Wenn dein Mann nicht eigentlich immer schon sehr egoistisch war, dann würde ich den Begriff in diesem Zusammenhang nicht verwenden. Denn er wird dem Trauma, das er eben auch erlebt hat, einfach nicht gerecht.
In so einer Situation geht es nicht darum, wer Recht hat. Es geht auch nicht darum, wer das größere Trauma erlebt hat. Hier können und sollten keine Diskussionen, keine Forderungen, stattfinden. Sondern die einzige Möglichkeit, die man hat ist, das Trauma zu verarbeiten und ins Gespräch zu kommen.
Vorausgesetzt dein Mann hat nicht bereits von je her einen miesen Charakter, dann verhält er sich aktuell nicht so, weil er lieblos sein WILL, sondern weil seine Seele dieses Verhalten gewählt hat, um das Trauma zu überleben und auszuhalten. Es ist eine Strategie, die unbewusst gewählt wurde, und die rationalen Argumenten so lange nicht zugänglich ist, bis sich seine Seele wieder sicher fühlt. Und je verständnisvoller man dann in dieser Situation mit ihm umgeht, desto schneller wird er da auch hinkommen.
Trauer und Traumaverarbeitung hat keine Regeln. Das Tempo ist niemals gleich. Die Art und Weise der Verarbeitung auch nicht. Deshalb trennen sich auch viele Paare, die z.b. ein gemeinsames Kind verloren haben. Weil beide einander nicht mehr verstehen, einander aber gleichzeitig brauchen und Erwartungen und Bedürfnisse nicht erfüllt werden und erfüllen können.
Das ist für ein Paar eine sehr sehr schwierige Situation, die meist von einer Person mehr Stärke verlangt, will man zusammenbleiben.
Und das ist natürlich extrem ungerecht und fühlt sich furchtbar verletzend an.
Ich weiß das, weil ich selbst schon in deiner Situation war und mein Mann ähnlich reagiert wie deiner. Er ist der liebste Mensch der Welt. Aber er hat in jungen Jahren dabei zusehen müssen, wie seine damalige Freundin fast gestorben ist. Und wenn es mir nicht gut geht (und tragischerweise habe ich kurz nach unserem kennenlernen die gleiche Erkrankung bekommen wie seine Ex, wenn auch nicht so bedrohlich), dann sind das die Zeiten, in denen ich mich am einsamsten fühle. Wo er so weit weg ist, ungeduldig und selbstzentriert. Er ist dann einfach so blockiert. Seine eigenen Ängste und die Panik vor Verlust, die Hilflosigkeit, die er dann spürt, sind einfach übermächtig. Und er ist wirklich das Gegenteil von egoistisch.
Wir haben gelernt damit umzugehen. Er hat gelernt sich zu öffnen und ich habe die letzten zehn Jahre immer besser verstanden. Dennoch macht es mich auch noch wütend, wenn meine alte Mama in Krankheitszeiten Unterstützung anbietet, die eigentlich er leisten müsste. Aber manche Dinge kann man einfach nicht erzwingen. Man kann nur drüber reden und versuchen zu verstehen. Und mit jedem Gespräch wird es auch etwas besser und die Blockade weicht auf.
In eurem Fall würde ich aber auch eine Therapie empfehlen. Und vielleicht hilft auch die Reise ihm, sich etwas zu sortieren und wieder grade zu rücken. Vielleicht braucht er diese Zeit für sich jetzt einfach. Und ich wünsche euch, dass ihr danach schafft ins Gespräch zu kommen und einen Weg für euch zu finden.
Kleiner Tipp: je mehr Vorwürfe er bekommt, auch von deiner Familie, desto mehr wird er blockieren. Lasst das. Es sei denn, du bist nicht bereit seine Art der Verarbeitung mit zu tragen.
29.09.2024 12:04 •
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