben zusammen, ein reales Leben und eine Vergangenheit. Er war sich immer sicher, dass ich die Frau bin, die er liebt und die er will. Sogar dann noch, als ich ihn zutiefst demütigte und verletzte.
Für den anderen war ich ein Spiel, für meinen Mann bin ich die Frau seines Lebens. Was also will ich sein? Ich habe gewählt! Endlich!
Dir, liebe Barnylilly wünsche ich alles Gute. Ich verurteile dich nicht und ich weiß, es braucht Zeit und Mut, sich der Realität des Lebens wirklich zu stellen. Manchmal ist es einfacher, sich durch Tagträume abzulenken auch wenn diese schädlich und leidvoll sind. Aber irgendwann erkennt man, dass es eben nur Träume sind und dann erkennt man hoffentlich auch, dass das reale Leben, so herausfordernd es auch sein mag, gar nicht so schlecht ist. Auf jeden Fall will es gelebt werden. Und sich dem zu stellen, lohnt sich! Ganz bestimmt!
Alles Liebe
Shedia