So, ich habe meinen Zahnarzttermin gut hinter mich gebracht und mache es mir nochmal mit einer Tasse Kaffee gemütlich, bevor ich die Fenster putze. Ja, so sind wir phlegmatischen Leute eben. Immer zuerst die Pause und dann die Arbeit.
Also ich denke, es gibt unter den Menschen eben unterschiedliche Temperamente. Wenn ich es mit den Pferden vergleiche, so gehören dein Mann und ich wohl eher zu den Kaltblütern. Du und mein Mann dagegen ihr wärt sicher eher temperamentvolle Araber und hervorragende Rennpferde. Zwei Rennpferde im Leben zusammen, das wäre aber bestimmt eine Katastrophe. Also ist es nicht verkehrt, dass du mit deinem und ich mit meinem Mann verheiratet sind. Die Kunst ist es aber, dass das Rennpferd seine Energie ein bisschen drosselt und der Kaltblüter nicht zum Brauereipferd verkommt.
Dazu musst du deinem Mann das Gefühl wiedergeben, dass er auch mal führen darf. Durch seine scheinbare Faulheit hat er sich in sich selbst zurück gezogen. Das ist seine Art, sich von dir zu distanzieren und sich zu schützen. Natürlich bringt dich das zur Weißglut. Das ist verständlich. Anstatt aber nun erst recht alle Arbeiten zu übernehmen und ihn mit Missachtung und Nörgelei zu strafen, solltest du versuchen, ihn wieder zurück ins Boot zu holen. Das heißt, du musst den ein oder anderen Zügel mal aus der Hand geben. Er muss sich wieder aufrichten dürfen, so dass ihr eure Augenhöhe zurück gewinnt. Das erscheint mir bei Euch die Ursache aller Probleme zu sein.
Wie wäre es also, wenn ihr euch zusammen setzt und eure Aufgabenbereiche absteckt. Und dann hältst du dich aus seinen Aufgaben ein für alle mal raus! Selbst dann, wenn es dich in den Fingern juckt, die Wäschhaufen, die schon langsam Schimmel ansetzen, doch noch weg zu waschen. Du darfst es nicht tun! Never ever!
Auch bei meinem Mann und mir war es zum Verlust der Augenhöhe gekommen. Das war ein langer, schleichender Prozess, den wir beide kaum bemerkten. Ich wurde dabei immer kleiner und unzufriedener und es kam schließlich zur Katastrophe. Ich verliebte mich fremd und hätte nicht eine Sekunde gezögert, für diesen Mann alles andere über Bord zu werfen. Es kam bei uns sogar zu äußersten und ich hatte noch nichtmal ein schlechtes Gewissen deswegen. Erst als ich bemerkte, dass ich auf ihn nicht die gleiche Anziehung ausübte, wie er auf mich, begann das Drama und der Katzenjammer. Ich litt wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich stalkte ihn und trug unser Drama nach außen. Ich erzählte Hinz und Kunz, was für ein Ar. er sei, ohne Rücksicht auf Verluste. Dass ich mir selbst dabei am meisten schadete, war mir total egal. Meine Ehe wäre daran fast gescheitert und hing danach über Jahre am Tropf. Ich wurde schließlich depressiv und begab mich endlich in eine Therapie. Und das war die Kehrtwende!
Heute geht es mir wieder gut. Ich weiß, ich bin mit genau dem richtigen Mann an genau dem richtigen Platz im Leben. Wir hatten es nicht immer leicht zusammen aber alle Probleme haben uns nur noch mehr zusammen geschweißt. Ich arbeitete meine Kindheitstraumata auf und bin heute ein sehr zufriedener Mensch. Ich mag das Wort glücklich nicht, denn Glück ist immer etwas flüchtiges, kurzfristiges und Glück als Lebensziel halte ich für vergebene Liebesmühe. Ich bin zufrieden. PUNKT!
Dass ich mit dem Mann von damals noch immer Kontakt habe, empfinde ich als Bereicherung. Ich habe durch ihn viel gelernt. Über mich, mein Leben und auch über meine Ehe. Er war mir für kurze Zeit sehr nahe. So nahe, wie sonst nur mein Mann und mein Kind. Ich würde es als unnatürlich empfinden, ihn jetzt für immer aus meinem Leben zu verbannen. Vielleicht verlieren wir uns irgendwann aus den Augen, wenn er wieder eine neue Partnerschaft hat, die ich ihm sehr wünsche. Das wäre dann ein natürlicher Prozess, mit dem ich gut leben könnte. Ein Kontaktabbruch von meiner Seite aber, Nein, das ist für mich undenkbar. Und ich denke, es ist mein Menschenrecht, zumindest ab und zu schriftlich und über eine große räumliche Distanz von ihm zu hören. Es ist aber das gute Recht meines Mannes, dass ich ihn damit nicht erneut verletze. Also halte ich es geheim.
Ich weiß, ich habe mir da etwas zurecht gebogen, was viele hier für fragwürdig halten. Aber die laufen ja auch nicht in meinen Schuhen. Die müssen ihr Leben selbst wieder zurecht biegen. Viele User hier sind ja betrogen worden und müssen das erst noch verarbeiten. Dass du und ich da eine Reizfigur sind, das ist klar. Aber vielleicht müssen die erstmal noch unser Alter erreichen und das durchmachen, was wir schon hinter uns haben um zu verstehen, dass das Leben nicht immer geradlinig und moralisch unfehlbar verläuft.
Ich kann mit meinem Leben und meiner Geschichte inzwischen gut umgehen. Und wenn ich eines Tages meine Enkel auf meinem Schoß schaukeln darf, werde ich ihnen eine aufregende Geschichte von den verschiedenen Erscheinungsformen der Liebe zu erzählen haben. Darauf freue ich mich schon!
So und jetzt putze ich die Fenster!
CU Alison
17.01.2019 10:12 •
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