HorizonteAll die Jahre, die ich ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben führte, wusste ich immer, was ich wollte.
Ich wartete auf den Mann, der mit mir spontan ist, der sich interessiert und engagiert, der Anteil und Teil nimmt. Der zuhört und spricht, der Impulse setzt und inspiriert, der mich begehrt und den ich begehre, der mich unterstützt und den ich unterstütze und der seine Hand über mich hält wie ich meine über ihn.
Bis Du kamst, gab es diesen Mann nicht. Nie. Es gab Männer. Es gab Versuche und es gab immer die Alternative zurück zu Plan B zu kehren. Zurück zu dem unabhängigen Leben. Das war mir unterm Strich immer mehr wert, als langfristig faulere Kompromisse zu schließen.
Mit Dir gemeinsam wurde die Erfüllung meiner Wünsche plötzlich real. Unser Horizont wurde noch viel weiter und bunter, als ich es zu wünschen gewagt hatte. Im Kleinen wie im Großen bereisten wir neugieig und offen gemeinsam neue Erfahrungswelten, erprobten und probierten uns aus. Wir sahen die Welt neu, denn wir sahen sie auch durch die Augen des Anderen. Wir schufen etwas Gutes und Schönes - trotz oder wegen unserer geschundenen Seelen und der Erfahrungen des Lebens. Wir machten uns auf eine gemeinsame Reise in die Zukunft und lebten die Gegenwart. Es fehlte an nichts. Wir lebten in einem emotionalen Reichtum. Mit 47 Jahren war ich angekommen.
All die Jahre, die ich ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben gegenüber faulen Kompromissen bevorzugte, war es ein vollkommenen abwegiger und mich zu Tode langweilender Gedanke, mit einem Mann Gespräche über die Essensplanung zu führen oder eines Mannes Socken waschen zu sollen. So ein Leben wollte ich nie.
MIt Dir zusammen war auch das ein Abenteuer und niemals eine Last. Ich war verliebt in Dich. Ich war verliebt darin, mit Dir über das nächste Essen, den Einkauf und die Zubereitung zu reden. Ich war sogar in die Selbsverständlickeit verliebt, dass Du meine Wäsche gewaschen hast und ich Deine. Ich war verliebt darin, etwas füreinander tun zu können. Ich war vielmehr verliebt in Deine Versuche, Geschenke für mich in Rosengeschenkpapier zu verpacken als in die Geschenke selbst. Ich war verliebt in Deine Bereitwilligkeit, mich in jeder Lebenslage zu unterstützen; unabhängig davon, wie viel Aufwand und Unbequemlichkeit das gerade für Dich bedeutete. Ich war verliebt, weil Du anders warst, als alles, was ich meiner Familie an Verhalten erleben und ertragen musste. Ich war verliebt, denn Du warst Balsam auf meiner Seele und meiner Haut. Ich war verliebt und wenn wir beisammen waren, hatte ich alles und noch viel mehr bei mir, als ich mir jemals gewünscht habe.
Es gibt hier einen Thread, der fragt, was ich jetzt - ohne Dich - endlich wieder machen kann. Ich habe immer wieder darüber nachgedacht, was das sein könnte. Ich wollte schwarz auf weiß haben, was das ist, um schneller über die Tatsache, ohne Dich leben zu müssen, hinweg kommen zu können.
Es gibt nichts, was ich mit Dir oder als Teil des Paares, das wir waren, nicht hätte tun können. Es gab nichts, was mich eingeschränkt hätte, weil Du mich in allem unterstützt hast. Es war Dir immer wichtig, dass ich Zeit mit mir verbringen kann, wenn ich es möchte, weil Du wusstest, dass ich das brauche, um runter zu kommen und von den Themen abzuschalten, die mich tagtäglich beuteln. Du wollest, dass ich glücklich bin.
Ich hatte während unserer Zeit in keiner Beziehung weniger als zuvor sondern war bereichert um so viel. Es gab allenfalls kleine Macken auf beiden Seiten, mit dem Potential, diese liebevoll akzeptieren zu können.
Manchmal frage ich mich natürlich, ob sich einer von uns zu sehr angepasst hat, aber das Ergebnis ist immerr, dass das nicht der Fall gewesen ist, weil es uns wichtig war, dass jeder von uns er selbst sein konnte. Wir wollten uns und den Anderen nicht verbiegen.
Okay, unsere Klamotten waren gelegentlich ein unwichtiger Diskussionspunkt.
Zurück zu der Frage, was ich also jetzt endlich wieder machen könnte.
Die Rathaushose könnte ich jetzt ohne missbiligende Kommentare tragen. Wehmütig denke ich daran zurück, wie sehr Du sie verabscheut hast, obwohl ich sie trug, als wir uns kennenlernten. Wehmütig denke ich an Dein rotes kurzärmeliges Hemd zurück, das ich furchtbar fand und von dem Du Dich nicht getrennt und dass Du im Sommer so oft getragen hast. Du trägst es sogar noch auf dem Foto, das Du mir eine Woche vor der Trennung schicktest und auf dem Du mir zeigst, wie Du meine Sachen in Deinen neuen Badezimmerschrank geräumt hast. Ein rotes Tuch - nicht nur wegen des Hemdes.
Das waren kleine Dornen in unseren den Augen, mit denen wir uns neckten.
Denn das waren nun mal wir. Und so wie wir waren, waren wir gut.
Unser gemeinsamer Horizont war unendlich weit und bunt.
Und jetzt? Deiner hat sich noch mehr geweitet. Meiner ist angesichts der Möglichkeiten, die ich für mein Leben sehe und für realistisch halte, leider wieder viel enger.