Am Fluss keine Menschenseele, nur die Stadtautobahn, eine Dummheit der 60er. Hinter Bäumen, gegenüber, der Lärm ließ sich ausblenden. Besser als der vom Festival. Ich schwankte vor Müdigkeit, man hätte mich für eine Feiernde halten können, verirrt auf dem Heimweg. Doch da war kein man, nur ... der Mann.
Kein echter, ein Phantom. Statt wieder in die Straße abzubiegen, war ich auf die Halbinsel gelaufen, gegenüber liegt mein Arbeitsplatz. Vorn an der Spitze, wo sie den Fluss teilt, hatte ich am Poller mit Joe zwei B. getrunken. Der gedrungene Metallpfahl, schwarz und gelb, rechts daneben hatte Joe gesessen. Jahrelange Gewohnheit versuchte, seinen Schemen dort erscheinen zu lassen. Schmerz wollte kristallisieren.
Was mich an Joe band, vor kurzem habe ich es geknackt. All die Forenlektüre, irgendwas hat da kumuliert und durchgeschlagen. Eines morgens beim Aufwachen begriff ich: In meiner Kinderzeit hatte ich meinen Vater als mürrischen, strengen Menschen gekannt, der seine Zuneigung nicht zeigte und vor allem in Ruhe gelassen werden wollte. (Bis auf die herrlichen Ausnahmen … und dann den Wandel zum lieben Papa, nach dem Tod meiner Mutter.) Auf eine solche männliche Bezugsperson war ich getrimmt, damit konnte ich umgehen.
Mein Vater hat mich nie so lieblos behandelt wie Joe, trotzdem glaubte ich als Kind, ich sei nicht gut genug für seine Zuwendung. Genau so habe ich als Erwachsene auf Joe reagiert. Warum? Wieso wissen andere schon mit Zwanzig, dass sie mit einem solchen Typen keine Partnerschaft haben können?
Vermutlich hatten die eben ein liebevolles Elternhaus. Sie haben von klein auf gelernt, wie‘s geht, sie mussten sich nicht an den eigenen Haaren aus einem Sumpf ziehen, den sie nicht einmal als solchen wahrnahmen. (Sondern für eine Art Paradies hielten, wenn auch ein unberechenbares.) Ohne Joe hätte ich diese Kunst vielleicht nie erlernt. Ohne Marie hätte ich mit der Sache nicht abgeschlossen, sie war bloß verdrängt.
Andere hätten sich auf Joe nicht eingelassen, er macht ja keinen Hehl aus seiner Art. Er wiederum wird meine Verklärung seiner Person genossen haben, er will sie noch immer. Im Wechsel mit Marie, die mit frischer Kraft liefert. Umgekehrt wird es für ihn nicht immer einfach gewesen sein mit mir – vermutlich habe ich erwartet, er sei wie mein Vater. Wie soll Joe das bieten können. Hab nun aber kein schlechtes Gewissen deswegen, er hat sich ja nach Kräften „gerächt“. Nicht vom idealen Gefährten muss ich mich verabschieden – der war nur Illusion - sondern vom letzten Echo meines Vaters.
Ich hab ihn vertrieben, diesen blöden Schemen am Fluss. Etwas wollte mir noch einreden, dieser Weg, dieser Ort sei nun mit der Erinnerung an den Tag mit Joe durchfärbt. Pah! Ich überprägte ihn gerade, in strömendem Regen, schief vor Müdigkeit. Die alten Bäume, verlassene Bänke ... die Grillwiese, frisch gemäht, das hohe Gras am Ufer ... Teichrosen, Schwertlilien, ein Tupfer Mohn ... Zillionen Tropfen auf Laub ... zwei Klappstühle, triefendes Gelb, vergessen auf einer Treppe ...
Urplötzlich wünschte ich Joe und Marie von Herzen alles Schlechte. Ja, ich habe ihn rausgeworfen. Ja, es ist Monate her. Ja, Marie hat mir absolut nichts getan. Ja, ich habs LAUT GESAGT, hab die Arme ausgebreitet, sowas wie Lebensenergie ließ mich lachen. Wie albern, dieser Wunsch ... hey, es ist bloß ein blöder Wunsch ...
Ich geh bestimmt noch öfter hin. Zum Nachwünschen.
24.05.2014 07:37 •
#60