Liebe Sund,
die Emotionen der Kinder so aufzufangen, dass sie sie nicht gegen sich selbst richten, ist tatsächlich die (neben: wovon sollen wir leben und woher nehme ich die Zeit und wie haushalte ich mit meinen Kräften) wichtigste Aufgabe.
Zunächst mal müssen die Kids sich ganz sicher sein können, dass der verbleibende Elternteil wie ein Fels in der Brandung steht und in Lichtgeschwindigkeit angeflogen kommt, wenn sie Dich brauchen. Meine lagen z B. lange mit mir in einem Bett und suchten nachts im Schlaf Körperkontakt. Das brauchten die eben. Auch wenn ich gerne mal für mich gewesen wäre, um zu weinen oder abzuschalten.
Ich war auch immer zu 100% zuverlässig beim Abholen und mit meinen Ansagen, damit sie nie auf die Uhr schauen und sich fragen, was mit Mama ist.
Auch Krankheiten und Schwächeanfälle musst Du, soweit irgendwie möglich, unbedingt überspielen. Mama ist stark und nichts wirft sie aus der Bahn, ist das Motto. Sonst machen die Kids sich ganz schnell Sorgen um Dich und um ihre Existenz und übernehmen Verantwortung, obwohl sie das nicht sollten.
Mein Kleiner stand mal daneben, als ich einen Brief vom Gericht aus dem Briefkasten gezogen habe und bleich geworden bin. Es war in dem Moment einfach zu viel für mich. Er hat es SOFORT gemerkt und die nächsten Nächte eingenässt, bis ich (einen alten, zugeklebten) gelben Brief in den Briefkasten gelegt und vor seinen Augen mit einem Lächeln und Ach, so einer wieder, na da gibt's demnächst bestimmt noch mehr von. Nicht schlimm. Machen wir das Beste draus. rausgenommen habe. Danach beruhigte er sich langsam wieder.
Lass sie nie Deine Verzweiflung oder Ratlosigkeit spüren. Statt einem erschöpften Ich weiß doch auch nicht, woher wir die nächste Miete nehmen sollen, ist es am besten, wenn sie davon gar nichts mitbekommen. Da das aber nicht geht, denn sie bekommen ALLES mit, selbst wenn Du nichts vor ihnen ausspricht, ist ein gespielt-lockeres Tja, die Miete. Ach, das wird schon werden! allemal besser.
Auch wenn ich abends völlig durch war, hab ich versucht, die Abendrituale einzuhalten. Und wenn die Kids sich dabei jünger verhalten, als sie eigentlich sind, oder quengeliger/patzig, dann hab ich (trotz innerer Ungeduld zumindest) versucht, das zuzulassen, den Pyjama vorgewärmt und beim Umziehen geholfen. Das gleiche Buch auf Wunsch über Wochen vorgelesen. Das schafft Sicherheit. Hab ich nicht immer durchgehalten. Denn Pubertierenden musst Du erstmal stand halten, wenn Du selbst völlig erschöpft bist. Dann einfach kurz raus aus dem Raum, tief durchatmen, Festplatte löschen und mit einem soll ich Dich gleich noch einkuscheln? wieder rein in den Raum. Manchmal gibt's die nächste Abfuhr, manchmal kriegen sie sich wieder ein. Aber Du signalisierst ihnen damit auf Mama ist Verlaß, die liebt mich immer, egal wie garstig ich bin. Das ist wichtig.
Um genug Kraft für sowas zu haben, müssen Haushalt und andere Menschen eben zurückstehen. Lieber friedlich schlafende Kinder und ein klebriger Boden als ein gepflegter Boden und gehetzte Kinder. Solange das Jugendamt bei euch nicht hereinschneit, ist es eben gerade so wie es ist und Du hast auch nur zwei Hände und 24 Stunden Zeit.
