Liebe FibiWat,
er schreibt Dir sehr wohlwollende, ja, fast ein wenig um Entschuldigung bittende Worte. Sie sind sicher ehrlich gemeint, aber für Dich dennoch ein Schlag ins Gesicht, denn was helfen sie Dir?
Der Verlasser hat ja keine bösen Absichten, er folgt nur dem Weg, von dem er glaubt, dass er verheißungsvoller ist. Und natürlich spricht daraus auch sowas wie ein schlechtes Gewissen, denn er weiß ja was er tut und bleibt bei seiner Entscheidung. Und der stehst Du machtlos gegenüber und musst sie nun aushalten.
Der Verlassene macht immer den Fehler, den eigenen Wert in Frage zu stellen. Ich war es nicht wert, dass er bleibt, eine Andere hat ihn sich genommen, ich fühle mich weggeworfen, übergangen, zurückgesetzt. Das ist völlig normal, aber es zieht Deinen Selbstwert sehr runter. Und das solltest Du möglichst wenig zulassen.
Denn seine Trennung hat nichts mit Deinem Wert zu tun, nur damit, dass die Wiese woanders grüner erscheint. Du warst die ganzen Jahre an seiner Seite, hast Dich um Kinder und Haushalt gekümmert, warst zuverlässig, loyal und fleißig. Und Du bist die Mutter Euerer Kinder.
Und diesen Wert kann Dir keiner abnehmen, am allerwenigsten er. Und Du musstest ihn ja auch aushalten, denn mit einem anderen Menschen eng zusammen zu leben und aufeinander zu bauen, setzt schon Nachsicht und Toleranz auf beiden Seiten voraus. Jeder Ehepartner nervt ab und an, man kennt seine Eigenschaften, Angewohnheiten und weiß oft im voraus, welche Worte nun folgen werden. Gähn, hundert Mal gehört, Schwamm drüber, er braucht es halt, auch das hunderundene Mal über die unfähige Regierung zu wettern. Auch wenn es nervt, ich lass ihn halt, dann beruhigt er sich auch wieder.
Die starken Gefühle, die Du jetzt für ihn findest, sind aufgekommen, eben weil er geht. Ansonsten wären sie allenfalls auf einem Normalmaß. Als mich mein Affärenmann sitzen ließ, dachte ich auch über Monate, dass ich ihn trotzdem immer lieben würde. Das hielt auch einige Zeit an. Erst kam die Lähmung nach der Erkenntnis, dass er weg war, dann kamen die Tränen, dann die tiefe Überzeugung, dass er immer der für mich bleiben würde der er für mich war. Nie würde ich ihn vergessen, für ihn immer ein liebendes Gefühl spüren. Ich würde ihn ewig lieben, dann halt unglücklich, aber besser als gar nicht.
Aber es kam anders. In der Anfangszeit nach der Trennung hatten wir noch ab und an Kontakt, telefonisch oder über Geräte, aber nie von Angesicht zu Angesicht. Es ging von mir aus, weil ich mir dachte, es wäre unmögich, diesen wundervollen Menschen ganz aus meinem Leben zu streichen. Anfangs war er noch interessiert und er hatte wohl auch so was wie ein schlechtes Gewissen (es tut mir so leid, dass ich ausgerechnet Dir, die ich so schätze, weh tun muss, aber ...!). Nachträglich denke ich mir, typische Worte des Verlassers, der seine Trennung halbwegs sozial verträglich mitteilen will. Was helfen mir die salbungsvollen Worte und sein Bedauern? Nichts!
Der Kontakt war keine gute Idee, denn ich kam langsamer von ihm los. Irgendwie wollte ich noch Kontrolle über ihn haben, wissen, wie sein Leben verläuft. Aber es tat mir nur weh zu erfahren was er alles vorhatte, machte und tat, während ich ... nun ja. In mir kamen Eifersucht und Kontrollverlust hoch. Ihm ging es gut, er machte was er wollte, toll für ihn. Aber ich sitze hier mit meinem Liebeskummer und habe auf nichts mehr richtig Lust.
Und dann nach einigen Wochen kam die Wut. Eine große Wut auf ihn, aber auch auch mich, weil ich mich ihm gefühlt so vor die Füße geworfen habe. Die Wut ist zwar unerfreulich, aber auch irgendwie gesund, denn sie zeigt auch, dass wir uns ungerecht behandelt fühlenm, aber auch, dass immer noch Energie in uns steckt. Sie muss aber irgendwann vergehen, denn sie ist ein sehr starkes Gefühl, das auch zerstörerisch wirken kann.
Fantasien keimten in mir auf. Ich träumte von ein paar Typen, die ihm auflauerten und ihn verprügeln sollten und dann würde ich kommen und ihm noch in seine verdammten .... treten. Er sollte verunglücken, ach, könnte ich nur seine Bremsen manipulieren, sodass sie versagen, wenn er so richtig Fahrt aufgenommen hat. Noch besser, er sollte verunglücken, auf der Fahrt zu der neuen, die er sich ausgesucht hatte und dann im Rollstuhl sitzen. Oder noch besser, er sollte sterben, damit ich endlch abschließen konnte.
