Tag 28 – Der Schmerz verschiebt sich
In den vier Wochen, seitdem ich weiß, dass Du nicht mehr mit mir zusammen sein willst, habe ich viel über andere Schicksale erfahren. Das verändert meine Sicht auf Dich bzw. auf Dein Verhalten und meine Trauer.
Ich entferne mich langsam davon, mich vorrangig mit dem Verrat an mir zu beschäftigen. Was Du mir angesichts unserer jeweiligen Biografien angetan hast, ist zwar immer noch genau das: EIN VERRAT.
Was Du mich noch für Dich tun ließest, empfinde ich als unfassbar skrupellos.
Aber inzwischen kann ich zumindest ab und zu einen Gedanken an die Möglichkeit zulassen, dass Du ernsthaft mit Dir gerungen und abgewogen haben könntest, was Du künftig haben oder mit wem Du zusammen sein willst. Du hattest Dich verändert in den letzten drei Wochen. Du warst weniger unbeschwert und mehr im Grübelmodus. Aber Du bliebst mir gegenüber aufmerksam, wenn wir uns gesehen haben, und machtest Zukunftspläne.
Mir ist jetzt klar, dass Du natürlich Skrupel gehabt hast. Die Skrupel waren jedoch weitaus weniger ausgeprägt als Deine Feigheit. Das erschüttert mich immer noch unfassbar.
Das Ergebnis Deiner Entscheidung macht mich todunglücklich. Aber es ist mir immer noch lieber, als die zweite Wahl zu sein oder dass Du immer gefährdet gewesen wärst. Ich habe nach wie vor keine Ahnung, wie diese Änderung bei Dir eintreten konnte, aber Du bist nicht mehr da und hältst Dich an meine Bitte, mir aus den Augen zu bleiben.
Ob Du das tust, weil Du froh bist, nicht mit Deinem menschlichen Versagen konfrontiert zu werden sondern stattdessen Dein neues Leben unbeschwert leben zu können oder aus Respekt mir gegenüber, sei mal dahin gestellt. Es ist nicht wichtig.
Die Kenntnis anderer Schicksale verlagert meinen Kummer etwas. Ich bin ein kleines bisschen weniger bei der Frage, wie Du mich so hintergehen konntest als vermehrt beim Empfinden eines riesigen Verlustes. DES Verlustes meines bisherigen Lebens.
Das klingt pathetisch, doch das darf es, denn ich habe schon viel verloren in meinem Leben und kann daher beurteilen, wie schwer der Verlust unserer Beziehung für mich wiegt.
Es klingt mir in den Ohren, wie Du oft zu mir sagtest, Du würdest immer ehrlich zu mir sein. Manchmal sagtest Du das als Vorlauf zu der Erklärung, Du würdest mich und unsere Beziehung immer schützen wollen und das unsere Probleme, sollten sie jemals auftreten, immer zwischen uns bleiben und geklärt werden würden.
Was mich betrifft, kann ich sagen, ich habe entsprechend gehandelt. Vor dem Verrat hat niemand von mir etwas gehört, weil allein uns beide anging. Du hast Dich nicht daran gehalten.
Manchmal waren Deine Worte auch der Auftakt für eine Ansprache zu meinen psychischen Problemen. Bis fast zuletzt warst Du sehr vorsichtig und geschickt darin, mir diese Dinge zu sagen. Ich fand das immer gut - es war nicht angenehm, aber gut. Denn was mir bis dahin immer im Leben fehlte, war jemand, der Anteil nimmt, der mein Verhalten spiegelt, der mir Grenzen und Möglichkeiten aufzeigt und bei allem unerschütterlich an meiner Seite bleibt.
Du wurdest am Ende unserer Beziehung in Deiner Argumentation aggressiver und nahmst eine Vorwurfhaltung ein. Ich glaube, es war vor allem die Unzufriedenheit mit Dir selber, die Dich derart auftreten ließ, denn eigentlich bist Du ein friedlicher Mensch.
Wie Du weißt, hat mich manchmal Dein passives Verhalten im Konflikt mit Dritten irritiert. Ich habe immer gedacht, dass das wohl die Auswirkungen Deines Berufes sind, in dem Du ständig mit Konflikten konfrontiert bist. Das warst halt Du und ich wollte einfach nur Dich, ohne an Dir herum zu erziehen oder Dich zu verändern. Ich habe Dir oft gesagt, dass ich alles habe, was ich brauche, wenn wir zusammen waren. Egal, was ansonsten gerade schief lief.
Du hast in Deiner letzten Mail erklärt, Du wärst aus Sorge so massiv aufgetreten und hast Dich entschuldigt, falls das übergriffig gewesen sein sollte. Ich glaube eher, Dein Auftreten war die Unzufriedenheit darüber, dass Du die Situation nicht mehr im Griff hattest und Dich hinter meinem Rücken mir gegenüber wie ein Ar. aufgeführt hast.
Diese Nebenkriegsschauplätze aufzumachen, wird Dir nicht geholfen haben. Denn wenn Du den symbolischen Zeigefinger auf mich gerichtet hattest, zeigten doch noch immer 4 Finger zu Dir zurück. Wer beschuldigt, verteidigt oft sich selbst.
Ich möchte Dein Agieren in den letzten Wochen unseres Zusammenseins nicht schön reden, denn ich habe mich bis heute vier Wochen lang wie eine offene Wunde gefühlt. Das ist auch noch nicht vorbei.
Im Vergleich mit anderen Verrätern warst Du schnell und vor allem konsequent in Deiner Entscheidung, auch wenn es sich für mich subjektiv nicht so anfühlt. Wahrscheinlich muss ich Dir für die Konsequenz am Ende dankbar sein, denn alles andere wäre eine Quälerei für uns beide.
Ich weiß nicht, was mir bei der Verarbeitung mehr hilft. Ist es besser, Dich für ein skrupelloses kaltschnäuziges A-Loch zu halten, weil Wut bei der Verarbeitung zuträglich ist. Oder ist es besser, traurig zu sein, weil ich den Verlust meines Lebens erlitten habe.
Beides zusammen geht nicht.
13.02.2017 18:35 •
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