Second Hand tragen zu müssen(!) ist schlimm. Weniger schlimm ist es, mitentscheiden zu können, wo man spart. Alle Luxusposten wie neue Klamotten, Musikstunden, Verein, Elektronik, Süßigkeiten, Kino, Schwimmbad, Comics, Spielzeug, Kosmetik, Ausflüge, etc. haben wir auf eine Wunschliste (DIN A3 Block) geschrieben. Und das Budget dafür rechts daneben als Klebepunkte (5 Euro = 1 Punkt). Außerdem gibt es noch rote Punkte für Weihnachts- und Geburtstagswünsche. Die Kinder dürfen ALLE Wünsche dort aufschreiben (was einem als Mutter häufig sehr weh tut, weil sie sich so viel wünschen, was ich ihnen nicht bieten kann, aber man gewöhnt sich dran, den Schmerz auszuhalten) und man klebt dann gemeinsam die Budgetpunkte dazu. Der Kleine gibt bei uns ganz häufig gemeinsame Punkte an seine Schwester ab, weil er sagt, dass sie z.B. Kosmetik dringender braucht als er einen neuen Comic. Dafür ist ihm sein Süßigkeitenpunkt super wichtig und der wird als allererstes aufgeklebt (und am nächsten Tag ein Großeinkauf von Süßigkeiten für 5 Euro getätigt - alles seins). Dafür geht seine Schwester neuerdings mit ihm in die Bücherei, damit er von dort die Comics ausleihen kann. Es ist jetzt ein anderes Leben. Aber beileibe kein Schlechteres.
Bitte nicht Dein eigenes Luxusbudget damit vermengen. Sie sollen nicht sehen, dass Du nicht mehr zum Friseur kannst, um die Weihnachtsgeschenke zu rocken. Das muss Dein Geheimnis bleiben. Und ganz wichtig ist auch, die Liste zu überprüfen und abzuhalten. Welche Wünsche konnten erfüllt werden. Welche sind nicht mehr so wichtig. Welche Neuen kommen dazu. Das entschärft auch Begehrlichkeiten, wenn man gemeinsam in der Stadt ist. Wenn sie sich die Nase an etwas platt drücken, mache ich ein Handyfoto davon und wir sagen kommt auf die Liste. Und manches davon bringt dann der Weihnachtsmann.
Was das Nichtkümmern des Vaters angeht. Wann immer mein Kindsvater ausfiel, habe ich den Kids gesagt, dass ihr Vater sich sehr gerne gekümmert hätte, aber es leider gerade nicht kann. Die Fragen nach dem Warum habe ich offen gelassen. Ich weiß es nicht. Aber geh mal davon aus, dass er Dir so gern zu Weihnachten etwas geschenkt hätte, wenn er es gekonnt hätte. Es gibt doch nichts Schöneres für uns, als euch Wünsche zu erfüllen.
Dass ich denke, dass er es nicht kann, weil er dazu seinen Egoismus überwinden müsste, während die Kinder glauben, dass er es nicht kann, weil höhere Mächte ihn daran hindern, ist doch nicht wichtig. Wichtig ist allein, dass die Kinder nicht anfangen zu glauben, sie seien es nicht wert, dass ihr Vater sich schert.
Wenn Deine Kids sich zurückziehen, dann war es bei mir immer besser, sie nicht direkt darauf anzusprechen. Sonst bekommen sie noch zusätzlich Schuldgefühle und grenzen sich ab. Ich hab dann zugesehen, dass wir irgendwas Ruhiges gemeinsam bzw. zu zweit machen. Weihnachtsdeko basteln, gemeinsam das Zimmer aufräumen, abspülen, das Bad putzen. Irgend eine Beschäftigung, bei der man Seit an Seit nebeneinander und miteinander etwas tut. Ganz in Ruhe und vielleicht mit Musik im Hintergrund. Und dann irgendein Alltagsgespräch anfangen. Wenn sie was auf dem Herzen haben, öffnen sie sich dann eher, als wenn Du sie ins Gesicht fragst, was denn los ist. Und auch wenn sie nicht sofort erzählen, was sie bedrückt, schaffst Du mit solchen Aktionen Nähe, Vertrauen und ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das bei uns z.B. manchmal dann am Abend oder Tage später nach so einer Aktion dazu führt, dass sich ein Kind anvertraut.
