Ein letzter Brief?
Lieber S.,
als ich diesen Brief schrieb, geschah das in der Absicht, ihn Dir tatsächlich zu schicken. Ich hatte das Gefühl, Du solltest wissen, wie es mir in den letzten acht Wochen ergangen ist und .... ja, auch was Du angerichtet hast.
Doch nachdem ich ihn entworfen und eine Nacht darüber geschlafen hatte, stellte ich fest, dass es für mich (!) vollkommen unerheblich ist, ob Dich in der Realität irgendetwas von mir erreicht. Das erstaunte mich selbst.
Acht Wochen ist es jetzt her, dass Du Dich von mir getrennt hast und ich auf einmal vollkommen unerwartet aus dem Leben, wie wir es uns geschaffen hatten und schaffen wollten, geworfen worden bin.
Mein Kosmos ging in dieser Zeit über die Vielfalt und den Detailreichtum meiner Erinnerungen und über den Rand meines Sofas nicht hinaus. Ich habe acht Wochen auf dem Sofa verbracht und bin unaufhaltsam gefallen. Alles, was außerhalb dieses Sofas lag, fand für mich nicht statt. Ich habe kaum funktioniert. Ich habe einfach dort gesessen, gelegen, geschaut und geschwiegen.
Nach etwa drei Wochen konnte ich endlich weinen. Ich habe Panikattacken weg geatmet und kaum geschlafen. Ich konnte nichts anderes, als auf dem Sofa zu sein. Nicht, weil ich es nicht anders wollte, sondern weil Geist und Körper wie gelähmt waren.
Was mir mit Dir passierte, lag im Guten sowie im Schlechten außerhalb meiner Vorstellungskraft. Ich hatte einen Schock und bin traumatisiert. Es fühlte sich an, als hättest Du aus dem Blauen heraus mein Herz angewidert am lang ausgestreckten Arm mit spitzen Fingern an mich zurück gegeben. Bis heute weiß ich nicht, ob dieser Eindruck trügt. Du sagtest zum Schluss, Du hättest unsere gemeinsame Zeit genauso genossen wie ich. Wann und warum das aufhören konnte, erschließt sich mir nicht.
Meine Erde hörte vor acht Wochen auf, sich zu drehen. Das Leben mit Dir, das zuvor verheißungsvoll voller gemeinsamer Perspektiven und Pläne, voller Vorhaben und Ideen, voller Wünsche und Träume vor mir gelegen hatte, existierte nicht mehr.
Ich stagnierte seitdem. In mir arbeitete es. In mir passierte viel und gleichzeitig nichts. Außerhalb meines Sofas ging das Leben weiter, aber ich stieß von innen an die unüberwindbaren Grenzen meiner Haut.
Mein Körper reagiert auf meine seelische Verfassung. Die Heilung nach der OP schreitet nur sehr, sehr mühselig und atypisch voran und macht immer wieder Rückschritte. Ich konnte nichts essen und friere seit acht Wochen ununterbrochen. Inzwischen wird es Frühling, aber meine Heizung läuft auf Hochtouren.
Ich war zutiefst verletzt von der Art und Weise, wie und zu welchem Zeitpunkt Du mich verlassen hast. Ich will das nicht wiederholen. Das habe ich schon zu oft getan. Aber ich kann Dir sagen, ich habe mir manches Mal gewünscht, Du würdest durch meine Schmerzen gehen und mit jeder meiner geweinten Tränen konfrontiert sein.
Es gibt viel schlimmere, viel länger andauernde Vertrauensbrüche und Menschen, die sich das Leben ein- oder gegenseitig weitaus schwerer machen, als Du und ich es uns angetan haben. Aber das mindert meinen persönlichen Schmerz über Dein Verhalten nicht. Ich hatte das nicht verdient. Ich hatte einen respektvollen Umgang mit mir verdient, der mir diese acht Wochen Schockstarre erspart hätte und mich auf normale Weise hätte trauern lassen können. Die reine Trauer um meine verlorene Liebe beginnt erst jetzt.
Ich habe jedoch erkannt, dass Du mir meine Würde nicht nehmen konntest. Die Würde, mit der ein Mensch sich umgibt, resultiert aus seiner inneren Haltung und nicht daraus, wie andere ihn behandeln.
Ich war Die gegenüber immer loyal, so lange wir zusammen waren. Und ich glaube, das war ich sogar darüber hinaus. Darauf bin ich stolz. Doch Dein Verhalten mir gegenüber am Ende war würdelos. Es war Deiner nicht würdig!
