Der schönste Tag
So könnte ich jeden Eintrag über diese Reise beginnen. Mir gehen die Superlative aus. Tatsache ist: jeder Tag war anders der schönste.
Ausgestattet mit einem kleinen Frühstückspaket enternten wir recht früh unseren kleinen Bus und fuhren etwa 2,5 Stunden hinein in einen orange-roten Sonnenaufgang in Richtung Küste. Die Fahrt mit dem Eisbrecher stand auf dem Programm.
Je weiter wir uns von unserem Basislager entfernten, desto weniger weiß wurde der Schnee und umso mehr Verkehr (also mehr als ein Auto in der ersten Stunde) begegnete uns. Der Eisbrecher lag am Ufer einer kleinen Stadt.
Ich weiß nicht, was ich mir vorgestellt hatte, aber das, was mich erwartete, jedenfalls nicht. Wir alle waren wohl davon ausgegangen, dass das eine recht exklusive Tour werden würde mit maximal einer weiteren kleinen Gruppe Passagiere. Am Liegeplatz des Eisbrechers jedoch warteten bereits weitere Busladungen von warm eingepackten Menschen. Vor allem waren es Deutsche, aber auch ein paar maskierte Asiaten.
Aus riesigen Boxen des Schiffes dröhnte uns Technomusik entgegen, während wir am Ufer darauf warteten, an Bord gehen zu dürfen. Das hatte etwas Befremdliches und alle Menschen wirkten etwas irritiert bis verstört. Letztlich zählte ich etwa insgesamt 60 Gäste.
Irgendwann stellte sich der Kapitän, bewaffnet mit einem Megaphon, aufs obere Deck und erklärte uns etwas, was kein Mensch verstanden hat, weil sein Hilfsmittel so knisterte, dass das alles übertönte. Irgendetwas mit jeder dürfe überall hin und Schwimwesten. Anschließend gingen wir an Bord, wo sich die Menschen erstaunlicherweise sehr verteilten und es gar nicht mehr so überlaufen wirkte und endlich etwas eklusiver wirkte
Der Eisbrecher legte ab und wir fuhren hinaus aufs Meer bzw. ins Eis. Fasziniert beobachteten wir, wie das Eis brach und die bordwandnahen Schollen sich unter die Eiskante schoben und diese wiederum weiter aufbrachen. Es war laut, es war kraftvoll, es war gewaltig. Die Küste war in Sonnenlicht getaucht, der Himmel war blau und die Technomusik hörte man auch nur noch, wenn man sich am Heck hinter den Boxen aufhielt. Es war morskalt und faszinierend und hätte man es gewollt, hätte man mich Gewalt von der Reling loseisen müssen. Um nichts in der Welt wäre ich unter Deck gegangen.
Nach etwa einer Stunde blieb das Schiff mitten im Eis stehen - einfach mittendrin. So eng vom Eis umschlossen, dass wir später von außen an die Bordwand herantreten und sie berühren konnten. Der Kapitän pustete im Leerlauf (oder so) die Fahrrinne hinter dem Schiff frei und wer wollte, durfte ein Bad im so extra für uns frei gespülten Pool direkt hinter dem Schiff machen.
Dafür wurden wir in Trockenanzüge gekleidet, deren Kapuze eng das Gesicht umschloss, damit kein Wasser eintreten konnte. Ich dachte noch was mache ich mit meiner Brille und schon wurde ich hinaus geschubbst und stapfte über das Eis zum Pool. Anscheinend behielt ich sie wohl auf Total kleidsam die Anzüge. Nicht. Aber funktional, denn sie bestehen quasi Ganzkörper aus Neopren o.ä. und waren zudem deutlich zu groß, damit sich ein Luftkissen zwischen Körper und Anzug bilden konnte. Teletubbielook in Knallorange.
An dieser Stelle war ich noch einmal mehr froh, dass ich mein Gewicht in den letzten Jahren so gut reduzieren konnte.
So bekleidet stapften wir also nach und nach über eine Gangway aufs Eis und ans Heck des Schiffes, wo ein Helferlein stand, das ins Eisbad schubste .. äh dem Eisbaden Nachdruck verlieh.
Man setzte sich auf die Eiskante und ließ sich ins Wasser gleiten. Dort konnte man dann, bis es einem zu kalt wurde, zwischen den herumschwimmenden Eisbrocken auf dem Rücken liegend oder sitzend herumwabern. Jeweils mit etwa einer Handvoll anderen Badenden zusammen konnten wir dieses Erlebnis genießen. Skurril, abgefahren, herrlich. Es war wirklich etwas Besonderes und ich freue mich riesig darüber, dass es ein paar Fotos davon gibt, wie ich grenzdebil grinsend in diesem Wasser wabere. Auch die befürchtete Massenabfertiugung blieb aus. Alles fand mit so viel Zeit und Ruhe statt, wie jeder wollte und brauchte.