Keine Panik, Sund, Du hast Deine Kids bis hierhin groß bekommen und wirst sie auch weiterhin gut begleiten, solange Du besonnen bleibst und nicht jeden Huster von ihnen als Ergebnis der Trennungssituation siehst. Du kannst sie nicht vor jedem Trauma bewahren. Auch das Familienleben MIT Deinem Ex hätte (so wie er sich jetzt gibt) sie traumatisiert. Gib ihnen Deine Stärke und Zuversicht und den Glauben daran, ihr Glück selbst in der Hand zu haben und mitgestalten zu können. Dann gehen sie aus dieser Situation genauso wie Du gestärkt heraus.
Puppenmama beschreibt das richtig: Nicht der Vater hat sie fallen gelassen, sondern es ist sein Verlust, sie nicht umsorgen zu können. Nicht sie sind es nicht wert, sondern er zu verstrickt, um das Geschenk, das sie darstellen, annehmen zu können.
P.S. Unterhalt: Vergiss es. Selbe Situation hier. Auskünfte spät und unvollständig. Kein schneller Titel möglich. JA treibt Mindestunterhalt ein, klagt aber selbst nicht. Mich würde eine Klage mit anschließender Vollstreckung mehr kosten als es bringt. Außerdem geht es mir mental besser, wenn ich mich nicht mit ihm beschäftige. Sein neues Auto läuft auf den Namen der Next. Ich sehe, wieviel Geld er zur Verfügung hat. Er zeigt das auch den Kindern, wenn sie bei ihm sind. Offenbar ist er so bedürftig, dass er das alles für sich selbst braucht und seinen Kids nur wenig davon abgeben kann. Arme Wurst. Ich bin stolz darauf, stets selbst für meine Kids gesorgt zu haben und ihnen all das ermöglichen zu können, was sie haben, und das weiterhin tun zu können(!). Diesen Stolz kann und wird mein Ex nie haben. Auf kleinerer Flamme autark ist das bessere Leben. Das könnte mein Freund anfangs nicht verstehen, aber mit der Zeit meinen Standpunkt nachvollziehen und zieht mit mir an einem Strang.
Apropos Geld: Hab bitte jobtechnisch immer einen Plan B in der Tasche, sofern Du nicht im ÖD bist. Ich hab schon zwei Jobs verloren, weil ich eben für meine Chefs nicht immer verfügbar war und nicht alles gegeben habe, um den Nachteil, alleinverdienende Mutter zu sein, wett zu machen, und die das irgendwann ankotzt. Hab für solche Situationen dann bitte eine Alternative zur Hand. Sämtliche Arbeitnehmerrechte kannst Du Dir dann nämlich in die Haare schmieren, da lohnt keine Gegenwehr. Einfach weiterziehen und weitermachen und sich mit solchen Menschen und Jobs nicht länger herumschlagen als unbedingt nötig. Da bleibt dann mehr Kraft für die Kids.
PP.S. Dark Cloud, hör doch bitte auf zu provozieren. Ja, klar, echte Mutterliebe ist es dann, wenn der Toovater sich jahrelang nicht kümmert, dann vom unterschlagenen Unterhalt den Malediventrip finanziert und Mutti ihn daraufhin als vollwertigen Elternteil bei sich willkommen heißt. Weil, ist ja so ganz toll fürs Kindeswohl. Und wenn es sie stört, ist sie ne geldgierige Schl. Sonst geht's aber gut, oder?
28.01.2019 16:25 •
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