Heute bin ich wach, habe viel gelesen hier. All die traurigen Menschen ...
Im Austausch zwischen ihnen und ihren Kommentatoren und Kommentatorinnen entsteht nicht selten etwas Positives. Ich kann und will mich nicht in all diese Threads einmischen, schreibe lieber im eigenen. Auf dass es jemandem nutzen möge.
Zwei Beobachtungen, nicht nur von hier:
Er hat mich nach xy Jahren Beziehung verlassen, es war schrecklich, aber dann ... Ich habe 25 Kilo abgenommen, bin viel auf Tour, genieße das Leben, treffe mich mit Leuten, lerne Neues, bin abenteuerlustig, hab neulich was total Verrücktes angestellt ... lache viel ...
Klingt herrlich! Warum nicht früher? Manche Beziehungen scheinen einen der Partner irgendwie absterben zu lassen. Dann wird er verlassen, und siehe, er greift sich das Leben mit beiden Händen.
Zu Beobachtung zwei eine Kindheitserinnerung:
Frau K. arbeitete selbstständig als Schneiderin, sie war die Frau eines der Arbeitskollegen meines Vaters. Sie hat uns mal allein besucht, ich sehe sie noch heute im Garten stehen und niesen niesen niesen. Frau K. litt unter Heuschnupfen, Ende der 70er noch eine eher seltene Erkrankung. Meiner Mutter hat sie damals zwei Blusen nach deren Vorgaben geschneidert, eigentlich viel zu teuer für unsere Verhältnisse. Meine Mutter hat sich mal was gönnen wollen, sie war vollkommen glücklich mit Frau Ks Werk.
Einige Zeit später berichtete mein Vater, Frau K. sei durchgedreht. Sei ihrem Mann weggelaufen, um mit einem jüngen Künstler zu leben (mein Vater sprach die Anführungszeichen mit). Damals habe ich nichts begriffen, habe die Geschichte nachgeplappert.
Erst Jahre später ging mir auf, wie Frau K. gelebt hat. Wir haben die Familie öfter mal besucht, sie wohnte in der fünften oder sechsten Etage einer -zigstöckigen Mietskaserne. Die ganze Straße bestand aus diesen hochragenden Häusern, eine Schlucht, in der ich mich als Kind auch tagsüber gefürchtet habe. Die Wohnung wirkte auch bei Sonnenschein düster, es ging dort eher beengt zu. Immerhin bewohnte Tochter. S., um die 4 Jahre älter als ich, ein winziges eigenes Zimmer. Mit S. war das so, wenn sie sich seltsam benahm, sollte ich schnell zu Frau K. laufen.
Heute denke ich mir, S. litt vielleicht unter Epilepsie. S. konnte ich gut leiden, sie gab sich klug und freundlich und gar nicht herablassend. Ihr habe ich meine ersten atemberaubenden Leseerlebnisse zu verdanken, sie besaß Science Fiction vom Schneider Verlag (?). Hat sie mir ausgeliehen, oder ich durfte in einer Ecke des Wohnzimmers schmökern, wenn es S. nicht gut ging und sie mit Frau K. in ihrem Zimmer bleiben musste. S. benötigte ständige Betreuung, deshalb arbeitete Frau K. daheim. Am Glück meiner Mutter gemessen, war sie eine gute Schneiderin.
An Frau Ks Ehemann erinnere ich mich an einen sympathischen, herzlich unattraktiven Menschen. Klein, feist, hauptsächlich an Essen und Sitzen interessiert. Gutmütig, selbstzufrieden, männlich begriffsstutzig. Herr K. wäre sicher niemals auf die Idee gekommen, seine Frau könne sich eventuell ein anderes Leben wünschen. Von ihm kam die Annahme, sie sei durchgedreht, als sie ihn und die mittlerweile 20+ Jahre alte Tochter verließ. Ich gönnte es Frau K. von Herzen und hoffe, sie hat das Leben noch genießen können mit dem jungen Maler.
27.03.2014 01:48 •
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