Als ich spürte, dass am Kragen langsam etwas Wasser eindringt, musste ich den Spaß beenden. Doch wie? Wie kommt man in diesem unförmigen Gebilde von Anzug, der eine gewaltige Bewegungseinschränkung mit sich bringt, wieder aufs Eis?
Ich hatte ja mein Helferlein ... Mir wurde angedeutet, ich solle mit dem Rücken an die Eiskante schwimmen, wo es mich wie einen großen nassen Sack an zwei Schlaufen im Schulterbereich der des Anzuges auf die Eiskante hievte. Rettet die Wale. Eleganz ist anders. Aber damit nicht genug, ich hatte ja auch noch den Anspruch halbwegs geschmeidig aufzustehen. Das gelang mehr oder weniger.
Dann stapfte ich wieder an Bord und wurde vom nassen Tubbie wieder zum Menschen. Unter den Anzügen behält man übrigens seine Kleidung an. Eine MItreisende, bei der sich selbst erfüllende negative Prophezeiungen ein Zuhause gefunden haben, hatte das Pech, dass eine Naht am Bein ihres Anzuges kaputt war und Wasser eintrat. Das führte zu einer Jeans, die auf der Verschalung irgendeiner Maschine getrocknet werden musste. Dem Personal war das furchtbar peinlich und es versicherte glaubhaft, dass so etwas sonst nicht passieren würde und natürlich auch nicht sollte. Das eindringende Wasser in den Anzug war natürlich alles andere als angenehm, aber dass so etwas passieren könnte, war jetzt nicht soooo unwahrscheinlich. Trotzdem gab es Drama, Baby, Drama.
Nach meinem erfrischenden Bad konnte ich noch eine Weile auf dem Eis spazieren gehen, das Schiff von außen betrachten, ein paar Fotos machen und machen lassen. Es war kalt, aber nicht zu kalt, denn die Sonne strahlte vom Himmel und so genügte dafür sogar meine Anreisekleidung, denn mein Koffer war ja immer noch nicht da.
Anschließend gab es ein paar Heißgetränke an Bord und ich genoss auf der Rückfahrt noch einmal die Kraft des Schiffes und den Blick auf die in der Sonne liegende Küste. Ich hoffe derzeit sehr, dass unser Begleiter (und seines Zeichens Profifotograf) sich noch meldet und ein paar Fotos rausrückt. Er hielt sich sehr bedeckt, was das angeht.
Zurück an Land krabbelten wir, mit einem Eisbadezertifikat in den Händen, wieder in unseren Bus und fuhren zu einem Iglotel.
Dieses wird Jahr für Jahr von einer Firma mit viel Enthusiasmus errichtet und dort kann während der nur etwa 8 Wochen dauernden Saison übernachtet werden. Es gibt eine Bar und auch dort die unvermeidlichen Holztische und -bänke, Rentierfelle und Kerzen. Es finden Partys statt. Die Location wird für Events vermietet. Wir machten eine Führung und wurden über das Projekt, Bauart und -dauer und die Besonderheit der laufenden Saison, die leider besonders warm ist, aufgeklärt. Die Macher hoffen, dass das nicht die Auswirkung des Klimawandels sondern einfach einfach eine Ausnahme ist. Leider musste der sonst recht große Komplex von in den anderen Jahren wohl etwa 26 über ein Schneeröhrensystem miteinander verbundenen Iglos dieses Jahr deutlich kleiner gebaut werden. Ich glaube, es gab nur etwa 6 Iglos.
Es gab ein Eingangs-/Empfangsiglo, ein Iglo mit Kicker (auch lustig irgendwie), ein Bariglo, so eine Art Terrasseniglo, eine Art Bewirtschaftungs-/Personaliglo und ungefähr zwei Iglos zum Übernachten. Diese verschiedenen Iglos wurden in wechselnden Farben illuminiert. Aus Schnee und Eis waren verschiedene Oberflächen geschaffen worden und auch Schriftzüge oder Logos können für Firmenveranstaltungen in die Wände eingearbeitet werden. Eine schöne Atmosphäre war es dort. Ich hätte das gern in voller Pracht gesehen. Eine Übernachtung würde mich nicht sonderlich reizen, aber es war interessant und ich finde es immer wieder beeindruckend, wie begeisterungsfähig Menschen für etwas sein können.
Anschließend fuhren wir zum Essen ins Städtchen und .. hach .. irgendwie passierte immer alles mit viel Zeit und ohne Hetze .. ich habe das gegenüber meinem sonstigen Alltag sehr genossen.
Danach machten wir noch einen Bummel durch die Stadt und quetschten unsdann wieder in unseren Bus. Auf der Rückfahrt freuten wir uns, dass der Verkehr nach und nach immer weniger wurde und der Schee wieder weißer. Wir freuten uns auf zuhause, unser kleines Hotel am gefühlten Ende der Welt. Die Fahrt ging in den Sonnenuntergang so wie am Morgen in den Sonnenaufgang. Ein schöner, runder, aufregender Tag.
07.03.2020 06:43 •
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