Hallo zusammen.
Ich habe mich am Montag von meinem Freund getrennt und ihn aus meiner Wohnung geschmissen.
Wir haben uns letzten Dezember über eine Dating-App kennengelernt, es hat schon beim Schreiben ziemlich gekribbelt.
Das erste Treffen war Liebe auf den ersten Blick, es hat sofort gefunkt.
Er hat erzählt, er wäre Handwerksmeister und Ausbilder, allein erziehender Vater von zwei fast erwachsenen Töchtern, mit der jüngeren lebt er zusammen. Seine Eltern wären viel beschäftigte Ärzte, er ein absoluter Familienmensch, Heiraten und noch ein Kind? Kein Problem.
Man muss dazu sagen, ich bin Ende 30 und wollte immer eine Familie haben, nur hat es sich nie ergeben.
Ich war acht Jahre lang Single als ich ihn traf und dachte schon, ich würde den Rest meines Lebens alleine bleiben.
Auf einmal kam er und erzählte mir die Dinge, die ich mir schon immer gewünscht hatte.
Und er war so offen. Erzählte mir über seine letzte Beziehung und seine toxische Ex, den Selbstmordversuch wegen ihr und den Klinikaufenthalt im letzten Jahr. Ich war erschüttert über den Suizidversuch und wollte alles tun, um ihn weiter zu stabilisieren.
Ich war überglücklich, zumindest am Anfang.
Es gab aber bald Anlass zur Missstimmung. Die jüngere Tochter flippte wohl meinetwegen völlig aus und weigerte sich, mich kennen zu lernen. Die Ältere Tochter war angeblich mit ihrem Freund nach Nürnberg durchgebrannt und konnte mich deswegen auch nicht treffen. Seine Eltern waren zu beschäftigt um mich kennen zu lernen, eine Einladung von Ihnen schlug er aus mit der Begründung, das wäre nur ein langweiliges Geschäftsessen unter Ärzten.
Seine jüngere Tochter zickte ständig rum und wollte, dass er nach Hause kam (er wohnte zu dem Zeitpunkt schon mehr oder weniger bei mir), Silvester habe ich allein verbracht weil Madame ihn ganz für sich haben wollte.
Ich habe also nie jemanden aus seiner Familie kennen gelernt, seine Wohnung habe ich nur ganz kurz für zwei Minuten mal gesehen, seine Tochter könnte ja jeden Moment nach Hause kommen und ausflippen, weil ich da bin.
Zudem lief es in seinem Job nicht gut, er hatte sich mit seinem Chef überworfen und wollte kündigen.
Einmal kam ich früher nach Hause und er war augenscheinlich gar nicht weg, obwohl er hätte arbeiten müssen.
Er erzählte dann, sein Chef hätte ihn wegen Differenzen bei vollem Gehalt beurlaubt.
Und er kam ab und zu mit den Namen der Kinder durcheinander: Mal hiess die älteste Tochter Holly, mal Shelly.
Als ich ihn darauf ansprach meinte er, Holly wäre ein Spitzname.Naja.
Nach vier Monaten fand ich dann zufällig beim Wäsche machen in seiner Hosentasche eine Mahnung über nicht bezahlte Hort-Gebühren für Holly, neun Jahre! Ich stand unter Schock. Von einem so jungen Kind war nie die Rede gewesen.
Dann kam die Wut. Als er am nächsten Tag zu seiner Tochter fuhr habe ich seine Sachen gepackt und bin mit dem Auto zu seiner Wohnung. Ich hatte vor, das ganze Zeug vor seiner Tür abzuladen und ihn nie wieder zu sehen.
Wie der Zufall es wollte kam er grad die Straße entlang- mit DREI kleinen Kindern im Schlepptau!
Und alle drei kleinen Kinder fragten Papa, wer ist die Frau? als ich ihm die Sachen vor die Füße warf.
Vollkommene Verzweiflung. Unverständnis. Wut. Wie konnte das passieren? Warum hat er das getan?
Ich habe dann seine Großeltern angerufen, aus irgendwelchen Gründen hat er mir diese Nummer ganz am Anfang in mein
Handy gespeichert. Seine Oma war im Gegensatz zu ihm ehrlich zu mir:
Er hat fünf Kinder, eine 17-jährige Tochter und mit seiner Ex-Partnerin vier kleine Kinder im Alter von fünf bis neun.
Am Rest der Geschichte stimmte auch nichts. Er war arbeitslos und das schon seit einer ganzen Weile. Mit seiner Mutter hat er seit über zehn Jahren keinen Kontakt, der leibliche Vater wollte nie etwas von ihm wissen und war schon lange tot.