Meine Würde hat keinen Schaden genommen, weil Du mir gegenüber nicht ehrlich sein konntest und Du meine Gutmütigkeit und Hilfsbereitschaft in Anspruch genommen hast, als das längst nicht mehr in Ordnung war. Es wäre schön gewesen, wenn Du wenigstens irgendwann Danke für alles gesagt oder Dich nach meinem Befinden nach der OP erkundigt hättest, aber Du warst ja so sehr in Deiner bequemen, reumütigen und selbstmitleidigen Rolle als „riesengroßes A***hloch“, dem alles so furchtbar leid tut und das mich angeblich nicht verletzten wollte und so viel Angst davor hatte, ehrlich zu mir zu sein, gefangen.
Ich habe viel darüber nachgedacht, was meine Anteile an diesem Ende waren. Mehr, als dass ich aus Rücksicht die von mir erkannten Diskussionspunkte erst an dem Wochenende, nachdem Du Dich von mir getrennt hast, ansprechen wollte, kann ich bisher nicht erkennen. Ich hätte diese Rücksicht nicht nehmen sollen. Aber Du zeigtest Dich, obwohl das so gar nicht zu Deiner sonstigen Gelassenheit passte, so eingenommen und irgendwie auch überfordert von all den Umzugsplanungen, dass ich Dir Diskussionen über uns nicht auch noch zumuten wollte. Heute weiß ich, dass Deine Überforderung aus etwas anderem als dem Umzug resultierte. Vielleicht war ich mir Deiner zu sicher. Ich habe Dir vertraut. Vielleicht erkenne ich irgendwann weitere Punkte, die auf mein Konto gehen.
Gelernt habe ich, mich künftig auch dann nicht von Worten blenden zu lassen, wenn mir etwas vermeintlich Magisches und nie da Gewesenes zu passieren scheint, sondern stattdessen nur noch auf die Taten der Menschen zu achten. Ich gehe aber davon aus, dass das gar nicht nötig sein wird, da mir vermutlich eine vergleichbare Nähe nicht erneut zuteil werden wird.
Die Taten einiger Menschen der letzten acht Wochen haben mir gezeigt, wer meine Freunde sind und was ich von meiner Familie halten kann. Ich wäre lieber nicht darauf angewiesen gewesen.
Noch etwas realisierte ich erst, nachdem Du Dich von mir getrennt hast. Ich habe den Mann geliebt, mit dem ich zusammen gewesen bin. Ich dachte zunächst in meiner Vorsicht, ich wäre noch nicht so weit gewesen, von Liebe sprechen zu können. So habe ich das auch Dir gegenüber kommuniziert. Doch darin habe ich mich geirrt. Darum möchte ich auch über die Anzeichen, die es im Nachhinein dazu gab, dass Du womöglich schon früher nicht ehrlich zu mir warst, nicht nachdenken.
Der Mann, mit dem ich zusammen gewesen zu sein glaubte, hat mich glücklich gemacht. Leider hat er nicht verstanden, dass das ein Privileg ist und dass ich noch keinem Mann zuvor so pur und vorbehaltlos begegnet bin. Ich weiß, dass ich ihn auch glücklich machte - mindestens für eine Weile. Das war für mich ein Wunder, denn ich wusste, dass das in unserem Alter, mit unseren Macken, Verletzungen und in die Jahre gekommenen Hüllen keine Selbstverständlichkeit ist. Ich möchte mir schöne Erinnerungen an meine Liebe bewahren, ohne in Frage stellen zu müssen, ob Du sie wert warst.
Ich hätte gern mein Leben mit diesem geliebten Mann verbracht. Aber dieser Mann bist Du nicht mehr. Oder vielleicht bist Du dieser Mann doch immer noch, aber eben in sehr beliebiger Weise für eine jeweils beliebige Frau. Es ist schwer zu akzeptieren, womöglich für Dich beliebig gewesen zu sein, da Du für mich einzigartig warst.
Das war vielleicht der letzte Brief an Dich. Ich werde noch oft traurig sein und von Erinnerungen eingeholt werden. Ich werde noch viele Tränen vergießen. Ich werde mich noch oft daran erinnern, was Du zu diesem oder jenen gesagt hättest und Dich als Gesprächspartner, Freund und Liebhaber vermissen. Ich werde Orte meiden, weil sie mich schmerzhaft an meine unerfüllte Liebe erinnern und kann mir zur Zeit nicht vorstellen, mit einem anderen Mann zusammen zu sein.
Aber ich kann die Grenzen meines Sofas jetzt wieder verlassen. Wenn ich auch in allen Lebensbereichen bei Null oder unter Null werde beginnen müssen, denn diese haben sich in den letzten acht Wochen leider auch nicht zum Positiven entwickelt.
Ich hätte Dich gern bei der Bewältigung als Ratgeber und Trostspender, als Zuhörer und Impulsgeber an meiner Seite gehabt.
Die Trauer bleibt.
Ich hoffe, in irgendeinem Universum war es das wert.
K.
14.03.2017 13:11 •
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