5,5 Monate und 4 MinutenNachdem Du mich vor 5,5 Monaten verlassen hast, hatte ich sehr viel Zeit, das sacken zu lassen, an Dich und uns zu denken, zu trauern und auf Spurensuche zu gehen. Das hat mir sehr viel Schmerz gebracht, da mir über eine weite Strecke die Ablenkung fehlte.
Jetzt überrollt das Leben mich. Es ist, als wolle es nachholen und mir komprimiert um die Ohren hauen, was die vier Monate lang außerhalb meines Arbeitsunfähigkeitsuniversums ohne mich stattfand. Jetzt gibt es Momente, in denen mir auffällt, dass ich länger nicht an Dich dachte. In diesen erschrecke ich mich kurz und habe fast ein schlechtes Gewissen, weil sich kein Gefühl des Vermissens mehr einstellt. Wir waren mal zusammen? Aha. Das muss in einem anderen Leben gewesen sein. Du bist inzwischen sehr weit weg; fast nicht mehr wahr. Wegen Dir habe ich so gelitenn? Kaum vorstellbar.
Doch dann gibt es Zeiten wie gestern Abend, in denen mir die letzten vier Minuten einfallen,die wir gemeinsam auf dem Bahnsteig warteten, zwei Tage bevor Du das mit mir beendet hast. Ich weiß noch genau, wie ich auf die Anzeigetafel sah und für mich feststellte, dass die Bahn in 4 Minuten kommen würde.
Ich weiß noch genau, dass ich mich nicht von Dir trennen wollte, obwohl oder weil Du an diesem Wochenende eine Dir gar nicht ähnlich sehende Unruhe verbreitet hattest. Und ich weiß auch noch genau, dass ich Dich allein lassen wollte, damit Du Dich in Deinem neuen Zuhause weiter einrichten kannst. Du warst an diesem Wochenende ganz Du und in der Rückschau betrachtet doch irgendwie merkwürdig und anders. Es schien so, als müsstest Du Dich immer mal wieder sammeln, um Dich auf mich zu konzentrieren. Und doch hast Du dort mit mir am Früstückstisch gesessen und in aller Ruhe Deine Rituale gepflegt, mich in der Nacht im Arm gehalten und Zukunftspläne für uns gemacht. Zwei Tage später fiel ich aus den Wolken.
Doch dort auf dem Bahnsteig, als Du mich innig küsstest, dachte ich, alles wäre gut. Ich dachte, das wäre das Zeichen dafür, dass Du mir wie immer zugeneigt bist, dass Du Dich ein bisschen entschuldigen wolltest für Dein voran gegangenes Auftreten und mir die Sicherheit Deiner Zuneigung geben wolltest. Ich hatte keine Zweifel, dass ich die Frau an Deiner Seite bin, als die U-Bahn mir mir aus dem Bahnhof fuhr und Du mir hinterher gewunken hast. Ich hatte Sicherheit und Vertrauen, als mich die Nachrichten von Dir in schöner Gewohnheit auf dem Heimweg begleiteten. Du und ich. Das war unbestritten. Das war meine Zukunft. Wir waren unsere Zukunft - so dachte ich. Ich war mir zu 100% sicher, dass das Gespräch, das ich am darauf folgenden Wochenende mit Dir führen wollte, zu unseren Gunsten ausgehen würde. Ich war mir Deiner Gefühle und Absichten absolut sicher. Ich war beschwingt. Du und ich!
Heute weiß ich, dass Du mit diesem Kuss auf dem Bahnsteig schon Abschied genommen hast, ohne mich das wissen zu lassen. Heute weiß ich, dass Dein Blick beim Abschied nicht der war, der mich immer traf, wenn wir uns trennen mussten oder wollten. Es war Dein letzter Blick auf mich und Du wusstest oder ahntest das bereits, während ich vollkommen arglos war.
In den Momenten, in denen ich daran denke, wie Du mich hintergangen hast, wie sehr ich Dir vertraute und wie wenig Du das gerechtfertigt hast, übermannt mich erneut Trauer. Ich fühle mich von Dir so sehr im Stich gelassen und verraten, dass ich es nicht in Worte fassen kann. Ich fühle mich von mir selber im Stich gelassen und verraten, weil ich nicht erkannt habe, was vor sich ging. Ich habe mich getäuscht in meiner Interpretation Deines Verhaltens. Ich fühle mich vom Leben verraten.
Diese 4 Minunten auf dem Bahnsteig waren meine Hoffnung auf die Zukunft, aber sie waren bereits Dein Abschied.
Wenn ich daran denke, bin ich tief verzweifelt.