Die beiden Mädchen, die er mir als seine Töchter verkauft hat, sind in Wirklichkeit die Töchter seiner Ex.
Und eben diese Ex, die so böse war und ihn nur fertig gemacht hat,wohnte auch noch in der Wohnung. Er hatte mir erzählt, sie wäre zu ihrem neuen Freund gezogen, in Wirklichkeit hat er zwei Jahre auf der Couch geschlafen während sie noch in der Wohnung war. Sie war diejenige, die ständig Stress gemacht und nicht die Tochter.
Kurz gesagt, es war alles gelogen. Und das mit einer schauspielerischen Brillianz, die mir die Sprache verschlug.
Ach ja: Ein offener Haftbefehl für zwei Tage wegen nicht bezahlter Geldstrafe, diverse Mahnschreiben vom Gericht und anderen kamen noch obendrauf.
Ich verstand es nicht. Dann fand ich im Internet die Erklärung: Pseudologica Fantastica.
Krankhaftes Lügen. Er ist krank. Ich habe ihn geliebt. Und blauäugig und helfersyndromig wie ich nunmal bin dachte ich, ich könnte ihm helfen.
Ich habe ihm also angeboten ihm zu helfen, wenn er eine Therapie macht, ich kümmere mich um den Papierkram, dafür legt er mir alles offen. Die ganze Wahrheit, seine Situation, seine Finanzen-einfach alles. Er war einverstanden. Wollte mit mir zusammen neu anfangen, mit der Vergangenheit reinen Tisch machen. Er hat mir vieles erzählt, jetzt kennst du die Wahrheit.
Ich habe ihn in meine Wohnung aufgenommen, weil er keine Familie und Freunde hier hat, er konnte sonst nirgendwo hin.
Es ging ein paar Wochen gut, dann habe ich wieder Rechnungen und Mahnungen gefunden, die er vor mir versteckt hat.
Wieder das Gespräch, wieder hat er reinen Tisch gemacht und mir die Wahrheit gesagt.
Und dann, am Montag, habe ich eine Unterhaltsforderung für Kind Nr. 6 gefunden, von dem ich bis dahin nie ein Wort gehört habe.
15.000 Euro. Zusammen mit den anderen Unterhaltsforderungen sind wir bei knapp 25.000 Euro. Er hat keine Schulden, nein!
Ich habe ihn rausgeschmissen. Habe ihm 500 Euro mitgegeben, damit er ins Hotel kann bis er beim Sozialamt war.
Er schläft aber seit Montag auf der Straße und versinkt in Selbstmitleid. Er hat mir noch selbst als ich ihm den Brief vor die Nase gehalten habe Lügen erzählt, um da irgendwie wieder raus zu kommen. Von Beschimpfen bis weinen und betteln war alles dabei.
Ich kann ihm nicht helfen, das weiß ich jetzt, er reißt mich mit sich in den Abgrund- aber es tut schrecklich weh, ihn gehen zu lassen.
Er schreibt nicht direkt, dass er sich umbringen will, er droht auch nicht, aber ich höre die Verzweiflung aus jeder Nachricht,
die wir im Moment schreiben. Ich mache mir wirklich große Sorgen, dass er sich etwas antut. Er hat es schließlich schon einmal probiert, und das ist noch nicht so lange her. Und damals war er nicht obdachlos, so wie jetzt.
Obwohl ich weiß, das er es ruiniert hat und mir nicht gut tut, habe ich trotzdem Schuldgefühle weil ich ihn rausgeschmissen habe.
Wir hatten eine wunderschöne Zeit und ich liebe ihn- oder den Mann, den ich glaube zu kennen.
Und der Gedanke, dass er sich vielleicht doch etwas antut, macht mich fertig. Ich will ihm trotzdem helfen- also zumindest ihn dahin bringen, dass er sich wieder in die Klinik einweisen und behandeln lässt.Mehr nicht!
Oder ist dieses Verhalten, dieses übertriebene Versinken im Selbstmitleid, nur Manipulation seinerseits? Mir fehlt die Erfahrung mit solchen Menschen.
Wie beurteilt Ihr die Situation? Bin ich dumm, ihm schon wieder helfen zu wollen, obwohl ich genau weiß das ich mit diesem Mann niemals eine Beziehung führen kann? Ist er wirklich am Boden oder spielt er mir nur etwas vor, damit ich ihn wieder aufnehme?
Ich weiß es nicht!
Vielen Dank für eure Zeit!
03.08.2022 17:28 •
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