Das dauerte auch einige Wochen und dann kam sukzessive der Abstand. Seine Mails wurden spärlicher, Telefonate hatten wir unausgesprochen eingestellt und dann kam eine Mail, die mir wieder die Dinge zeigte, die mich an ihm genervt hatten. Verschwurbelte Aussagen, verschwommene Äußerungen, aber keine ehrlichen und klaren Worte. Ich entnahm der Mail, dass es jetzt eine andere gab, das aber war alles verklausuliert, dass ich es zweimal lesen musste, um es zu verstehen. Er war mir keine Rechenschaft schuldig, aber diese verschwommenen Worte trieben mir den Blutdruck in die Höhe und es war nochmals ein Schlag in die Magengrube. Aber wenigstens wusste ich Bescheid und ich glaube, sie war der Grund dass ich damals weg musste.
Ich meldete mich nicht mehr, er sich auch nicht. Von Zeit zu Zeit kam bei mir auf, dass er doch das Bedürfnis haben müsste, sich mir nochmals zu erklären. Das sind auch typische Gedankengänge des Verlassenen, der sich die EINE Erklärung für die Trennung wunscht, aus dem dann Erleichterung resultiert. Ach so, deswegen ging er, ja, jetzt verstehe ich es. Das ist Quatsch, denn es liegt ja alles auf der Hand und keine Aussage seinerseits würde es besser und leichter machen. Im Gegenteil, je mehr Worte, desto mehr Verwirrung und desto mehr Interpretationen. Er sagte doch, ..., was meinte er, als er sagte ....
Gib Dich mit solchen Überlegungen nicht ab. Er hat eine Neue, mit der er ein neues Leben beginnen möchte und das ist die Erklärung die zählt. Dass dabei einiges Porzellan zerdeppert wird und ein gewachsenes System dabei drauf geht, nämlich die Familie, nimmt er dafür billgend in Kauf. Punkt. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich kann Dir nur raten, geh durch die Phasen wie sie kommen, sie sind ein Baustein des Ablösungsprozesses. Aber höre umgehend damit auf, Dich und Deinen Selbstwert in Frage zu stellen, denn das hast Du nicht nötig.
Er kann ihn gar nicht kaputt machen, denn Dein Wert ist da. Also glaube an ihn und halte ihn in Dir. Bloß weil ein hormongesteuerter Mann, dessen Gehirn außer Kraft ist, geht, ändert es nicht an Deinem Wert, denn der hängt nicht von ihm ab.
Es wäre ferner sicher besser, auf emotionale Worte zu verzichten. Schränke den Kontakt auf sachliche Themen ein, Du bist kein Adressat für seine ach so bedauernden Worte. Und sein Gesülze kann er sich auch sparen. Rede mit ihm über Fakten. Das würde den Ablöseprozess auch wenn es Dir schmerzhaft erscheint eher in Gang setzen.
Du hältst Dich jetzt zwangsläufig viel in Erinnerungen auf. Sein Geburtstag, Dein Geburtstag, die Geburtstage von Eltern und Schwiegereltern, Weihnachtfeste usw. Das alles wird ich ändern und das ist hart. Aber ein Verlassener neigt auch zur Verklärung des Vergangenen. Niemals mehr werde ich glücklich sein, niemals mehr offen sein für Jemand anderen, meine Zeit ist vorbei. Blablabla, das ist das Gefühlsgedächtnis, das jetzt verstärkt auftritt und Dir vorgaukelt, was Du alles verlierst. Denn das hat nur eine Absicht, es möchte den Urzustand wieder herstellen. Die Gefühle wollen wieder Glück und Freude empfinden und dann kommen Erinnerungen auf, die momentan für einige Augenblicke eine Art Entlastung darstellen. Aber je mehr Nahrung die Gefühle bekommen, desto gieriger werden sie und Du kommst langsamer und schlechter von ihm los.
Wenn die Botschaft an die Gefühle ist, er ist weg und bleibt weg und wir verkehren nur mehr auf der Sachebene, dann bleibt die Zufuhr aus und irgendwann ziehen die Gefühle dann auch nach. Der Ablösungsprozess setzt ein und tut unbemerkt sein Werk und schreitet voran. Huch, ich habe heute nicht geheult, wie kann das sein? Ach Du meine Güte, ich habe ihn glatt für einige Stunden vergessen, das gib tes doch nicht.
Doch, das gibt es. Und irgendwann ist er Dir dann egal. Du lässt ihm sein Leben und sagst Dir, lebe wie Du magst, mit Nextie oder auch ohne oder mit Nextnextie, mir egal, aber es gibt einen Menschen, der mir wichtiger ist und das bin ich selbst. Ich bin durch Täler gegangen und es war nicht leicht, aber ich habe es geschafft und bin über den Berg und das habe ich ganz allein geschafft - ohne ihn.
Glaub bei allem Kummer immer an Dich, Deine Kraft und an die Zeit, die alles verändern wird. Es bleibt nicht wie es jetzt ist.
10.01.2024 12:11 •
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